Seit Jahren wird darüber gestritten, ob Handystrahlen Krebs auslösen können: Zwar weisen immer wieder Studien auf einen möglichen Zusammenhang hin, viele andere aber geben eher Entwarnung. Nun sorgen zwei neue Untersuchungen für erneute Diskussionen.

Sydney/Washington - Die Frage ist so alt wie die Handys selbst: Können Mobilfunktelefone Krebs auslösen? Seit Jahren wird darüber gestritten: Zwar weisen immer wieder Studien auf einen möglichen Zusammenhang hin, viele andere aber geben eher Entwarnung. Nun sorgen zwei kürzlich veröffentlichte Untersuchungen für erneute Diskussionen – wobei sich das bekannte Muster wiederholt: So gibt die Studie in den USA Hinweise auf ein leicht erhöhtes Krebsrisiko im Tierversuch. Aus einer Langzeitstudie aus Australien lässt sich dagegen kein Nachweis für erhöhte Krebszahlen in der Bevölkerung ableiten.

 

Zunächst zu der US-Studie, die von der Regierung für 25 Millionen US-Dollar (22,4 Mio Euro) in Auftrag gegeben wurde. Für das verantwortliche Nationale Toxikologie Programm (NTP) war es nach eigenen Angaben das bisher „größte und komplexeste“ Studienprogramm, das je von dieser Organisation bearbeitet wurde. Mehr als 2500 Ratten und Mäuse wurde dabei mit Mikrowellen der beiden in den USA gängigen Übertragungstechnologien GSM und CDMA bestrahlt – und das ununterbrochen über einen Zeitraum kurz vor der Geburt bis zum Alter von zwei Jahren. Der Rhythmus blieb dabei stets gleich: zehn Minuten Bestrahlung, zehn Minuten Pause. Da dies täglich über etwa 18 Stunden stattfand, waren die Tiere rund neun Stunden der Mobilfunkstrahlung ausgesetzt – so lange telefoniert wohl kaum ein Handy-Nutzer. Bei den Ratten waren es 900 Megahertz-Frequenzen im GSM sowie CDMA-Standard, bei den Mäusen 1900 Megahertz.

Männliche Ratten erkrankten vermehrt an Tumoren in Gehirnen und Herzen

Nun liegen die ersten Ergebnisse für Ratten vor – die Untersuchungen an den Mäusen werden noch fortgeführt. Erst Ende 2017 sind die gesamten Resultate verfügbar. Allerdings ist das jetzt veröffentlichte Zwischenergebnis einigermaßen überraschend: „NTP fand niedrige Häufigkeiten von Tumoren in den Gehirnen und Herzen von männlichen Ratten, aber nicht in weiblichen Ratten“, heißt es im Kurzreport der NTP. Betroffen waren im Gehirn die Gliazellen. Diese stützen und umhüllen die Nervenzellen. Bei den Gliazellen kam es sowohl zu Vergrößerungen als auch zu bösartigen Tumoren. Am Herz war eine bestimmte Form der Gliazellen betroffen, die Schwann’schen Zellen, die ebenfalls die Nervenzellen umhüllen. Hier entwickelten sich in einigen Fällen gutartige Geschwülste, sogenannte Schwannome.

Das Forscherteam um Michael Wyde sieht diese Befunde „wahrscheinlich als Ergebnis der Ganzkörper-Bestrahlung mit GSM oder CDMA-modulierten Radiofrequenzen“. Von den jeweils 90 der Strahlung ausgesetzten männlichen Ratten in den sechs Testgruppen bekamen bis zu drei Tiere Gliatumore im Gehirn und bis zu sechs Ratten Herzgeschwülste. Die 90 Kontrolltiere zeigten keine dieser Veränderungen. Als statistisch signifikant können diese Ergebnisse nicht eingestuft werden. Außerdem ist anzumerken, dass in der Kontrollgruppe ungewöhnlicherweise kein einziger Tumor festgestellt wurde – sonst wäre der Unterschied noch geringer.

Bei weiblichen Ratten gab es keine krankhaften Auffälligkeiten

Bei weiblichen Ratten gab es erst recht „keine statistisch signifikanten oder offensichtlich mit der Bestrahlung verbundenen Effekte auf das Vorkommen von Schwannomen im Herz oder anderen Teilen des Körpers“. Auch bei den Gliazellen im Gehirn wurden bei den weiblichen Tieren weder Tumore noch übermäßiges Wachstum festgestellt. Eine Erklärung für diese Beobachtung gibt es (noch) nicht. Sie ist für Kritiker aber Anlass, die Ergebnisse der Studie insgesamt in Frage zu stellen. Dazu passt auch eine weiteres Ergebnis der Studie: Die bestrahlten Ratten lebten im Schnitt sogar länger als die Tiere der Kontrollgruppen.

