Wie wichtig ist die Kreativwirtschaft fürStuttgart? Welchen Einfluss haben Werber, Filmer, Musiker auf diese Stadt? Welche Nachteile hat Stuttgart gegenüber Berlin, Köln und Hamburg? Ein Überblick über die Agenturszene.

Stuttgart – Will man verdeutlichen, welchen Einfluss die hiesige Kreativwirtschaft auf die Entwicklung eines ganzen Stadtteils haben kann, sollte man dem Stöckach einen Besuch abstatten. Am besten in einer Mittagspause. Dann hasten Heerscharen von schönen jungen Menschen durch das Viertel auf der Suche nach einer warmen Mahlzeit. Hier hat kein Hipsterpensionat Freigang, nein, die Angestellten der Agenturen Jung von Matt und Fischer Appelt streunern zwischen Projekten und dem nächsten viralen Hit durch den gut durchmischten analogen Stöckachkosmos.

 

Die Neckarstraße 155 beherbergt zwei renommierte Vertreter der hiesigen Kreativwirtschaft: FischerAppelt und Jung von Matt, zwei Agenturen der Werbe-Szene. Autoren, Filmemacher, Gestalter und Moderatoren kümmern sich hier um die professionelle Organisation von Werbung, Public Relations, Film und Digital Marketing. 2010 ist Jung von Matt in das ehemalige Arbeitsamt gezogen. Seit insgesamt 14 Jahren ist die Agentur in Stuttgart vertreten, vorher war sie in der Innenstadt zu finden. Aktuell arbeiten 150 Mitarbeiter hier. Die Agentur verantwortete jüngst die WM-Kampagne für Mercedes-Benz, hat Großkunden wie Jack Wolfskin, Edeka und Obi. Der im Netz gefeierte DHL-Clip, bei denen anderen Lieferdiensten ein riesiges Päckchen der Post-Tochter untergejubelt ist, wurde in Stuttgart gedreht.

Zwei Agenturen mit 250 Mitarbeitern am Stöckach

Einer der Jung-von-Matt-Geschäftsführer in Stuttgart ist der gebürtige Schwabe Achim Jäger. Jäger betont, dass die Kreativwirtschaft in Stuttgart einen „sehr guten Stand“ habe. Er hebt die Qualität der Designateliers in Stuttgart und der Filmakademien in Ludwigsburg hervor. Der Stuttgarter Osten und der Stöckach seien „frisch, frech und urban“. Auch die Bedingungen dort seien gut: „Die Mieten sind erträglich, das legt viel Potenzial frei.“

Zum Rauchen geht man bei Jung von Matt vor die Türe. Dort kann es passieren, dass man Kollegen der Agentur FischerAppelt auf eine Zigarette trifft. Die Mitarbeiter der beiden Kreativschmieden sind nur durch ein Stockwerk voneinander getrennt, man kennt und schätzt sich. Fischer Appelt hat Ableger in Berlin oder Doha in Qatar – wie passt der Stöckach in diese Aufzählung? Geschäftsführer Mirco Völker erklärt das so: „Stuttgart ist eine wirtschaftsstarke Region, das zieht natürlich.“

Das geeignete Umfeld für die Kreativen fehlt noch

Für FischerAppelt sind Filmakademie und Hochschule der Medien ein guter Markt, um junge Talente anzuwerben. Die Agentur beschäftigt in Stuttgart mittlerweile 100 feste Mitarbeiter. Völker gibt sich weniger enthusiastisch in Bezug auf die Standortqualität als Jäger: Natürlich landeten die größten Talente in Hamburg und Berlin, es sei jedoch zu beobachten, dass einige Kreative wieder zurückkehren in die Region. Solche Rückkehrer „hätten einen guten Einfluss auf die Entwicklung“.

Spricht man mit den Protagonisten der Stuttgarter Kreativwirtschaft, wird auch außerhalb von Jung von Matt oder Fischer Appelt immer wieder betont, wie wichtig die so genannten weichen Faktoren für die Ansiedlung der Kreativbranche sind. Etwas überspitzt gesagt, braucht der geneigte Kreative eine reichhaltige Club- und Popkultur-Szene, um kreativ zu sein. Solange man in Stuttgart aber darüber diskutiert, wie viel Müll beim Internationalen Trickfilmfestival (ITFS) auf dem Schlossplatz produziert wird, anstatt sich über den Imagewinn durch das ITFS zu freuen, solange schreckt das Kehrwochenklischee Kreative davon ab, nach Stuttgart zu ziehen.

Sind Kreative die besseren Stadtplaner?

Gerade im Bereich Film macht das immer noch angestaubte Image der Region Schwierigkeiten: „Es siedeln sich nicht so viele Leute an, wie das mit der Gründung der Filmakademie geplant war,“ erklärt Norbert Henning, Absolvent der Film-Aka, mittlerweile selbstständig in der Bewegtbildberatung tätig. „Als Standort kämpfen wir bei den ,Softfacts’ gegen Berlin, Hamburg, München und Köln. Oft lernen die Leute Stuttgart und die Region gar nicht richtig kennen, weil sie nur in Ludwigsburg auf dem Campus sitzen.“ Christian Dosch, Leiter der Film Commission der Region Stuttgart, denkt bei der Aufhübschung Stuttgarts noch einen Schritt weiter: „Meine Empfehlung? Den Kreativstandort nicht auf die einzelnen Branchen begrenzen, sondern Stuttgart als Stadt kreativ entwickeln. Manchmal sind Kreative die besseren Stadtplaner.“

Dosch hat Recht: Schon jetzt fungiert zum Beispiel das Römerkastell als Stadtteilzentrum für den Hallschlag. Ab 2015 sollen am Römerkastell neue Laden- und Büroflächen entstehen, dank derer sich das ganze Viertel weiterentwickeln könnte. Am Stöckach hatte die Ansiedlung von Jung von Matt übrigens ganz konkrete Auswirkungen auf die Gastronomie: Das vietnamesische Lokal Lúc Lác zog nur wegen der Agentur an die Neckarstraße. Zuvor war das Restaurant in der Stadtmitte zuhause gewesen und hatte als inoffizielle Jung-von-Matt-Kantine fungiert. Als die Werber in den Osten gingen, zog der Gastronom einfach mit. So geht kulinarische Stadtentwicklung.

In den kommenden Wochen stellen wir Protagonisten der Stuttgarter Kreativszene vor.