Müssen Versicherte tatsächlich länger auf einen Krankenwagen warten, seit die Ersatzkassen die Verträge mit Anbietern kündigte? Die Meinungen darüber gehen auseinander. Gleichwohl ist die Situation für Betroffene schwer erträglich.

Ludwigsburg - Gert Hermann ärgert sich. Was er Mitte Februar erlebte, macht ihn immer noch wütend. Das Geschehen lässt sich so zusammenfassen: Hermanns Partnerin musste im Klinikum Ludwigsburg stundenlang auf die Verlegung in die Schmieder Klinik nach Gerlingen warten. Die 78-Jährige erhielt keine Informationen, man ließ sie im Unklaren über den Zeitpunkt des sogenannten Liegendtransports. „Um 15 Uhr habe ich, zwischenzeitlich waren bereits drei Stunden Wartezeit vergangen, auf der Station nachgefragt und dort erfahren, dass sie noch immer nicht abgeholt worden ist. Gleiches wiederholte sich dann um 18 Uhr“, schildert Hermann die Situation an jenem Dienstag.

 

Seine Partnerin wurde an diesem Tag nicht mehr geholt. Stattdessen verbrachte sie eine weitere Nacht in der Klinik, ehe sie am nächsten Tag verlegt wurde.

Was Hermann miterlebte, ist offenbar die Folge eines Streits zwischen Krankenkassen und Anbietern von Krankenfahrten, der für die Patienten auf den ersten Blick unerheblich scheint. Der Verband der Ersatzkassen (vdek) erhob einigen Anbietern gegenüber den Vorwurf, aufwendigere Krankentransporte, die zwingend von ausgebildetem Rettungspersonal begleitet werden müssen, als einfache Krankenfahrten ausgeführt zu haben – und sich damit über die Verordnungen der Ärzte hinweggesetzt zu haben.

Der Verband kündigte deshalb zum Jahresende 2018 landesweit rund 30 Unternehmen, die Krankenfahrten anbieten und die Patienten liegend oder sitzend in einem speziellen Stuhl tranportieren. Dieser wird benötigt, wenn etwa ein Patient durch ein Treppenhaus zum Fahrzeug getragen werden muss. Einfache Verlegungen wie im Fall von Gert Hermanns Partnerin finden seit Januar mutmaßlich verstärkt als personalintensivere Krankentransporte statt.

Unterschied zwischen Fahrt und Transport

Laut dem Ludwigsburger Kliniksprecher handelt es sich bei Hermann nicht um einen Einzelfall. „Die Situation hat sich verschärft“, sagt Alexander Tsongas. „Sie hat sich verschlechtert für den Patienten und die Klinik.“ Er sieht die Entwicklung klar im Zusammenhang mit der Vertragskündigung des vdek.

Krankentransporte werden wie Notarzteinsätze von der Integrierten Leitstelle disponiert. So auch die Verlegung von Hormanns Partnerin. „Bedingt durch ein sehr hohes Aufkommen im Krankentransport an diesem Tag musste die Fahrt auf den Folgetag verlegt werden“, heißt es dazu von offizieller Seite. Im Schnitt seien es wochentags 170 bis 200 Krankentransporte, an jenem Tag wurden 213 Einsätze registriert. Der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) reagierte auf die Kündigung der Krankenfahrten des vdek prompt: Er stellte die entsprechenden Angebote im Kreis Ludwigsburg ein. Der ASB verantwortete nach eigenen Angaben jährlich knapp 6000 Krankenfahrten für die Kliniken im Kreis. Diese Fahrten müssen nun anderweitig organisiert werden. Inzwischen erfolgten sie zum Teil wohl als reguläre Krankentransporte, vermutet der Vize-Landesgeschäftsführer des ASB, Daniel Groß. „Dies kann im Krankentransport zu erhöhten Wartezeiten für die Patienten führen.“ Im Raum Ludwigsburg habe der ASB daher seit März ein zusätzliches Transportfahrzeug im Einsatz.

Prompte Reaktion des ASB

Für Krankenfahrt und Krankentransport gelten unterschiedliche gesetzliche Grundlagen. Für Transporte gilt das Rettungsdienstgesetz, verantwortlich für Bedarfsermittlung und Finanzierung ist der Bereichsausschuss. Ihm gehören Rettungsdienste wie ASB und Deutsches Rotes Kreuz (DRK) sowie die Krankenkassen an. In diesem Gremium wird Groß’ Vermutung bestätigt. „Derzeit werden knapp 30 Prozent mehr Krankentransporte nachgefragt als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum“, sagt Stefan Kopp von der Geschäftsstelle.

Das DRK bewertet die Situation nach der Vertragskündigung hingegen anders als ASB und Klinik. Die Mehrfahrten könne man auffangen, sagt Manfred Hormann. Laut dem Geschäftsführer des Ludwigsburger DRK-Kreisverbands kämen zu täglich kreisweit 260 Krankenfahrten des DRK sieben dazu. Unabhängig davon seien Januar und Februar stets intensivere Monate, sagt Hormann über die Situation zu Jahresbeginn.

So eindeutig äußert sich der Sprecher des DRK-Landesverbands nicht. Um die Lage zu bewerten, wolle man sich „ein Quartal Zeit nehmen“, sagt Udo Bangerter. Man müsse vorsichtig sein mit einer Bewertung, die Situation stelle sich „regional sehr unterschiedlich“ dar. Aber er sagt auch: „Wenn schon ein Liegendtransport notwendig ist, halten wir es für richtig, dass er mit einem entsprechend qualifizierten Krankentransport erfolgt.“

vdek begründet Kündigung mit Qualitätsmängeln

Die durch die Kündigung der Krankenfahrten entstandene Lücke kann laut vdek sowohl durch neue private Tranportunternehmen sowie durch Rettungsdienstorganisationen ausgefüllt werden. Diese seien inzwischen besser finanziert. Das verhehlt der DRK-Sprecher Bangerter nicht. Aber die neue Finanzierung sei lange vor der Vertragskündigung ausgehandelt worden.

Der ASB im Kreis Ludwigsburg verwahrt sich indes gegen den Vorwurf von Qualitätsmängeln. Und die Ludwigsburger Klinik teilt mit, dass sich der Vorwurf nicht mit ihren Erfahrungen decke. Nun sei man darum bemüht, den Patienten das Warten erträglich zu machen. „Wir müssen den zusätzlichen Aufwand irgendwie auffangen“, sagt Tsongas. Vergütet werde er nicht.