Falsch berechnete Zinsen sind ein gutes Geschäft für die Banken. Doch inzwischen landen immer mehr Streitfälle vor dem Kadi. Allerdings verfolgen die Gerichte keine einheitliche Linie – sehr zum Ärger der Kunden

Stuttgart - Hans M. ärgert sich heute noch. Leider habe er sich auf den Vergleichsvorschlag des Oberlandesgerichts Stuttgart eingelassen, sagt der frühere geschäftsführende Gesellschafter eines IT-Unternehmens aus Ditzingen. Aber gleich zu Beginn des Berufungsverfahrens sei ihm klar geworden, dass er keine Chance habe, ein für ihn ähnlich günstiges Urteil wie zuvor vor dem Landgericht Stuttgart zu erreichen. Und vor den Bundesgerichtshof zu ziehen und dafür schätzungsweise 50 000 Euro an Gutachter-, Anwalts- und Gerichtskosten zu zahlen, konnte er sich nicht leisten. So sei ihm nichts anders übrig geblieben, als gegenüber seiner Hausbank, der BW-Bank, einzuknicken.

 

Mit dem Ergebnis, dass er statt der ihm schon zugesprochenen knapp 300 000 Euro jetzt lediglich 160 000 Euro von der Bank erstattet bekam und zudem noch Verfahrens- und Gutachterkosten bezahlen muss. „Und das, obwohl wir in der ersten Instanz haushoch gewonnen haben“, empört sich Hans M. Das Problem sei gewesen, dass das OLG an der Korrektheit eines von ihm in Auftrag gegebenen Gutachtens gezweifelt hätte.

Der Unternehmer sah keinen Spielraum für Verhandlungen

Worum ging es konkret? Um ganz alltägliche Bankgeschäfte: die Finanzierung eines IT-Dienstleistungsunternehmens über Kontokorrentkredite. Jahrzehntelang hatte der Geschäftsführer die Kredite genutzt. Immer wieder hatte die Bank den Zinssatz verändert, teilweise auch Überziehungsgebühren verlangt. Hans M. hatte darauf vertraut, dass die BW-Bank ihn nicht über den Tisch zieht. Verhandlungsspielräume sah er nicht. Da der Betrieb einige Jahre Verluste machte, dachte er, er müsse schon froh sein, wenn ihm die Kreditlinien nicht gekündigt werden.

Erst als er die Zinszahlungen durch einen unabhängigen Gutachter, den Vorsitzenden des Bundesverbandes der Kreditsachverständigen und Kontenprüfer (BVKK), untersuchen ließ, war es vorbei mit dem Vertrauen in seine Hausbank. 291 792 Euro hatte ihm die LBBW in den Jahren 1998 bis 2011 nach Berechnungen des Gutachters zu viel abgeknöpft – in der Hauptsache wegen überhöhter Zinsen (rund 216 000 Euro), aber auch wegen zu hoher Überziehungsgebühren und unrichtiger Wertstellungszeitpunkte. Hans M. war fassungslos. Sofort verlangte er von dem Institut, ihm die zu viel bezahlten Zinsen und Gebühren zu erstatten. Das war am 6. August 2012. Die Reaktion erfolgte blitzschnell. Noch am selben Tag wies die Bank die Ansprüche des IT-Spezialisten zurück.

Das Landgericht gab Hans M. Recht

Daraufhin zog Hans M. vor Gericht. Vor der 6. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart erhielt er am 19. September 2013 vollumfänglich Recht (Az.: 6 O 1/13). Die Ansprüche des Unternehmers seien nicht verjährt, stellte die zuständige Richterin fest. Auch die vierteljährlich von der Bank verschickten Mitteilungen über die jeweils angefallenen Zinsen und den Kontostand bedeuteten nicht, dass Hans M. durch deren Kenntnisnahme seine Ansprüche gegen die Bank verwirkt habe. Allerdings liege die Beweislast bei ihm und nicht bei dem Finanzinstitut. Doch anders als später das OLG zweifelte die Richterin auch nicht daran, dass das privat in Auftrag gegebene Gutachten korrekt sei.

Die Argumentation der Bank, dass es sich nicht um Zinsänderungen in einem bestehenden Kreditvertrag, sondern um jeweils neu abgeschlossene Verträge mit neuen Laufzeiten und neuen Zinssätzen gehandelt habe, ließ das Landgericht nicht gelten. Vielmehr habe sich das Geldhaus durch die Kredite unzulässig bereichert. Hans M. sei „entgegen den Geboten von Treu und Glauben“ unangemessen benachteiligt worden. Die damals von der Landesbank-Tochter verwendeten Klauseln seien zu unpräzise: Weder sei der Umfang der möglichen Zinsänderungen noch eine Verpflichtung der Bank, günstigere Refinanzierungen an den Kunden weiterzugeben, darin enthalten.

