Helmut Kohl hat der Kanzlerin vorgemacht, wie man die Macht erhält. Eine Kolumne von Sibylle Krause-Burger zur Entlassung Norbert Röttgens nach der NRW-Wahl.

Stuttgart - Angela Merkel konnte gar nicht anders. Sie musste ihren Umweltminister feuern: Er hat den Rat der Parteivorsitzenden in den Wind geschrieben, sich auf jeden Fall – wie auch immer die Wahl in Nordrhein-Westfalen ausgehen würde – für Düsseldorf zu entscheiden. Er ist ihr in den Rücken gefallen, als er seine absehbare Niederlage auch ihr anzuhängen versuchte. Nach alledem hat er die Bitte der Kanzlerin, er möge zurücktreten, nicht beachtet. Von Norbert Röttgen weiß nun jeder, dass ihm seine Männerkarriere wichtiger ist als das Wohl seiner Partei in NRW und die Regierungsfähigkeit der Union in Berlin. Mit so einem kann man nicht arbeiten, wenn es – wie zur Zeit angesagt – um große und größte Dinge geht.

 
Warum also plötzlich das heftige Bedauern unter seinen Kumpels an Rhein und Ruhr, denen er mit seinem Wankelmut doch auch geschadet hat? Warum die Krokodilstränen, nachdem sie mit einem Charakterfesteren wie Armin Laschet vermutlich ein paar Prozente mehr für die CDU herausgeholt hätten? Warum das große Aufjaulen in den Medien über die eiskalte und schnöde Kanzlerin, die ihren einstigen Herzensbubi so hundsgemein abservierte?

„Sie mögen mich hassen, so lange sie mich fürchten“

Da hat jeder seine eigenen Gründe. Die einen, die mit ihm in der Landtagswahl untergingen, wollen sich nicht eingestehen, dass sie, als über Rüttgers Nachfolge entschieden wurde, den Falschen auf den Schild gehoben haben. Sie hätten es aber wissen müssen, nachdem ihr Kandidat schon einmal alles für sich wollte – einen Job bei der Industrie und das Mandat im Bundestag. Trotzdem fühlen sie sich nun mit ihrem Chefverlierer in ihrer landsmannschaftlichen Ehre gekränkt und wollen es der Kanzlerin heimzahlen. Die anderen, die geschätzten Kollegen aus den Medien, sind ja von Berufs wegen gehalten, gegen die Macht zu Felde zu ziehen. Da macht es sich gut, die Gefühlskälte einer Frau anzuklagen, erst recht, wenn ihr ein so warmherziges Beispiel wie Hannelore Kraft entgegengehalten werden kann. Das heißt aber nun ganz und gar nicht, dass die Kanzlerin mit Beifall bedacht worden wäre, hätte sie Norbert Röttgen nicht aufgefordert zurückzutreten oder ihn gar, nach der Verweigerung des Rücktritts, im Amt gelassen. Nicht auszudenken, was sich an Schmähungen über sie ergossen hätte. Sie wäre die Unentschlossene gewesen, eine Geschwächte und am Ende ihrer Kanzlerschaft.

Die Situation wäre also kein bisschen anders als heute? Bestimmt nicht. Sie wäre sogar schlechter. Da will Angela Merkel begreiflicherweise lieber eiskalt und kopflastig erscheinen als von Gefühlen gesteuert. Oderint dum metuant, sie mögen mich ruhig hassen, solange sie mich fürchten – das soll schon römischen Kaisern als Leitmotiv für ihre Herrschaft gedient haben. Mit einem Hauch von dieser Verachtung müssen sich auch demokratische Politiker wappnen – weniger in der Außenwirkung, mit Sicherheit aber in den inneren Verhältnissen –, wenn sie im Amt und durchsetzungsfähig bleiben wollen.

Bei Helmut Kohl in der Schule der Macht

Denn wer die Macht hat, ist ja grundsätzlich von zahllosen Kritikern und Neidern umringt, denen jeder Anlass gelegen kommt, an den gegebenen Verhältnissen zu rütteln. Es sind dies natürlich die Gegner aus den anderen politischen Lagern, die selbst regieren wollen. Das ist so vorgesehen. Viel gefährlicher sind jedoch die lieben Parteifeinde, Leute wie Röttgen, die sich für besser, für begabter, für jünger und dynamischer, für näher an den heiligen Grundsätzen der Organisation halten. Trotzdem muss man mit ihnen Politik machen, sollte sich auch auf sie verlassen dürfen. Wie aber kann das gehen, wenn diese Diadochen dauernd Stunk machen, wenn sie am Stuhl der Regierenden sägen, sich gegen die mächtigste Kraft in der Partei zu profilieren versuchen? Wenn sie also die gebotene Loyalität vermissen lassen?

Helmut Kohl, Angela Merkels Lehrmeister in der Macht, wusste, was in solchen Fällen zu tun ist. Auf dem Bremer Parteitag, anno 1989, schickte er seinen, bei jeder Gelegenheit mosernden und sich intellektuell überlegen gebärdenden Generalsekretär Heiner Geißler in die Wüste. Durch heftiges Strippenziehen hinter den Kulissen machte er auch Rita Süßmuths Ambitionen auf die Parteispitze zunichte. Ebenso verhinderte er Lothar Späths Wiederwahl ins Präsidium der CDU. Eine schwere Demütigung. Dabei hatte der „Spiegel“ den Schwaben doch schon als kommenden Kanzler hochgeschrieben. Also: drei auf einen Streich. Danach konnte Helmut Kohl unangefochten der Kanzler der Einheit werden.

Nun aber kommt ausgerechnet Nobbi Blüm, Kohls ewiger Arbeitsminister, hebt gefühlte hundert Mal im Deutschen Fernsehen mahnend den Zeigefinger – heissa, endlich mal wieder auf dem Bildschirm! – und befindet, was Merkel getan habe, gehöre sich nicht in der Familie. Da lachen die Hühner. Der unvermeidliche und offenbar universal zuständige Herr Bosbach gibt seinen üblichen Empörungssenf dazu. Und auch Norbert Lammert, der lieber regieren würde als nur den Bundestag moderieren, krittelt mit in diesem Konzert. Geschenkt.

Als Helmut Kohl in ähnlicher Weise für seine Bremer Rausschmisse angegriffen wurde, war er gerade mal, wie jetzt Merkel, sieben Jahre im Amt. Alles Wichtige kam erst in der langen Epoche danach.