Bemerkenswert ist andererseits, dass die jetzt gefundenen Tumortypen genau denjenigen entsprechen, die bereits in früheren Studien mit Handystrahlung in Verbindung gebracht worden waren. Diese Ergebnisse führten im Jahr 2011 die Weltgesundheitsorganisation WHO dazu, Handystrahlung als „möglicherweise krebserregend“ einzustufen. Anzumerken ist, dass für die WHO beispielsweise auch Kaffee als möglicherweise krebserregend gilt.

Beim Menschen wurde keine erhöhte Zahl an Krebserkrankungen festgestellt

Neben der US-Studie ist dieser Tage noch eine australische Langzeit-Untersuchung über 30 Jahre hinweg zu den Wirkungen von Handystrahlung veröffentlicht worden – in diesem Falle nicht auf Tiere, sondern auf Menschen. „Wir fanden keinen Anstieg bei der Gehirntumor-Häufigkeit, die dem steilen Anstieg der Mobilfunk-Nutzung entsprochen hätte“, berichten Simon Chapman und Mitautoren im Fachblatt „Cancer Epidemiology“.

Die Grundlagen lieferte das Krebsregister Australiens, für das zwischen 1982 und 2012 die Hirntumor-Diagnosen von 19 800 Männern und 14 200 Frauen zwischen 20 und 84 Jahren ausgewertet wurden. Seit 1987 stieg in Australien die Zahl der mobilen Telefonierer stetig – 2014 waren es 94 Prozent der Bevölkerung. Eine deutliche Steigerung bei den Krebsfällen war trotz des Handy-Booms nicht zu verzeichnen. Der in diesem Zeitraum beobachteten geringe Anstieg der Diagnosen bei Männern könne mit besseren Diagnosemethoden erklärt werden, so die Forscher. Kritisch anmerken lässt sich hier, dass die Latzenzeit für die Entwicklung von Hirntumoren möglicherweise noch nicht lange genug ist – schließlich verbreiteten sich die Handys so richtig erst seit 10 bis 15 Jahren.

Weitere Studien sind in Vorbereitung

Die Diskussion um potenzielle Gefahren durch die Mikrowellen-Strahlung von Mobiltelefonen dürften nach diesen neuen Studien auch in Zukunft mit einiger Leidenschaft weitergeführt werden – und mit den jeweils „passenden“ Forschungsergebnissen belegt werden. Völlig unberechtigt ist dies nicht, wie auch die Autoren der US-Studie ausführen: Angesichts der riesigen Verbreitung der Mobiltelefone und ihrer Strahlung könne selbst ein kleiner negativer Effekt eine große Auswirkung auf die öffentliche Gesundheit haben.

So kann man sich schützen

Risiko:
Weltweit wollen die Gesundheitsbehörden derzeit eine mögliche Gefahr beim mobilen Telefonieren nicht völlig ausschließen. Wenn es ein solches gebe, dann sei es allerdings „wahrscheinlich sehr klein“, stellt beispielsweise die für Nahrung und Medikamente zuständige US-Behörde FDA fest. Die Fachleute empfehlen daher, eventuelle Risiken so weit wie möglich zu reduzieren – wobei einige Verhaltensmaßregeln hilfreich sind.

Abstand:
Je weiter das Handy dank Kopfhörer und Mikrofon (Headset) vom Ohr entfernt ist, desto besser. Eine Funkverbindung via Bluetooth produziert allerdings ebenfalls Strahlung.

Zeit
Wenig erfreulich für Vieltelefonierer ist der Rat, die Telefondauer mit dem Handy am Ohr so weit wie möglich zu reduzieren.

Abschirmprodukte:
Laut der US-Gesundheitsbehörde FDA haben Studien gezeigt, dass Produkte, welche die Handystrahlung abschirmen sollen, nicht so arbeiten, wie es die Werbung verspricht. Im Gegenteil: Oft wird die Sendeleistung und damit die Strahlung erhöht – ähnlich wie im Aufzug oder in einem Tunnel.