Jedes zweite Krankenhaus in Deutschland schreibt rote Zahlen. Der Bundesgesundheitsminister will die hohen Kosten für die Kliniken durch den Abbau von Betten reduzieren. Dagegen gibt es Widerstand – auch aus Baden-Württemberg.

Stuttgart - Die Fassade bröckelt, das Linoleum ist abgewetzt, es gibt noch Sechs-Bett-Zimmer und die Anordnung der Notfallaufnahme ist hoffnungslos veraltet mit Ultraschall und Röntgen in weiter Ferne: Hört man die Klagen der Deutschen Krankenhausgesellschaft – dem Dachverband von 2000 Hospitälern – ist das hierzulande keine Seltenheit. Es hapert an den Investitionen in die Gebäude, die von den Ländern zu bezahlen wären, aber zu mager ausfallen. Dass viele Krankenhäuser sich Fremdkapital für Reparaturen ausleihen müssen ist auch ein Grund dafür, dass jede zweite deutsche Klinik rote Zahlen schreibt. Da treibe „ein verhängnisvoller Strudel die Häuser in die Verluste“, sagt Georg Baum, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft. Mit Ländermitteln von 2,72 Milliarden Euro sei man im vergangenen Jahr auf dem Tiefpunkt angelangt: „Nach Ansicht aller Experten wären sechs Milliarden notwendig, es fehlen also jedes Jahr über drei Milliarden Euro.“

 

In allen politischen Lagern und selbst bei den Krankenkassen ist der Investitionsstau der Kliniken als echtes Problem anerkannt. Die Verantwortlichen holt man deshalb mit an einen Tisch, wenn es nun gilt, eine Krankenhausreform zu zimmern. Eine Bund-Länder-Kommission soll sich in regelmäßigen Abständen treffen – erstmals am Mittwoch – und eine Reform entwerfen. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CSU) hat deren Eckpunkte dieser Tage skizziert, ist aber nicht weit über das hinausgegangen, was im Koalitionsvertrag steht. Aufsehen erregte allenfalls seine Aussage zu einem weiteren Bettenabbau: Nur 77 Prozent der Betten seien bundesweit ausgelastet. Im Jahresdurchschnitt stünden von den 501 000 Krankenbetten etwa 113 000 leer. „Vielleicht ist ein Abbau oder eine Umwandlung überzähliger Krankenhausbetten sinnvoll“, meint Gröhe.

Ist es mit weniger Betten getan?

Dabei liegt die Bettenauslastung offenbar im Durchschnitt der Länder der OECD, wo sie 2007 bei 75 Prozent lag. Und der Bettenabbau läuft bereits seit Langem; vor gut einem Jahrzehnt gab es hierzulande 60 000 Klinikbetten und 200 Krankenhäuser mehr als heute. Auch obliegt die Krankenhausplanung den Ländern. Im Koalitionsvertrag findet sich daher ein sibyllinischer Satz: Man wolle die Länder unterstützen, wenn sie die Planung weiterentwickeln von „standortorientiert“ zu „erreichbarkeitsorientiert“.

Mit ein paar Betten weniger werde es aber nicht getan sein, sagt Ann Marini vom Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen: „Wir hoffen, dass man im Reformprozess schnell an die Strukturen geht.“ Für die Krankenkassen – die für Betriebskosten wie Gehälter und Energie zuständig sind – werden die Krankenhäuser immer teurer. Jeder dritte Euro fließt in den Sektor: Binnen fünf Jahren schnellten die Kosten für die gesetzlichen Kassen von 52 Milliarden (2008) hoch auf 64,2 Milliarden Euro (2013); 70 Milliarden Euro Ausgaben werden in diesem Jahr erwartet.

Die Behandlungszahlen steigen kontinuierlich

Ein Grund sind die beharrlich steigenden Behandlungszahlen, die Experten nicht allein mit der demografischen Entwicklung erklären. Die Eingriffe werden mit Fallpauschalen vergütet, und von diesen gelten einige als „lukrativ“ bei der Abrechnung. Zum Teil werden die im internationalen Vergleich vielen Operationen bei Bandscheiben, Knie- und Hüftgelenken damit erklärt. Es besteht der Verdacht, dass nicht alle medizinisch notwendig sind.

