Die Gesprächstherapeutin Carla Trebs hat in der Corona-Krise durch ein neues Angebot neue Klienten dazugewonnen.

Kreis Ludwigsburg - Der Flieder blüht in kräftigen Farben, die Bäume sind ein Meer aus satten Grüntönen. Die farbenfrohe, friedliche Natur ist ein Erholungsraum – er ist aber offenbar auch ein geschützter Raum für Gespräche. Das jedenfalls beobachtet Carla Trebs. Die Gesprächstherapeutin macht seit dem Lockdown ein niederschwelliges Angebot: „Geh-spräche“. „Es ist einfacher zu sagen, ich gehe spazieren als ich gehe zur Therapie“, sagt die Gesprächstherapeutin.

 

Sie selbst bewegt sich gern in der Natur. Vor wenigen Wochen, erzählt sie, habe sich bei einem Spaziergang ein Gespräch mit einer ihr fremden Person ergeben. Diese habe ihr irgendwann attestiert, sie könne gut zuhören. Für Trebs, die Mediatorin und Gesprächstherapeutin, war das der Auslöser für ein Angebot, das hinzukam, als viele bisherige Klienten wegblieben. Trebs, die in Gerlingen wohnt, verabredet sich zu Spaziergängen in der Region. Die Unterhaltung beginne oft mit Alltäglichem – zum Beispiel über die Natur, die man in diesem Moment streife. Doch bald gehe es dann um das eigentliche Thema, um innerfamiliäre Schwierigkeiten, um Ängste vor dem Jobverlust, einer Ansteckung. „Viele empfinden diese Gespräche als Auszeit, nämlich unbewertet etwas von sich geben zu können.“ Wer traue sich denn zuhause zu sagen, ihn nervten die eigenen Kinder, fragt sie. Wer traue sich zu sagen, dass einen die ständigen Einlassungen der Schwiegermutter stören oder einem zu viel sei, dass der im Homeoffice arbeitende Partner 24 Stunden um einen sei.

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Was Trebs schildert, wundert Dietrich Munz nicht. Natürlich sei die aktuelle Situation „für viele psychisch belastend“, sagt der Präsident der Landespsychotherapeutenkammer. Die – auch zu Nahestehenden – notwendige Distanz sei nicht mehr möglich.

Dazu komme die Angst im Beruf und um die eigene Gesundheit. In dieser Situation gebe es zwei Möglichkeiten: „Flucht oder Angriff vor dem, was mir Angst macht.“ Wer sich für Angriff entscheide, bekämpfe, was ihn einschränke – aber dem Virus könne man keine Vorwürfe. Der Fokus richtet sich also auf die staatlichen Restriktionen. Zumal die Bedrohung anders als etwa in Italien „relativ weit weg“ ist. „Wir müssen mit sehr viel Unsicherheit zurecht kommen“, erklärt Munz die Schwierigkeit. „Man weiß über das Virus sehr wenig, und die Politiker müssen jetzt entscheiden.“ Auch Carla Trebs berichtet aus ihren Gesprächen, dass zunehmend Unmut laut und Sympathie für die Demonstrationen gegen die Beschränkungen bekundet wird.

Experten-Telefon: 08 00 37 73 77 6

Eben weil die Belastung für die Menschen groß ist, hat das Land eine Hotline zur psychosozialen Beratung eingerichtet. Das baden-württembergischen Sozialministeriums verweist auf die kostenfreie Telefonnummer 08 00 37 73 77 6. Experten stehen dort täglich von 8 bis 20 Uhr zur Verfügung. Betreut wird die Hotline ehrenamtlich von psychologischen und ärztlichen Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendpsychotherapeuten sowie von Fachkräften, die etwa in psychiatrischen Kliniken und in Beratungsstellen arbeiten. „Das Land befindet sich in einer absoluten Ausnahmesituation“, sagt Minister Manne Lucha. Mit der Hotline solle jeder schnell professionelle Hilfe erhalten.

Die bundesweiten Demonstrationen gegen die Restriktionen wundern Munz nicht: „Wissenschaftler haben sich bereits im März damit beschäftigt, dass Verschwörungstheorien aufkommen werden, weil Situationen, die nicht glasklar sind, fast immer zu Verschwörungstheorien führen.“ Theorien, die bisweilen in die politische Diskussion einfließen.

„Ich bin Empfänger, ich bewerte nicht“

Die Frage, ob die Gefahr nicht so groß ist, oder sie nur deshalb nicht so groß ist wie befürchtet, weil rechtzeitig entsprechende Maßnahmen ergriffen wurden, „kann man wissenschaftlich nicht beweisen“, sagt Munz. Ob weniger Maßnahmen zum selben Ergebnis geführt hätten, bleibe also offen. Die derzeitige Situation wirke jedenfalls „wie ein Verstärker“ der vorhandenen Probleme, beobachtet Trebs. Ihre Rolle sei klar definiert. „Ich bin Empfänger, ich bewerte nicht“, beschreibt sie ihre Rolle. „Ich versuche, ihnen einen Weg aufzuzeigen, wie sie besser mit vorhandenen Problemen umgehen können.“ Das könne auch mal der Weg zum Psychotherapeuten sein.