Vergangene Woche hat das neue Schuljahr begonnen. Doch selten sind die Startbedingungen sowohl für die Rektoren als auch die Pädagogen so schlecht gewesen.

Kreis Ludwigsburg - Jörg Fröscher benennt zwei Schwierigkeiten, die er als Rektor in diesem Schuljahr hat: „Wir haben seit Langem einen echten Lehrermangel.“ Die Stellen gebe es, aber es fehlten die Pädagogen. 15 Jahre lang habe das Gegenteil gegolten; es habe genügend Bewerber gegeben, allein, es fehlten die Stellen, sagt der Leiter der Theodor-Heuglin-Gemeinschaftsschule im Ditzinger Stadtteil Hirschlanden. Weil in der Folge die Aussicht auf eine Schul-Karriere fehlte, orientierten sich viele junge Menschen um. Das räche sich nun, denn eine Lehrerausbildung dauere fünf bis sechs Jahre, sagt Fröscher. Unterdessen wurde der Unterrichtsbereich ausgeweitet: Ganztagsgrundschule, Inklusion, Förderstunden, Vorbereitungsklassen führt Fröscher in diesem Kontext an.

 

Viele Schulen haben gar Probleme, den Pflichtunterricht sicher zu stellen. Wolfgang Schoner von der Münchinger Flattichschule sagt, eine solche Situation habe er in seiner immerhin 23-jährigen Rektorenzeit nicht erlebt.

Lora Raiser, die stellvertretende Schulleiterin der Neckarschule Aldingen in Remseck benennt einen weiteren Grund für den Mangel: Das staatliche Schulamt biete zu selten Festanstellungen an. „Immer weniger Lehrer sind bereit, für ein Jahr eine Krankheitsvertretung zu übernehmen.“ Befristungen schreckten ab, meint auch ihre Kollegin Isolde Steigelmann von der Grundschule Sand in Bietigheim-Bissingen.

Der Lehrermangel ist auch ein strukturelles Problem

Wie Raiser musste Steigelmann kurz vor Beginn des Schuljahrs eine Lehrerstelle abgeben, weil es an einer anderen Schule einen extremen Engpass gab. Sie sieht darin auch ein strukturelles Problem: Weil die Sommerferien in Baden-Württemberg erst spät endeten, hätten viele angehende Lehrer nach ihrem Abschluss im Mai ihr Glück in anderen Bundesländern versucht. Jörg Fröscher bestätigt das. Bei ihm ist eine halbe Stelle nicht besetzt. Um den Unterricht noch zu ermöglichen, hätte mancher aus seinem Lehrerkollegium das Deputat aufgestockt. „Das geht derzeit relativ problemlos“, sagt Fröscher. Denn das Beamtenrecht mache da grundsätzlich strikte Vorgaben. Eben weil die Ferien so spät beginnen, wäre die Ankündigung weiterer 180 Stellen nicht rechtzeitig gekommen.

Beim Schulamt in Ludwigsburg sieht man den Sachverhalt anders. Die Bedarfsrückmeldungen der Grundschulen im Kreis lägen zum Schuljahresbeginn nicht über denen der Prognose, sagt Elke Schnaithmann, die stellvertretende Schulamtsleiterin. „Im Moment“ verfügten die Schulen über ausreichend Lehrer. Ungeklärt bleibt aber, wie die Situation sich ändert, wenn im Laufe des Schuljahres mehr Flüchtlingsfamilien in die Kommunen kommen oder wie in Hemmingen Baugebiete aufgesiedelt werden. Vor dieser Situation steht der Rektor Eberhard Kammerer.

63 Vorbereitungsklassen an Grundschulen im Kreis

Für das neu begonnenen Schuljahr habe man an Grund- und Gemeinschaftsschulen 63 Vorbereitungsklassen eingerichtet, insgesamt seien es sogar 96 , „das ist nahezu eine Verdoppelung“, sagt Schnaithmann. Sie gibt zu, dass Krankheitsvertretungen in diesem Jahr „vermehrt zum Einsatz“ kämen, gleichzeitig handle es sich bei den neu geschaffenen Stellen für Sprachförderung und Inklusion aber um unbefristete Stellen. Das nützt den Rektoren wenig. Denn Fröscher sagt gerade über den Inklusionsbereich: „Dort ist der Mangel eklatant.“

Pädagogen lehren oft ohne Schulung

Lehrer müssen in den Vorbereitungsklassen vor allem improvisieren.

Das neue Schuljahr hat für Lora Raiser nicht gut angefangen: „Wir mussten komplett umdisponieren“, sagt die stellvertretende Schulleiterin der Neckarschule Aldingen in Remseck. Die Grundschule hatte eine weitere Lehrerstelle mit 28 Stunden beantragt, zudem wollte sie eine Vorbereitungsklasse für Kinder mit nichtdeutscher Herkunftssprache einrichten. Beides war zugesagt, als vier Tage vor Schulbeginn doch eine Absage vom Schulamt Ludwigsburg kam. „Das war katastrophal“, sagt Raiser. Wenn nun im Oktober die nahe gelegene Erstunterbringung für Flüchtlingsfamilien bezugsfertig werde, müssen deren Kinder in die reguläre Schulklasse gehen. Eine zusätzliche Sprachförderung gebe es mangels Lehrern nur nachmittags dank Ehrenamtlicher.

