Nicht die Herkunft der in Schweden lebenden Ausländer ist ein Problem, auch nicht deren Anzahl. Problematisch ist es, dass die meisten von ihnen abgeschottet in Vorstadt-Gettos leben. Die Migranten müssten verteilt werden, sagt der StZ-Korrespondent in Skandinavien, Hannes Gamillscheg.

Stockholm - Nein, Stockholm brennt nicht. Derartige Schlagzeilen, die während der letzten Woche viele der internationalen Gazetten prägten, gehen an den Realitäten vorbei. Was brannte, in sieben unruhigen Nächten, waren Dutzende Autos, Müllcontainer, auch die eine oder andere Schule und Polizeistation. Das ist schlimm genug, aber kein Grund, die schwedischen Hauptstadt im Ausnahmezustand zu wähnen, und dass die Außenministerien in Washington und London jetzt ihre Bürger vor Reisen dorthin warnen, ist eine groteske Überreaktion.

 

Auch das „schwedische Modell“ ist nicht zerbrochen, und die Unruhen sind nicht die Demontage des multikulturellen Zusammenlebens, die viele Zuwanderungsgegner jetzt gerne sehen wollen. Die Jugendkrawalle, die Stockholm eine Woche lang plagten und zuletzt auch auf andere Städte übergriffen, sind eine schwere Niederlage der Integrationspolitik und eine Herausforderung für die Gesellschaft. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Schweden ist so großzügig wie kaum ein Land

Die Probleme, die jetzt durch brennende Autos und Steinhagel gegen Uniformierte sichtbar wurden, auch wenn sie schon seit langem schwelen, haben wenig mit Ethnizität zu tun und noch weniger mit Religion, aber viel mit Klasse, Lernfähigkeit und sozialen Normen. Es stimmt, dass Jugendliche aus Zuwandererfamilien aus überwiegend muslimischen Ländern bei den Randalen den Ton angaben. Aber auch die engagierten Mitbürger, die durch ihre Anwesenheit und durch gutes Zureden die Randale zu dämpfen vermochten, bestanden überwiegend aus Vätern, Freunden, Imamen und Sozialarbeitern mit dem gleichen ethnischen und religiösen Hintergrund. Wie sollte es auch anders sein? In Vororten wie Husby, Rinkeby oder Fittja kommen mehr als 80 Prozent der Bewohner aus anderen Kulturen, und daher prägen sie dort das Bild, im Schlechten wie im Guten.

Es stimmt nicht, dass Schweden seinen Migranten keine Chancen gibt, wie manche Randalierer behaupten. In kaum einem anderen Land steht der Staat den neuen Bewohnern so großzügig bei, nirgendwo sonst in Europa hat die Integration so tiefe Wurzeln. Schon in den siebziger Jahren, als man in anderen Ländern noch von Gastarbeitern sprach, die wieder heimreisen würden, sah man in Schweden ein, dass die Zuwanderer kamen, um zu bleiben. Es war leichter, kulturell nahestehende Finnen, arbeitsame Griechen und gut ausgebildete Chilenen einzugliedern, die damals die größten Ausländergruppen darstellten, als die von Bürgerkrieg und Not traumatisierten Iraker, Somalier und Palästinenser, die jetzt die Zuwanderung dominieren. Doch es gibt auch heute Beispiele genug von Menschen, die ihre Chance nutzen. Im öffentlichen Leben und der öffentlichen Debatte spielen neue Bürger, deren Akzent und Namen zeigen, dass sie nicht in Schweden geboren wurden, eine immer größere Rolle.

Eine neue Unterklasse, eine Parallelgesellschaft

Das ist die eine Wirklichkeit, die positive. Die andere spiegelt sich in der Hoffnungslosigkeit wider, die die Betonviertel rund um die Großstädte prägt. Denn während die Rollenmodelle bei ihrem Aufstieg in der Gesellschaft weiterziehen in eine „schwedischere“ Nachbarschaft und ihre Kinder in die Eliteschulen schicken, bleiben die sozialen Verlierer in den Vororten hängen. Und neue Zuwanderer ohne Kenntnisse der schwedischen Sprache, Kultur und sozialen Gewohnheiten ziehen dorthin, wo die Probleme ohnedies schon am größten sind. So kommt es, dass in der Stockholmer Innenstadt 97 Prozent der Grundschüler die Schule mit positiven Zensuren in allen Fächern verlassen, in Hjulsta aber nur 29 Prozent. Jeder fünfte 15-Jährige in Husby geht überhaupt nicht zur Schule. Vier von zehn 20-Jährigen haben weder Arbeit noch einen Ausbildungsplatz, und viele haben den Glauben an die Zukunft verloren.

Es ist diese Trennung, diese Absonderung, die die Wurzel des Übels ist, nicht die Zahl der nach Schweden eingewanderten Ausländer oder deren Herkunft. Mit einem Schlüssel, der die Migranten über das ganze Land verteilt, könnte Schweden ohne weiteres verkraften, dass 15 Prozent der Einwohner außerhalb des Landes geboren sind. Doch so bekommt man eine neue Unterklasse mit anderen sozialen Normen, eine Parallelgesellschaft, die ihre Informationen über die in die alte Heimat gerichteten Parabolantennen bezieht, und die mit ihrer schwedischen Umgebung nicht viel mehr zu tun hat als die monatliche Überweisung der Sozialhilfe.

Die Jugendlichen, die in Stockholms Vororten Steine schleudern, brauchen erwachsene Vorbilder, die ihnen klarmachen, dass in Schweden jeder etwas werden kann, ungeachtet Herkunft, Hautfarbe und Religion. Dass der schwedische Staat und seine Organe nicht Feind sind, sondern Helfer. Die vielen, die am Wochenende auf die Straßen gingen, um die Unruhen zu stoppen, haben gezeigt, dass sie diese Funktion übernehmen könnten.