Das Coronavirus macht der Versorgung zu Hause zu schaffen. Ältere Patienten sind verunsichert.

Kreis Böblingen - Das Coronavirus stellt das Leben vieler Pflegekräfte auf den Kopf: Seit vier Jahren pflegt Dorothea Kobiak ihre 89-jährige Patientin in deren Wohnung in Magstadt. Sie kocht für sie, geht einkaufen. Nach einigen Monaten im Einsatz fährt die 46-jährige Pflegerin wieder zurück in ihre Heimat nach Polen. Jetzt aber kann sie das nicht, sie will den Kontakt zu anderen möglichst vermeiden. „Das Virus macht mir Angst“, sagt sie.

 

Seit dem Ausbruch des Coronavirus in Deutschland sind es vor allem ältere Menschen, die sich vor einer Ansteckung fürchten. Immer mehr Menschen etwa sterben in Altersheimen oder Pflegeeinrichtungen. Solche Nachrichten gehen an niemandem spurlos vorüber. Besonders nicht an Alten, ihren Angehörigen, ihren Pflegern. Die Arbeit der Letzteren wird seither deutlich erschwert. Denn Pfleger und Pflegerinnen versuchen nicht nur, die Sicherheitsmaßnahmen möglichst hoch zu halten und eine Infektion zu verhindern. Es fehlt auch zunehmend Personal, das bereit ist, in Deutschland den Dienst anzutreten.

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Die Sofiapflege in Leonberg vermittelt für etwa 350 Familien im Land Pflegekräfte, die sich rund um die Uhr um ältere und kranke Menschen in deren Zuhause kümmern. Knapp 150 Familien sind es im Kreis Böblingen, auch der Einsatzort von Dorothea Kobiak gehört dazu. Alle Pfleger kommen aus Osteuropa, wohnen im Haus ihrer Kunden und fahren dann wieder zurück in ihre Heimländer Polen, Rumänien, Lettland. Mit dem Ausbruch des Virus hat sich einiges verändert.

Angespannte Lage

„Die Situation ist sehr angespannt“, klagt Nicole Heidt von der Leonberger Pflegeagentur. Viele Mitarbeiter wollten nicht aus ihren Ländern in Osteuropa weg. Auch dort seien die Schulen geschlossen, die Kinder müssten versorgt werden. Viele Pfleger fürchteten sich vor dem Virus in Deutschland, wo die Corona-Fallzahlen deutlich höher sind als in ihren Ländern. Andere ließen sich von den mehr als zehnstündigen Wartezeiten an den Landesgrenzen abschrecken.

Es sind im Prinzip die gleichen Gründe, warum auch Saisonarbeiter nicht auf die Spargelfelder nach Deutschland kommen. Mit dem Unterschied, dass fehlende Pflegekräfte über Leben und Tod entscheiden. Sie sind daher systemrelevant.

Der Verband für häusliche Betreuung und Pflege rechnet damit, dass von Ostern an 100 000 bis 200 000 Menschen „schrittweise nicht mehr versorgt werden, dass sie alleine zuhause bleiben und dass sie dann schließlich in Altenheimen oder Kliniken versorgt werden müssen“, sagte der Geschäftsführer Frederic Seebohm dem ARD-Politmagazin „Report Mainz“.

Etwa 40 Mitarbeiter haben der Sofiapflege bisher signalisiert, dass sie für Aufgaben in Deutschland nicht mehr zur Verfügung stünden. Eine Gefahr für die bestehenden Kunden gebe es im Moment nicht, betont Nicole Heidt. Das fehlende Personal werde bislang durch Zusatzschichten anderer Kräfte ergänzt. Oder Familien pflegten die Angehörigen selbst. Neukunden aber könnten in der jetzigen Situation nicht aufgenommen werden.

Pfleger dringend gesucht

Die Agentur sucht Ersatz. Neue Pfleger lockt sie nun mit bis zu 15 Prozent mehr Gehalt. Wer sich darauf einlässt, muss aber auch erstmal nach Deutschland gelangen. In Zeiten von Corona ist das nicht einfach. Zwar hat die Bundesregierung am Mittwoch die Einreise für Pflegekräfte aus anderen Ländern erlaubt, faktisch aber bleiben Hürden bestehen: Die meisten Flüge sind gestrichen worden, Busunternehmen wie Flixbus haben die Reisen eingestellt. Auch Bahnfahrten sind schwieriger geworden. Um die Einreise zu ermöglichen, werden Pflegeagenturen zu Reisebüros, wie man sie eher aus Zeiten des Schwarz-Weiß-Fernsehens kennt. Um Personal aus Polen nach Sindelfingen zu bringen, fliegt ein Flugzeug von dort nach Frankfurt, am Flughafen holt ein Fahrer die Leute ab und bringt sie in den Kreis Böblingen. „Der Organisationsaufwand ist ein Gewaltakt“, sagt Nicole Heidt.

Wann Dorothea Kobiak wieder in ihre Heimat fährt, weiß sie nicht. Seit November ist sie in Magstadt im Einsatz. Bis Mai, so sagt sie, werde sie noch mindestens in Deutschland bleiben. „Bis dahin sind hoffentlich weniger Menschen angesteckt.“