Stefan Jeuk wundert dies nicht, denn die Zahl der Grundschullehrer, die Kenntnisse haben im Lehren von Deutsch als Zweitsprache, reicht seiner Meinung nach längst nicht aus. Gleichwohl weist der Professor an der Pädagogischen Hochschule (PH) in Ludwigsburg auch darauf hin, in diesem Jahr erneut Mittel vom Ministerium bekommen zu haben, um Fortbildungen anzubieten. Sowohl für die Grundschule als auch für die Sekundarstufe werden nun je 25 Lehrkräfte pro Semester fortgebildet. Das Angebot kommt an: „Die Nachfrage ist sehr gut.“ Die Fortbildung besteht aus Wochen des Selbststudiums und Präsenztagen an der PH. Das habe den Vorteil, dass mit den Lehrern Modelle erarbeitet werden, die diese parallel zur Fortbildung im Unterricht auf ihre Tauglichkeit überprüfen könnten. Des weiteren gebe es Angebote auf regionaler Ebene. Das Vorgängermodell an der PH war auf ein Jahr angelegt. So wurden landesweit 150 Pädagogen ausgebildet. „Sie stehen nun als Multiplikatoren in den Schulämtern und Regierungspräsidien zur Verfügung“, sagt Jeuk.

Nur die PH Ludwigsburg bietet solche Lehrerfortbildungen

Seine Freude über die Finanzierung des Angebots täuscht nicht darüber hinweg, dass die PH Ludwigsburg landesweit nach wie vor die einzige PH ist, die eine derartige Fortbildung für Lehrkräfte im Auftrag des Kultusministeriums anbietet. Jeuks Wunsch ist es deshalb seit Langem, das Angebot wenn schon nicht flächendeckend dann wenigstens an einer PH je Regierungsbezirk zu schaffen. Zufrieden ist er daher, dass eine Arbeitsgruppe demnächst beginnt, ein Konzept im Kultusministerium zu erarbeiten. Zudem werde eine Handreichung überarbeitet, in der sich Pädagogen aneignen, was sie benötigen – auch dies sei ein Erfolg.

„Es ist viel Learning-by-Doing“, bestätigt Isolde Steigelmann, die Rektorin der Grundschule im Sand in Bietigheim-Bissingen. Ihre Sprachförderklasse ist mit 24 Kindern besetzt, sechs sind Flüchtlinge. Da Flüchtlingskinder bei der Sprachförderung Vorrang haben, befürchtet Steigelmann nun eine Benachteiligung jener, die sich auch nach einem Jahr im Land mit der Sprache schwer tun. „Die müssten dann in die Stammgruppe verlegt werden.“

Raumnot herrscht an vielen Schulen

Isolde Steigelmann rechnet von Oktober an mit weiteren Flüchtlingskindern. „Wir wissen nicht, wo wir sie hinsetzen können“, sagt sie. Ein Antrag auf Container habe die Stadt abgelehnt. Raumnot herrscht auch an der Realschule in Korntal, die Vorbereitungsklasse lernt im nahe gelegenen Feuerwehrhaus. „Es liegt in der Verantwortung von Schulen, was aus den hier ankommenden Kindern wird“, sagt die Schulleiterin Astrid Awad.

Kommentar: Aus dem Blick geraten

Die Vorbereitungsklassen stehen im Fokus – mit der Folge, dass die Sprachförderung anderer Kinder vernachlässigt wird.

Viele Rektoren äußern ihre Unzufriedenheit nur hinter vorgehaltener Hand. Nur wenige machen öffentlich aus ihrem Unmut keinen Hehl, dass sie dieser Tage nichts anderes machen, als den Mangel zu verwalten. Gewiss, sie erreichen die pädagogischen Ziele noch immer, irgendwie. Doch der Lehrkräftemangel hat zur Folge, dass sich viele Rektoren bereits von ihren persönlichen pädagogischen Ansprüchen verabschiedet haben: Sie können schon lange Schule nicht mehr so sorgfältig gestalten und verwalten, wie sie es von sich und im Namen ihrer Kinder verlangen. Vielen hilft in diesen Tagen nur noch ihre Erfahrung, ihre Routine auch, um kurzfristig auf Veränderungen reagieren zu können.

Doch beim Thema Vorbereitungsklassen zeigen sich die Grenzen deutlich: Keine Frage, sie müssen eingerichtet werden, um Flüchtlingskinder bestmöglich zu integrieren. Doch die Lehrkräfte sind dafür oft nur unzureichend ausgebildet. Es ist dringend geboten, die Fortbildung in „Deutsch als Zweitsprache“ auszubauen. Man muss nicht den abgedroschenen Satz bemühen, wonach Kinder die Zukunft sind. Es genügt, all jene, die an den Geldtöpfen sitzen, daran zu erinnern, was Bildungsgerechtigkeit ist: ein Gebot sozialer Verantwortung wie eine Antwort auf den Fachkräftemangel.

So lange es angesichts des Lehrermangels aber nicht mehr Personal gibt, haben durch die Schaffung von Vorbereitungsklassen jene das Nachsehen, die nicht zur Gruppe von Flüchtlingen zählen, die nun ins Land und damit kurzfristig in die Schulen kommen. Auch unter den bisherigen Schülern gibt es etliche mit Sprachdefiziten. Denn auch sie müssen gefördert werden, um ihnen dieselben Bildungschancen zu geben wie ihren Altersgenossen, die kein Problem haben, sich schriftlich und mündlich ausreichend zu artikulieren.