Wenn Diktatoren erst einmal an der Macht sind, hat Widerstand kaum eine Chance – meint unsere Kolumnistin Sibvlle Krause-Burger.

Stuttgart - In Kurt Tucholskys satirischem Schulaufsatz zum Thema Hitler und Goethe, geschrieben anno 1932, steht der prophetische, einem nationalsozialistisch gesinnten Schüler in den Mund gelegte Satz: „Wenn wir zur Macht gelangen, schaffen wir Goethe ab.“

 

So geschah es. Sie kamen an die Macht, und auf der Stelle schafften sie alles Geistige und Goethische ab, verbrannten Bücher, sperrten die Intellektuellen, sofern sie nicht mitzogen, ins Konzentrationslager, folterten sie – wie Carl von Ossietzky, den Herausgeber der „Weltbühne“, wo Tucholsky und andere nazikritische Journalisten publizierten. Der Pöbel hatte die Macht ergriffen. Es herrschten Willkür, Brutalität, Mord, Unmenschlichkeit und Krieg. Nach zwölf Jahren lag Deutschland in Schutt und Asche. Millionen und Abermillionen Menschen waren tot.

An die Anfänge dieser Katastrophe musste ich denken, als ich in der vergangenen Woche auf die Ereignisse in Ägypten sah. Noch ist dort alles im Fluss, aber das Land lehrt uns schon jetzt, wie wir womöglich das Verhängnis Hitler aufgehalten hätten oder in welchem Moment Widerstand immerhin denkbar gewesen wäre.

Parallelen zwischen 1933 und 2012 drängen sich auf

Es mag verwegen erscheinen, zwei zeitlich wie räumlich so weit auseinander liegende Ereignisse zu vergleichen – das Ende der Weimarer Republik vor 80 Jahren und die aktuellen Auseinandersetzungen im Land am Nil. Doch ein paar Parallelen drängen sich geradezu auf.

Da ist zunächst eine aus freien Wahlen hervorgegangene Machtoption einer Partei mit radikal-ideologischem Programm und dem Versprechen, die Menschheit von nun an bis in alle Ewigkeit zu beglücken. Dabei spielt es keine Rolle, dass sich die einen auf die „Vorsehung“ stützten und die anderen gewiss sind, das „Allah“ mit ihnen ist. Es macht auch keinen Unterschied, ob sich eine vermeintliche Herrenrasse als auserwählt empfand oder ob sich heutzutage – wie schon so oft in der Geschichte – Gläubige im Zustand einer besonderen göttlichen Gnade wähnen. Die politische Konsequenz ist immer dieselbe.

Ein Ewigkeitsanspruch soll das totalitäre Regime rechtfertigen

Im einen wie im anderen Fall beginnt die Partei deshalb, kaum in der Macht angekommen, eine totalitäre Herrschaft zu etablieren. Ihr Ewigkeitsanspruch soll sie legitimieren – hier die Aussicht auf das tausendjährige Arierreich, dort auf die weltrettenden und allein selig machenden Verheißungen des Islam. Selbstverständlich können angesichts so hehrer Ziele die Rechte der Minderheiten oder Andersdenkenden nichts mehr gelten. Wer nicht zu diesen wunderbar Erleuchteten zählt, muss aussortiert oder „ausgemerzt“ werden. Solche Untermenschen haben entweder nicht die rassenreine Großmutter oder sind, weil ungläubig, nicht im Besitz der Wahrheit. Die ist allein bei denen, die regieren, und kann folglich auch von keinem Gericht kontrolliert werden.

Hinweg also mit der Unabhängigkeit der Justiz. Hinweg mit der Gewaltenteilung, der Freiheit der Presse, der Selbstständigkeit von Gewerkschaften und anderen gesellschaftlichen Gruppen. Gleichschaltung heißt das Panier. Spitzelwesen, Verfolgung Andersgläubiger, Straflager für Oppositionelle, Folter und Exekutionen sind die unausweichlichen Folgen solcher Machtergreifungen. Und hat sich so ein totalitäres Regime einmal etabliert, wird es nahezu unmöglich, es von innen heraus abzulösen. Der Versuch, die Mullahs im Iran zu stürzen, ist gescheitert. In Libyen mussten die Amerikaner militärisch heftig nachhelfen. Und die viel besungene friedliche Revolution in der DDR konnte nur deshalb erfolgreich sein, weil die Sowjetunion pleite war und ihr deutscher Ableger schon völlig morsch. Hätte Gorbatschow die Panzer auffahren lassen – wie einst seine Vorgänger am 17. Juni 1953 in Berlin –, die Bürger wären kaum siegreich geblieben.

Und 1933? Wurde da eine Chance verpasst, in jenem kurzen Moment, bevor die Nazis Staat und Nation vollständig über ihren Kamm geschoren hatten? Das möchte man sich gerne vorstellen: Liberale, Demokraten, Sozialdemokraten und Kommunisten Hand in Hand zu Tausenden vereint auf der Straße, die Fäuste ballend gegen den Usurpator und gegen die drohende totalitäre Diktatur. Vielleicht wäre die Demokratie dann – und nur dann – noch zu retten gewesen. Vielleicht hätten protestierende Massen einen anderen Akzent gesetzt. Vielleicht.

Der offene Widerstand erfordert Todesmut

Aber da waren keine Massen wider Hitler unterwegs. Es gab keinen ins Gewicht fallenden Dissens zwischen großen Teilen der Bevölkerung und den politisch Handelnden, die, mit Ausnahme der Sozialdemokraten, dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt hatten. Die Kommunisten waren schon aus dem Parlament vertrieben oder verhaftet. Und die Reichswehr ließ alles geschehen. Auf den Straßen paradierte die SA. Da war es wohl bereits zu spät.

Nur solange die Mursis noch nicht fest im Sattel sitzen, sind ihre Schreckensregime aufzuhalten. Danach erfordert es Todesmut, gegen sie aufzutreten – ob zu Tausenden auf der Straße oder allein. Deshalb scheiterte schon Damon, den Dolch im Gewande, als er das Land vom Tyrannen befreien wollte. Und spielte die Geschichte nicht in Schillers Ballade, sondern in der Wirklichkeit, er hätte sein Vorhaben tatsächlich am Kreuze bereut.