Nach den Krawallen der Ostertage in Nordirland fragt man sich dort bang, ob die Lage in den nächsten Wochen eskalieren wird. Steht ein Sommer schwerer Unruhen bevor?

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

Belfast - In großer Sorge sieht man in Nordirland einem Sommer potenzieller Unruhen entgegen, nachdem schon die Ostertage in der Provinz vielerorts von Krawallen überschattet waren. Mehrere Nächte lang zogen Gruppen junger Protestanten in ihren Vierteln auf die Straßen, um dort Feuer zu entfachen und mit Steinen, Flaschen und Brandbomben gegen die Polizei vorzugehen.

 

32 Polizisten wurden bei diesen Zusammenstößen verletzt, einige davon erheblich. Zahlreiche Fahrzeuge gingen in Flammen auf. In loyalistischen Hochburgen wie Portadown und Markethill zogen vermummte Gestalten auf ungenehmigten Kundgebungen trommelnd, flötend und fahnenschwenkend durch die Straßen. In Derrys Waterside und in Newtownabbey und Carrickfergus, nahe Belfast, wurden Brandsätze und Backsteine geschleudert und Polizeibeamte attackiert.

Selbst Zwölfjährige waren unter den Randalierern

Unter den Teilnehmern an den Krawallen befanden sich nach Polizeiangaben sogar Kinder im Alter von zwölf und 13 Jahren. Die Attacken seien „eindeutig orchestriert“ gewesen, klagte Davy Beck, einer der Einsatzleiter der Polizei. „Eine kleine Gruppe frustrierter krimineller Elemente“ habe die jungen Leute offenkundig aufgehetzt.

Nordirlands unionistische Regierungschefin Arlene Foster appellierte an Kinder und Jugendliche, sich „nicht in diese Unruhen hineinziehen zu lassen“. Die Justizministerin ihrer Regierung, Naomi Long, die der um Ausgleich bemühten kleinen Alliance Party angehört, warnte vor einer Eskalation der Gewalt im Blick auf die Sommer-Saison der traditionellen pro- und anti-britischen Märsche in Nordirland: „Das muss aufhören, bevor es Leben kosten wird“, sagte sie.

Anlass des Aufruhrs war eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft

Unmittelbarer Anlass des Oster-Aufruhrs in den militantesten Protestanten-Vierteln war die umstrittene Entscheidung der Belfaster Staatsanwaltschaft von voriger Woche, keine Anklage gegen 24 prominente Republikaner zu erheben, die im Juni letzten Jahres eine spektakuläre Begräbnisfeier für einen Sinn-Fein-Veteranen organisiert und an ihr teilgenommen hatten.

Insgesamt nahmen 2000 Republikaner an dem Leichenzug teil, darunter Top-Sinn-Fein-Figuren wie Nordirlands Vize-Regierungschefin Michelle O´Neill – obwohl den Covid-Regeln zufolge höchstens 30 Personen hätten zugegen sein dürfen. Viele Loyalisten deuteten den nun verkündeten Verzicht auf Strafverfolgung als Zeichen dafür, dass auf „die andere Seite“ immer mehr Rücksicht genommen werde. Die Polizei habe im vorigen Sommer schon mal gar keine Anstalten gemacht, den Republikaner-Aufmarsch zu stoppen, meinen sie.

Viele Nordiren fühlen sich wegen des Brexits abgehängt

Das Ressentiment geht allerdings tiefer. Der britische Austritt aus der EU hat beträchtliche Probleme für die Nordiren geschaffen, die sich Großbritannien zugehörig fühlen – und die nun befürchten, dass sich post Brexit der Abstand weitet zum Rest des Vereinigten Königreichs. Immerhin willigte Tory-Premier Boris Johnson beim Brexit ein in den Verbleib Nordirlands im Zollgebiet der EU, was aber faktisch Grenzkontrollen zwischen Großbritannien und Nordirland erforderlich macht.

Nachdem Johnson die Erfordernis solcher Kontrollen anfangs schlicht leugnete, beginnen sich nunmehr zahllose Probleme abzuzeichnen. Das „Nordirland-Protokoll“, das die Kontrollen festschreibt und Teil des Brexit-Vertrages ist, steht im Zentrum dieses Streits. Sowohl Unionistenchefin Foster als auch die Führer aller loyalistischer Verbände im Protestanten-Lager fordern nunmehr Londons einseitige Abkehr von diesem Protokoll.

Das Protokoll freilich ist Voraussetzung für freien Verkehr im Bereich der gesamten „Grünen Insel“ – wie es das Belfaster Abkommen von 1998, der sogenannte Karfreitagsvertrag, vorsieht, das Nordirland fast ein Vierteljahrhundert Frieden beschert hat.

Von der Brexit-Regelung, die Johnson getroffen hat, fühle sich jetzt jedenfalls eine Großzahl von Loyalisten „verraten“, erklärte der Nordirland-Spezialist Peter Shirlow gestern dem Londoner Guardian. „Es gibt da viel echte Wut, ein wirkliches Gefühl von Frustration.“ Gerade die Jüngeren hätten kein Verständnis für das, was sie als „ewige Zugeständnisse“ an die irisch-katholische Seite sähen: „Ständig bekommen sie zu hören, dass die andere Seite gewinnt.“