Der Londoner Polizeichef wehrt sich gegen Vorwürfe Camerons, zu Beginn der Krawalle seien „zu wenige“ Polizisten im Einsatz gewesen.

London  - Nach den schweren Ausschreitungen in London und anderen Städten ist ein offener Streit zwischen Scotland Yard und der Regierung von Premierminister David Cameron ausgebrochen. Der amtierende Londoner Polizeichef Tim Godwin wehrte sich am Freitag gegen Vorwürfe Camerons, zu Beginn der Krawalle in den Nächten zu Sonntag und Montag seien „bei weitem zu wenig“ Polizisten im Einsatz gewesen. Die Zahl der Todesopfer als Folge der Krawalle stieg unterdessen auf fünf. Bislang wurden nach den Krawallen landesweit mehr als 1500 Tatverdächtige festgenommen. Am Wochenende ist die Polizei erneut unter Spannung, weil die Fußball-Premier-League startet.

 

Mit Blick auf Cameron und Innenministerin Theresa May sagte der amtierende Polizeichef Godwin, die Kritik komme von Leuten, die zum fraglichen Zeitpunkt „nicht da“ waren. Cameron und May machten bei Ausbruch der Ausschreitungen Urlaub.

Godwin, Stellvertreter des im Juli wegen einer Korruptionsaffäre zurückgetretenen Paul Stephenson, lobte die Polizeiarbeit während der Ausschreitungen. „Wir haben einige der besten Polizeiführer, die ich auf der Welt gesehen habe“, sagte er. „Als Ergebnis daraus konnten wir das nach ein paar Tagen im Keim ersticken“, betonte er. Bei der Auswahl der Taktik und der Zahl der Polizisten handele es sich um „Entscheidungen der Polizei“, betonte Godwin.

Cameron und mehrere Parlamentarier seiner konservativen Tories hatten die Polizeitaktik infrage gestellt und ein härteres Durchgreifen mit Gummigeschossen und Wasserwerfern gegen die Randalierer als Option zur Diskussion gestellt. Innenministerin May hatte wiederholt die Leistung der Polizisten auf der Straße gelobt, die Einsatzleitung aber unerwähnt gelassen.

Unterdessen trieben Polizei und Gerichte am Freitag fieberhaft die Aufarbeitung der Gewalttaten voran. Hunderte Verdächtige erschienen in Schnellverfahren vor Gericht. Allein in London wurden seit Beginn der Unruhen am Samstag mehr als 1000 Menschen festgenommen. Hinzu kommen mehr als 500 in anderen Städten des Landes. In Manchester wurde ein 18-Jähriger angeklagt, weil er am vergangenen Dienstag dort ein großes Bekleidungsgeschäft angezündet haben soll.

Großbildschirm zeigt Verdächtige

Die Polizei bat die Öffentlichkeit mit noch nicht dagewesenen Methoden um Mithilfe. In Birmingham etwa kam ein Großbildschirm zum Einsatz, auf dem Überwachungskamera-Bilder von Verdächtigen gezeigt wurden. Auch in den kommenden Tagen soll die Polizeipräsenz in den gefährdeten Städten weiter hoch bleiben, damit die seit Donnerstag eingekehrte Ruhe hält.

In der Nacht zum Freitag war die Zahl der bei den tagelangen Krawallen getöteten Menschen auf fünf gestiegen. Ein 68 Jahre alter Mann starb an seinen schweren Verletzungen. Nach Augenzeugenberichten war er am Montag in London von Randalierern schwer verprügelt worden, als er ein Feuer austreten wollte. Die Polizei nahm einen 22-Jährigen unter Mordverdacht fest.

In der Nacht zum Freitag war es zum zweiten Mal in Folge ruhiggeblieben. Seit vergangenen Samstag war bei zahlreichen Brandstiftungen und Plünderungen ein Sachschaden von vorläufig geschätzten 200 Millionen Pfund entstanden. Die Regierung will die betroffenen Kommunen und Ladenbesitzer mit Millionen-Hilfen unterstützen.

Das riesige Polizeiaufgebot in vielen britischen Städten zum Schutz vor Ausschreitungen soll bis auf weiteres aufrechterhalten werden. „Wir werden die Zahl für eine gewisse Zeit aufrechterhalten“, kündigte Innenministerin Theresa May am Freitag an. Allein in London waren in den vergangenen Tagen 16.000 Polizisten unterwegs.

Am Wochenende ist die Polizei besonders unter Spannung, weil sie auch den Saison-Start der englischen Premier League mit Hunderttausenden Zuschauern absichern muss. „Wir hatten jetzt einige ruhigere Nächte“, sagte May. „Aber wir sind deswegen nicht selbstgefällig.“ Es würden auch weiterhin Polizisten aus ruhigeren Gegenden nach London und in die anderen betroffenen Städte gebracht.