Edson Pantaleao de Oliveira ist eine begehrte Fachkraft. Er wartete dennoch neun Wochen auf seine Arbeitserlaubnis. So lange konnte er seine Stelle nicht antreten. Den Schaden will ihm die Stadt dennoch nicht ersetzen.

Am Ende der Verhandlung am Landgericht versuchte Richter Krauss mit einem Appell an die Menschlichkeit, die Vertreter der Stadt Stuttgart zu überzeugen, einen Vergleich mit der Gegenseite abzuschließen. Er zielte auf den Fachkräftemangel und die „wertvolle Arbeit für die Gesellschaft“ des auf 3300 Euro Schadensersatz klagenden Krankenpflegers Edson Pantaleao de Oliveira ab. Es dürfte vergeblich gewesen sein, auch wenn der Richter betonte, ein Ausgleich für entgangenen Lohn wäre „keine Blaupause“ und dürfte damit auch keine Signalwirkung auf Ausländer haben, die ebenfalls am behördlichen Schwergang des Amts verzweifeln.

 

Kein Entgegenkommen im Rathaus zu erwarten

Der Rechtsbeistand der Stadt sieht wenig Chancen, im Rathaus die Zustimmung für einen Vergleich zu erhalten – er selbst hält auch nichts davon. Der wegen der Probleme in der Behörde schwer in der Kritik stehende Ordnungsbürgermeister Clemens Maier (Freie Wähler) hatte kürzlich in einer Ausschusssitzung deutlich gemacht, es müsse klare Kante gezeigt werden. Die Klägerseite hat wenig Neigung, „noch mehr Lebenszeit in diesen Fall zu investieren“. Rechtsanwalt Roland Kugler, die Jobvermittlerin Karin Lehmann und der Mandant dürften aber nicht umhinkommen, bei einem ihren Interessen komplett zuwiderlaufenden Urteils vor das Oberlandesgericht zu ziehen. Dort wären die Juristen mit demselben Problem konfrontiert: es gibt keine passgenauen Vorgaben, wie lange sich die chronisch überlastete und personell ausgezehrte Ausländerbehörde mit einer Aufenthaltserlaubnis, die Voraussetzung für eine Beschäftigung ist, Zeit lassen darf, bis ihr richtig Ärger droht.

Zwei oder zwölf Wochen Zeit?

Rechtsanwalt Kugler hielt im konkreten Fall, der glasklar und dringlich gewesen sei, zwei Wochen für angemessen. Es dauerte aber neun Wochen. Die Stadt verweist auf eine Vorschrift, wonach Bürger erst nach zwölf Wochen die Gelegenheit hätten, eine Untätigkeitsklage am Verwaltungsgericht einzureichen. Das passiert aktuell öfter als es der Behörde lieb ist, weil dafür dann andere Fälle auf dem Stapel nach unten wandern.

Kugler hat wenig Verständnis für das Lamento der Behördenvertreter über die Rahmenbedingungen, hat er es doch schon länger als eine Dekade im Ohr. Zudem verweist er auf den Umstand, dass in der zuständigen Abteilung „schadensgeneigte Tätigkeiten“ ausgeübt würden und diese personell ausreichend ausgestattet gehöre. Bearbeitet man die Genehmigungen auf Aufenthaltserlaubnisse nicht zügig, entstehe den Antragsstellern ein materieller Schaden.

Fachkräfte verzweifeln in Stuttgart

So konnte Pantaleao de Oliveira nach seiner Ausbildung die zugesagte Stelle in einer Ludwigsburger Klinik wochenlang nicht antreten und musste sich Geld für den Lebensunterhalt leihen. Von der Hochschule kommenden Musikerinnen war es zuletzt nicht möglich, begehrte Jobs im Staatsorchester oder bei den Münchner Philharmonikern anzutreten, Erzieherinnen müssen Däumchen drehen, anstatt Kinder zu betreuen. Nicht wenige Arbeitgeber vergeben Stellen dann anderweitig, im Internet wird die Botschaft verkündet, sich erst gar nicht in Stuttgart als Fachkraft zu bewerben, sondern in der Region. In Ludwigsburg, so betont Vermittlerin Lehmann, hätten ihre Kunden meist binnen drei Tagen ihre Papiere. Weil sie davon ausgeht, dass die Beschäftigten in der Stuttgarter Behörde ihr Möglichstes tun, müssten wohl die internen Abläufe optimiert werden.

Mails vom Server gelöscht?

Im Rechtsstreit wurde ein „Nebenkriegsschauplatz“ aufgemacht, auf den der Richter aber ein besonderes Augenmerk legt, weil dieser Lapsus die Behörde in ein schlechtes Licht rückt und sie womöglich doch zum Einlenken bringen könnte. War bisher unstrittig, dass der Antrag des Krankenpflegers ordnungsgemäß gestellt war, wurde nun plötzlich behauptet, dessen zusätzliche Frage nach Details zum Nachzug des Ehepartners habe die Prüfung unnötig verkompliziert.

Der Hinweis Kuglers auf zwei am selben Tag, aber 18 Stunden früher von der Vermittlerin versandte Antragsmails mit korrekter Betreffzeile und allen notwendigen Unterlagen vermochte die Stadtverwaltung anfangs nicht zu überzeugen, da diese auf dem Server der Ausländerbehörde nicht gefunden wurden. Womöglich seien „Netzprobleme beim Absender“ oder bei Lehmanns Provider für das Verschwinden verantwortlich, versuchte es die Stadt mit Vorwärtsverteidigung.

Stadt verstrickt sich in Widersprüche

Die Behörde hat die Mails aber nachweislich erhalten – und sich auch automatisch für den Eingang bedankt. Der nun aktuellste Hinweis des städtischen Rechtsbeistands, die Mails seien bewusst vom Server gelöscht worden, weil die Behörde die Nachricht mit dem Antrag des Pflegers verwendet und zur Akte hinzugefügt habe, hält Anwalt Kugler für unglaubwürdig, denn dann hätte die Genehmigung versagt werden müssen, weil der Brasilianer nicht alle Unterlagen mitgeschickt hatte. Den angeblich verlorenen Mails der Vermittlerin waren sie aber beigefügt. Das ist nun nicht nur im konkreten Fall von Belang: Die Behörde hat Ausländer, die eine Aufenthaltserlaubnis beantragt haben und darauf warten, bisher damit getröstet, ihre Mails seien garantiert gespeichert.