Während sich manche über Langeweile beklagen, haben andere mit schwerwiegenden Problemen zu kämpfen: Für einsame Menschen, eingeengte Familien und Frauen mit gewaltbereiten Partnern birgt die häusliche Isolation Risiken.

Politik: Lisa Kutteruf (lis)

Ludwigsburg - Arezoo Shoaleh ist besorgt. „Die Lage ist brisant“, sagt sie – und denkt an den Verein Frauen für Frauen, deren pädagogische Leitung sie innehat. An drei Standorten in Ludwigsburg gibt es Platz für 19 Frauen und deren Kinder, die Zuflucht vor häuslicher oder sexueller Gewalt suchen. Schon in normalen Zeiten eine kleine Zahl, es sind die einzigen Unterkünfte dieser Art im Landkreis. Nun spitzt sich die Situation wegen Corona zu. Die Anrufe beim Beratungszentrum für häusliche Gewalt werden zunehmen, da ist sich Shoaleh sicher.

 

Ihre Sorge: Frauen mit gewalttätigen Partnern sind wegen der jüngst verhängten Ausgangseinschränkungen noch gefährdeter als sonst, da sie nun mehr denn je gezwungen sind, mit ihnen zuhause zu sitzen. Frustration angesichts von Kurzarbeit oder Jobverlusten verschlimmert das Ganze. „Für die Kinder wiederum fällt mit der Schule ein möglicher Zufluchtsort weg“, gibt Shoaleh zu bedenken. So sind Kinder den Launen der Eltern schutzlos ausgesetzt. Eine Situation, wie sie Shoalehs Verein Frauen für Frauen nur von den Weihnachtsfeiertagen kennt.

Erhöhtes Risiko für Streit zwischen Nachbarn

Das Polizeipräsidium Ludwigsburg verzeichnet zwar bislang noch keinen eklatanten Anstieg der Fallzahlen häuslicher Gewalt, teilt Shoalehs Ansicht jedoch. Durch die Isolation müsse man davon ausgehen, dass die Konflikte im häuslichen Bereich zunähmen, meint Polizeisprecher Peter Widenhorn. „Das betrifft sowohl Konflikte in der Familie als auch solche innerhalb einer Hausgemeinschaft mit mehreren Parteien.“

Das Problem: Die Frauenhäuser im Kreis sind schon jetzt voll. Shoaleh und ihre Kollegen sind deshalb bereits im Gespräch mit der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Ludwigsburg, Judith Raupp. „Eigentlich müssten wir die Frauen auch auf das Coronavirus testen, bevor sie einziehen und andere anstecken könnten“, sagt Shoaleh. Doch wie? Bislang werden Menschen ohne Krankheitssymptome nicht getestet.

Telefonate statt persönlicher Gespräche

Auch für die Frauen, die derzeit in den Frauenhäusern leben, ist die Situation schwierig. „Alle machen sich Sorgen und müssen mit der Ungewissheit leben, wie es weitergeht“, sagt Shoaleh. Ängste mithin, die viele Bewohnerinnen bereits ihr Leben lang zu kämpfen haben. Shoaleh: „Dadurch besteht die Gefahr, dass sie wieder in die Situation verfallen, aus der sie kommen.“ Weil das Team die Frauen nun aber nicht mehr persönlich beruhigen kann, ruft es die Frauen jetzt häufig an.

Einige Frauenhäuser in Baden-Württemberg hätten bereits Aufnahmestopps verhängt. Shoaleh jedoch will ihre Einrichtung offen halten.

Wer alleine wohnt, hat es jetzt womöglich schwer

Auch Menschen, die allein sind, trifft die zusätzliche Isolation hart. Oder die trauern. Die krank sind. Die psychisch labil sind. Oder depressiv. Erheiternde Treffen mit Freunden, trostspendende Umarmungen – all das fällt jetzt weg.

Nach dem Empfinden von Hermann Ebel, dem Ärztlichen Direktor der Psychiatrie am Ludwigsburger Klinikum, tun sich viele mit der fehlenden Perspektive schwer; damit, nicht zu wissen, wie lange der Ausnahmezustand wegen des Virus‘ anhalten wird. Er empfiehlt Menschen, die sich einsam fühlen, über das Telefon und übers Internet in Kontakt mit Freunden und der Familie zu bleiben. Und: „Ich glaube, ich würde jetzt für eine Vielfalt an Beschäftigungen sorgen“, sagt er. Bücher lesen, sich bewegen, vielleicht alte Hobbys wieder aufleben lassen. Auch eine gewisse Struktur zu schaffen, könne hilfreich sein.

Ausnahmesituation mit ungewissen Folgen

Eine Herausforderung ist diese Zeit vermutlich für die meisten, ob krank oder gesund. „Wir Menschen sind Kontaktwesen“, sagt Ebel. Welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auf die Psyche der Menschen langfristig haben wird, vermag der Fachmann nicht zu sagen. „Auch für uns Psychiater ist die jetzige Situation etwas völlig Neues.“

Klar ist hingegen, dass die Belastung all jener, die gerade in den Krankenhäusern arbeiten, immens ist – nicht nur körperlich, sondern auch psychisch. Deshalb richten die RKH-Kliniken derzeit eine Anlaufstelle für die Mitarbeiter ein. So können Ebel und seine Kollegen diejenigen betreuen, die an Corona und anderen Krankheiten Leidende unter extremen Arbeitsbedingungen versorgen und – im schlimmsten Fall – sterben sehen müssen.