In diesen Tagen der Fußball-EM ist es nicht leicht, eine Frau zu sein – meint unsere Kolumnistin Sibylle Krause-Burger.

Stuttgart - Jeden Abend, den der Fußballgott gibt, liege ich auf den Knien und bitte um Erleuchtung und Ergriffenheit, um Fieber und Verzückung. Nach Jahren des eifrigsten und vergeblichen Bemühens will ich jetzt endlich verstehen, was ein Abseits ist, will mich auch höchst persönlich erhoben fühlen, wenn der hübsche Jogi das alles so gut einfädelt und seine Mannschaft so genial kickt. Es will mir nicht gelingen. Ich wollt’, ich wär’ ein Mann.

 

Denn Fußball ist nach wie vor Männersache, auch wenn die Frauen ein bisschen mehr mitmischen als in früheren Jahren – beim Spielen wie beim Schauen. Es ist aber doch ein Männerspiel, ein Spiel, in dem Männer sich und ihr tiefstes Wesen stets aufs Neue wiedererkennen und wiedererleben – das Kindliche darin ebenso wie das Kämpferische, die Eigenliebe wie das Homoerotische. Das ist einfach nicht zu übersehen.

Immer gleiche Fragen, immer gleiche Antworten

Ah, diese Siegesgesten, dieses Gladiatorengehabe, dieser Lauf durch die Arena, die Arme erhoben, schreiend, strahlend, triefend. Ah, dieses Bespringen eines Torschützen, alle drauf, noch einer und noch einer und noch einer. Wenn das mal kein Gruppenorgasmus ist! Ah, dieses Austauschen verschwitzter Hemden, dieses kameradschaftliche Beklatschen und Begrapschen. Ich Mann, du auch Mann. Wir stark, wir Sieger. Da sind sie in ihrem Element.

Und dann die Leichenreden, nachdem alles gelaufen ist, mit den immer gleichen Fragen und immer gleichen Antworten, dargeboten von den immer gleichen Personen mit so intelligenten Einlagen wie „back to the Wurzeln“ , ha, ha, aus dem Wissensschatz des Insider-Kommentators Scholl. Und weiter: wie hat sich Lahm gefühlt, als ihm der Ball plötzlich verlockend vor dem Fuß lag, wie waren Schweini und Podolski drauf, als die Kanzlerin auf der Tribüne strahlte, wie heftig schlug das Herz von Mario Gomez, als er unverhofft das Genie in sich entdecken durfte? Und wie – alleroriginellste Journalistenfrage – ist denn die Stimmung in Berlin, wie in Warschau, wie in Kiew, wie auf Usedom? Vor allem dort, wo die Alibifußballfrau des Deutschen Fernsehens, Katrin Müller-Hohenstein, für das ZDF vor schütterem Publikum im Wasser stehen darf. Kein Mensch weiß, warum. Immerhin ist sie ausreichend herb und ein bisschen androgyn, wie’s dem Metier gebührt. Das ist klar. Und die Stimmung? Die strengt sich mächtig an, die obligate Heiterkeit vorzuführen. Ja, was ist das alles doch für ein Glück ob der hochverdienten deutschen Leistung. Hurra! Des muss man einfach froh und munter sein.

Ein Wahnsinn der netten, tröstenden Sorte

Uns aber, weiblich und fußballfern, bleibt zu den Strapazen des heißen Bemühens um das Verstehen und das richtige Genießen noch das Schweigen der Männer. Frage einen, was immer du willst, ob das Haus verkauft werden soll, ob ein Hund hermuss, ob wir zur Abwechslung mal gebratene Ameisen essen oder das nächste Weihnachtsfest am Äquator feiern wollen: es kommt keine Antwort.

Die Ohren des Mannes vor der Glotze haben sich in Fußballohren verwandelt, der Mund spricht Fußball, sofern er überhaupt spricht, der Kopf hat Fußballform angenommen, der Fuß zuckt, als ob er von seinem Opasessel aus mitspielen dürfte, der ganze Kerl ist nur noch Fußball – und sonst gar nichts. Das hat etwas von Wahnsinn. Aber wenn es tatsächlich Wahnsinn ist, dann doch einer von der netten, der tröstenden Sorte. Denn drum herum und draußen vor der Tür tobt gleichzeitig der ganz normale schreckliche Alltagswahnsinn: eine demokratische Präsidentenwahl in Ägypten, von der die intoleranten und undemokratischen Islamisten profitieren.

Wer erklärt überzeugend, was Abseits ist?

In Israel, wo es sehr viele sehr vernünftige und kompromissbereite Menschen gibt, blockiert dennoch die Siedlungspolitik alle Lösungen, weil ein paar Leute gerne glauben, dass ihnen die Bibel vor Tausenden von Jahren ein Stück Land versprochen hat, das heute anderen gehört. Wenn das nicht verrückt ist! Ganz unbegreiflich auch die katholischen Kirchenherren, in deren Reihen man sich doch tatsächlich über die wahrhaft existenzielle Frage streitet, ob wiederverheiratete Geschiedene die Kommunion empfangen dürfen. Leben diese Patres wirklich im 21. Jahrhundert? Und schließlich unsere Freunde der vermeintlich direkten und also wahren Demokratie, die vor lauter Freude über die stolpernde Bürgerdialogerei in ihrem geliebten Untergeschoss gar nicht bemerken, dass unser europäisches Haus, in dem die Mandarine und Minister verschwenderisch herrschen, keine tragfähigen demokratischen Balken hat. Wahnsinn, wo man hinschaut.

Da lob ich mir dann doch den Fußball als etwas vergleichsweise Klares, Überschaubares, auf Fairness und gesunden Menschenverstand Gebautes. Sinnvolle Regeln, prächtige Mannsbilder in bunten Gewändern. Bewundernswert ausdauernd laufen sie jeweils anderthalb Stunden hin und her und her und hin. Bisweilen brillieren sie sogar mit geradezu artistischer Ballkunst. Die gelegentlichen gewalttätigen Ausraster, mal auf dem Platz, öfter draußen, sind Peanuts im Vergleich zu dem, was Menschen sich in aller Welt tagtäglich antun. So gesehen bin ich jetzt womöglich doch auf dem Wege zum Fan. Immer vorausgesetzt, dass mir irgendwer irgendwann einmal überzeugend die Geheimnisse des Abseits erklärt.