Die Gewerkschaft kritisiert, dass Betriebe ihre Zahl an Lehrstellen von der Konjunktur abhängig machen. Die Maschinenbaufirma Nagel in Nürtingen etwa will im kommenden Jahr keine neuen Auszubildenden einstellen.

Kreis Esslingen - Die Nürtinger Maschinen- und Werkzeugfabrik Nagel hat angekündigt, aufgrund der sich abwärts entwickelnden Auftragslage im kommenden Jahr keine neuen Auszubildenden einzustellen. Das wird von der IG Metall Esslingen scharf kritisiert, denn es mangle in der Branche nach wie vor an Fachkräften, teilt die Gewerkschaft in einer Pressemitteilung mit. „Wir wollen nur so viele junge Menschen ausbilden, wie wir dann auch übernehmen können“, entgegnet darauf Jochen Zeidler, der Personalreferent der Firma Nagel, die im Nürtinger Stadtteil Zizishausen ihren Hauptsitz hat.

 

Auszubildende sollen weiterhin übernommen werden

Jährlich stellt die Firma Nagel, die etwa 400 Menschen beschäftigt, rund neun junge Menschen ein, um sie zu Industrie- und Zerspanungsmechanikern, Elektronikern oder Fachkräften für Metalltechnik auszubilden. Im kommenden Jahr rückt die seit 78 Jahren bestehende Firma davon ab. In dieser langen Zeit seien „noch nie betriebsbedingte Kündigungen“ ausgesprochen worden, sagt der Personalreferent Jochen Zeidler. Und in der Regel würden alle Azubis nach ihrer Lehre übernommen. Aufgrund der sich „allgemein trübenden Wirtschaftslage“ wolle man diese Tradition nicht gefährden und im kommenden Jahr bei der Einstellung von Auszubildenden lediglich eine „kleine Auszeit“ nehmen. Das bedeute nicht, dass das Thema Ausbildung im Betrieb vernachlässigt werde. Das lasse sich allein schon dadurch erkennen, dass „wir in diesem Jahr Ausbildungsmeister eingestellt haben“, sagt Jochen Zeidler. Sobald sich die Auftragslage wieder stabilisiere und es Planungssicherheit gebe, würden auch künftig wieder junge Menschen zu Facharbeitern ausgebildet.

Für die IG Metall ist die Strategie, die Ausbildungszahlen von der Konjunktur abhängig zu machen, „zu kurz gedacht“, wie der Gewerkschaftssekretär Max Czipf erklärt. In der vergangenen Wirtschaftskrise im Jahr 2009 hätten die Betriebe zu wenig ausgebildet, „heute fehlen die Fachleute“, so Max Czipf. Bereits in diesem Jahr sei im Geschäftsbericht des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall von einer Lücke von bundesweit 311 000 Fachkräften in technischen Berufen die Rede – davon seien 140 000 allein duale Auszubildende, die in den Firmen fehlten.

Nagel kann Fachkräftemangel „kompensieren“

Die Befürchtung der Gewerkschaft, dem Maschinenbauer Nagel könnten bei einem späteren Anziehen der Konjunktur die Fachkräfte ausgehen, teilt Jochen Zeidler nicht. In den vergangenen Jahren sei „gut ausgebildet“, die Personaldecke entsprechend aufgestockt worden. In einem Aushang in der Firma, in dem die Entscheidung vom Ausbildungsstopp im Jahr 2020 begründet wird, rechnet der Geschäftsführer Bernd Nagel vor, dass in den vergangenen drei Jahren 76 Neueinstellungen nur 50 Abgänge von Mitarbeitern gegenüber stünden. Ein Personalaufbau, der freilich vor dem Hintergrund einer ausgesprochen guten Auftragslage getätigt worden sei. Jochen Zeidler ist sicher, das Unternehmen könne mit dem zur Verfügung stehenden Personal auch einen eventuellen höheren Bedarf an Fachkräften „kompensieren“.

Die IG Metall kritisiert, dass im Kreis Esslingen nicht nur in der Firma Nagel, sondern unter anderem auch beim Esslinger Automatisierungsspezialisten Festo davon die Rede sei, die Ausbildungszahlen im nächsten Jahr zu reduzieren. Festo werde auch 2020 „auf einem Niveau ausbilden, das wir bereits mehrmals in den vergangenen Jahren hatten“, teilt der Firmensprecher Heinrich Frontzek auf Anfrage mit. Er streitet aber nicht ab, dass es „immer jährliche Anpassungen gibt“, die Ausdruck der konjunkturellen Lage im Umfeld der Branche seien. Nur so könne das Unternehmen „eine bedarfsgerechte Ausbildung mit guten Perspektiven für die Auslernenden anbieten“, so Frontzek.

Gewerkschaft kritisiert „kurzfristige Personalplanung“

Der IG Metall-Sekretär Max Czipf erkennt in seinem Bezirk die Tendenz, dass die Firmen bei einem konjunkturellen Abschwung „weniger ausbilden“. Diese „kurzfristige Personalplanung“ hätten die Betriebe bereits in der vergangenen Krise an den Tag gelegt und mit einem Fachkräftemangel „teuer bezahlt“.

Ob die Bereitschaft der Firmen, Nachwuchs auszubilden, von der Konjunktur abhängt, könne die IG Metall bundesweit noch nicht verifizieren, sagt ein Gewerkschaftssprecher aus Frankfurt. Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge sei in Deutschland in den vergangenen zwei Jahren zwar wieder gestiegen, liege aber noch deutlich unter dem Niveau zu Beginn des Jahrzehnts. Bedenklich sei indes, dass der Anteil der Unternehmen, die noch ausbilden, mittlerweile auf unter 20 Prozent gesunken sei, „obwohl der Bedarf an Fachkräften hoch ist“, wie Thomas Ressel, der Leiter des Ressorts Bildungs- und Qualifizierungspolitik der IG Metall, auf Nachfrage erklärt.