Sachverständige sprechen von systematischen Fehlern

Hans M. steht mit seinem Problem nicht allein da. Die Kreditsachverständigen vom BVKK fertigen jedes Jahr mehr als 200 Gutachten zu Zinsberechnungen an. Ralph Brendel, der Verbandsvorsitzende, hält die Fehler der Institute für systembedingt. Es sei völlig üblich, dass verkehrt gerechnet werde. Die Abweichungen könnten bis zu fünf Prozentpunkte betragen. Er kenne Fälle von Privatbanken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken wie der Ärzte- und Apotheker-Bank (Apo-Bank). Allein für Kunden der Apo-Bank seien mehr als 80 Gutachten erstellt worden, berichtet Brendel. Bei der Landesbank, so teilte diese auf Anfrage mit, gebe es abgesehen von dem geschilderten Fall „keine vergleichbaren weiteren Rechtsstreitigkeiten“.

Quer durch die Republik beschäftigen sich Gerichte mit solchen Fällen, die Unternehmer, Freiberufler, aber auch Privatleute betreffen. Es geht um Baufinanzierungen, Überziehungskredite auf dem Girokonto und auch Sparverträge mit variablen Guthabenzinsen. Streitsummen von mehreren hunderttausend Euro sind keine Seltenheit. Überzogene Zinsforderungen können ein Unternehmen sogar in die Insolvenz treiben. Kommt der Zinseszinseffekt zum Tragen, schießen die Streitwerte exponentiell nach oben.

Der Bundesgerichtshof hat keine eindeutigen Vorgaben gemacht

Bei den Urteilen ist keine klare Linie zu erkennen. Das Problem ist, dass es bisher keine eindeutigen Vorgaben des Bundesgerichtshofes gibt. Dieser hat sich zwar mehrfach mit den Zinsanpassungsklauseln beschäftigt, zuletzt 2009 und 2010, aber den unteren Instanzen viel Interpretationsspielraum gelassen. Die Einzelfallprüfung sei für die Gerichte eine ziemliche Last, klagt Dietrich Brand, der als Richter am OLG Stuttgart mehrere Fälle zu dem Thema bearbeitet hat. Er und seine Kollegen müssten jeden Vertrag gesondert „auslegen“, obwohl Kredite und Sparverträge doch ein Massegeschäft seien. Bei Verträgen, die standardisierte Anpassungsklauseln enthielten, etwa „die Anpassung erfolgt in angemessener Weise“, sei es zu Falschberechnungen gekommen, sagt Brand.

Die Banken müssen ihre Refinanzierung von Krediten nach wie vor nicht im Detail offen legen. In den Geschäftsbedingungen muss jedoch ein allgemein bekannter Referenzzinssatz festgelegt werden, an dem sich die Höhe der dem Kunden berechneten Zinsen jeweils bemisst. Häufig ist das in der Praxis der Drei-Monats-Euribor. Bei der Neuberechnung der Zinsen muss über die gesamte Laufzeit der relative Abstand zwischen Vertragszins und Referenzzins eingehalten werden. Trotz dieser relativ klaren Vorgabe finden Banken Hintertürchen, dieses sogenannte Äquivalenzprinzip zu umgehen.

Um ihre Rechte geltend zu machen, müssten die Kunden zunächst ihre Bank auffordern, die Zinsen neu zu berechnen, sagt Richter Brand. Verbraucherschützer raten, sich bestätigen zu lassen, dass man mit der Bank hierüber verhandle. Ansprechpartner sind auch die Ombudsleute der jeweiligen Bankenverbände. Brand rät davon ab, private Gutachter zu beauftragen. Die Gerichte akzeptierten die von den Gutachtern verwendeten Methoden nicht unbedingt. Schwierig einzuschätzen ist für Verbraucher zudem, welche Verjährungsfristen die Juristen für gültig erachten.

Nicht jeder Bankkunde will und kann sich auf einen langwierigen Rechtsstreit einlassen, so wie Hans M. das getan hat. Ob er heute noch Kunde der BW-Bank sei? Aber sicher, antwortet der Unternehmer, der inzwischen als Logistikberater tätig ist. Im Endeffekt sei es doch „völlig egal, bei welcher Bank man sein Konto führe.“