Die schwarz-rote Koalition plant nun kleine Weichenstellungen, um den Patienten mündiger zu machen und den Wettbewerb zu forcieren – auch das wird die Auslese fördern. Zum einen sollen Klinikärzte die Patienten auf ihr Recht hinweisen, sich vor einer OP eine Zweitmeinung einzuholen. Ein Augenmerk gilt auch der stärkeren Kontrolle der Leistungen: Ein Qualitätsinstitut soll gegründet werden und die jährlichen Qualitätsberichte der Kliniken – oft in Fachchinesisch geschrieben – sollen für Patienten lesbar verfasst werden.

Vergütung nach Leistung

Gravierender ist ein anderer Einschnitt: Bei guten Leistungen sollen die Krankenhäuser Zuschläge, bei schlechten Abschläge in der Vergütung erhalten. Dieser Punkt bringt Klinikfunktionäre in Harnisch; sie wehren sich gegen eine „Abstrafung“ einzelner Häuser. „Alle Studien zeigen, dass das Ergebnis hochkomplexer Krankenhausleistungen maßgeblich auch patientenabhängig ist“, sagt Georg Baum. Überall im Gesundheitswesen gebe es das Prinzip fester Gebührensätze. Den Krankenkassen werde ja bei niedergelassenen Zahnärzten und Ärzten auch nicht das Recht eingeräumt, die festgelegten Gebührensätze aus Qualitätsgründen einfach zu senken.

Auch einen Bettenabbau lehnt die Krankenhauslobby ab: Es gebe saisonale Schwankungen, etwa in der Ferienzeit, und ein leeres Bett verursache keine Kosten. „Unsere Betten sind zu 77 Prozent ausgelastet, aber unser Personal ist es zu 150 Prozent“, sagt Alfred Dänzer, Präsident der Krankenhausgesellschaft. Die große Zukunftsaufgabe sei die „Personalsicherung“.

Im Südwesten sieht man dies ähnlich. Die Landesozialministerin Katrin Altpeter (SPD) bezeichnet Gröhes Idee vom Bettenabbau – zumindest wenn sie Baden-Württemberg treffen sollte – als „keinen sinnvollen Vorschlag“. „Anders als die meisten Bundesländer, insbesondere die westlichen, haben wir unsere Hausaufgaben erledigt“, sagt Altpeter. Seit 2000 habe man die Betten im Land von 63 600 auf 54 700 reduziert. In Baden-Württemberg stünden heute rund fünf Planbetten pro 1000 Einwohner zur Verfügung, bundesweit seien es 8,3 pro 1000 Einwohner. Deshalb seien die Kosten für die stationäre Versorgung pro Einwohner mit 836 Euro pro Jahr im Bundesvergleich am günstigsten, in Bayern lägen sie bei 939 Euro, im Saarland bei 1129.

Mangelnde Finanzierung der Betriebskosten

Wichtiger sei es, die mangelnde Finanzierung der Betriebskosten anzugehen, sagt Katrin Altpeter. Hier ist der Bund zuständig, weil er Einfluss auf die gesetzlichen Kassen hat. Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass die Personalkosten – vor allem für Pflege – bei den Verhandlungen über Fallpauschalen künftig genügend berücksichtigt werden. Das gleiche gilt für Unikliniken mit ihren besonderen Aufgaben, Häuser der Maximalversorgung und sogenannte „Hochkostenfälle“, also teure Spezialfälle. Auch die Finanzierung der Vorhaltekosten für die Notfallversorgung soll besser geregelt werden. Denn Häuser mit einer 24-Stunden-Aufnahme sind ja anders belastet als die mit einer zeitlich Begrenzung. Dafür müssten, genaue Kriterien entwickelt werden, sagt Altpeter.

Insider erwarten ein Gefeilsche zwischen Bund und Ländern, nach dem Motto: jeder muss etwas geben. Ende des Jahres soll die Kommission, in der neben dem Bund vier SPD-geführte Länder (A-Länder) und vier CDU-regierte Länder (B-Länder) vertreten sind, ihre Arbeit beenden. Baden-Württemberg ist nicht dabei, fühlt sich von den A-Ländern allerdings gut repräsentiert.