Achtlos weggeworfene Zigarettenkippen sind Gift – aber was hilft dagegen? Die Kommune Ingersheim im Kreis Ludwigsburg geht seit einem Jahr neue Wege.
Karin Zimmer scheut sich nicht, am Sportplatz in Ingersheim Raucher anzusprechen. Die 72-Jährige verteilt dann kleine Handaschenbecher. Nicht jeder, der qualmt, reagiert freundlich auf die Bitte, die Zigarettenkippe nicht einfach wegzuwerfen. Zimmer weiß, sie braucht einen langen Atem. Die BUND-Vorsitzende in dem 6400-Einwohner-Ort verfolgt ein Ziel: „Ich möchte verhindern, dass die Zigaretten auf dem Boden landen.“ Bei der Gemeinde rannte sie offene Türen ein. Das Projekt „Ingersheim wird kippenfrei“ kann nach fast einem Jahr auf erste Erfolge blicken.
Ein Raucher-Bashing will die Umweltschützerin nicht betreiben – ihr geht es um die Gifte, die von den achtlos weggeworfenen Stummeln nach Regenfällen im Wassersystem und schließlich im menschlichen Organismus landen. Studien zeigten: Arsen, Blei und Kadmium sind in den Filtern enthalten, auch das als krebserregend eingestufte Formaldehyd.
Zigarettenkippen: Statt höhere Bußgelder wird dem Raucher geholfen
Die BUND-Aktivistin Zimmer will das erreichen, was Politiker nicht schaffen. Das grüne Umweltministerium des Landes Baden-Württemberg erhöhte den Druck. Es ermöglichte durch eine neue Verordnung im Jahr 2018, höhere Bußgelder von 50 bis 250 Euro zu verhängen. Raucher werden jedoch kaum auf frischer Tat ertappt. Karin Zimmer geht bewusst andere Wege. „Man muss bei der Entsorgung für ein möglichst geschlossenes System sorgen – und das fängt beim Raucher selbst an.“
Kleine leere Pesto-Gläser in Handtaschen wären prima, um Asche und Stummel aufzufangen, meint Karin Zimmer. Aber längst nicht alle rauchenden Männer benutzen solche Utensilien. Die BUND-Vorsitzende spricht von „drei Hotspots“, die sie in der Gemeinde bisher besonders im Blick hatte: „Der Sportplatz, der Platz vor dem Rathaus und die Bushaltestellen.“ Überall sei es besser geworden, wo die Kommune Abfallbehälter des Vereins Tobacycle mit speziellen Aufsätzen aufbiete und die Kippen gesondert sammele. Das entscheidende Plus: Am Ende wanderten die Stummel in blaue Tonnen, deren Inhalt von Tobacycle abgeholt werde. Die Gemeinde bezahlt mit der Mitgliedschaft in dem Verein für die Bereitstellung der Tonnen, deren Leerung und Entsorgung jährlich 300 Euro. In einem nächsten Schritt sollen Gewerbebetriebe integriert werden.
Die Ingersheimer Bürgermeisterin hält 55 Euro für abschreckend genug
Zufrieden mit dem bisher Erreichten ist die Ingersheimer Bürgermeisterin Simone Lehnert. „Mein Eindruck ist: Es liegen weniger Kippen herum an den Plätzen und Orten, wo die Aschenbecher präsent und ins Auge fallend hängen.“ Die Gemeinde werde ihre Mitgliedschaft im nicht eingetragenen Verein Tobacycle fortsetzen und versuchen, Firmen stärker einzubeziehen. Wer beim Wegwerfen einer Zigarettenkippe in die Umwelt erwischt werde, müsse 55 Euro zahlen. Das hält Lehnert für abschreckend genug.
Geschäftspartner der Gemeinde Ingersheim ist Sven Heinemann, der mit seiner Firma Tobacircle das Zubehör für die Entsorgung der Zigarettenstummel liefert. Heinemann stellt sich seit einigen Jahren dem Problem. „Wenn durch eine Kippe 1000 Liter Wasser verseucht werden, ist das nicht wenig.“ Tobacircle habe sich aus dem Verein Tobacycle heraus entwickelt, den es seit sieben Jahre gebe. Im Jahr 2022 verkaufte zuerst Tobasales Produkte wie Aschenbecher, vor einem Jahr habe Tobacircle übernommen. Zu den Kunden zählen im Kreis Ludwigsburg Asperg sowie andere deutsche Städte.
Die Forderung nach höheren Strafen taucht immer wieder auf. Zuletzt hatte sich ein Stadtrat in Vaihingen an der Enz wegen vieler Kippen in der Altstadt dafür ausgesprochen. Die Stadtverwaltung bestätigt, es gebe viele Stummel, wo sich Jugendliche träfen. „Es wäre falsch, dies zum Stadtproblem zu stilisieren“, sagt Pressesprecherin Astrid Kniep. Es gebe keine generelle Zunahme. Und 100 Euro als Strafe wären unverhältnismäßig. Die Stadt Vaihingen erhebe seit 2012 als Bußgeld 30 Euro. „Es bringt aus unserer Sicht mehr, wenn Bürger die Augen offen halten und die Verursacher ansprechen.“
Auch in anderen Städten des Landkreises Ludwigsburg verfolgt man eher eine zurückhaltende Linie. „Bei uns bleibt es bei einer mündlichen Verwarnung“, sagt in Ludwigsburg die Pressesprecherin Karin Brühl. Die Ordnungskräfte forderten Sünder dazu auf, den Abfall in einem Mülleimer zu entsorgen.
Nur ganz wenige Fälle registriert die Stadt Kornwestheim, die ein Verwarngeld von 50 Euro erheben würde – doch erwischt habe man in den vergangenen zwei Jahren nur drei Bürger, die aber Müllsäcke wild entsorgt hätten. In Bietigheim-Bissingen seien es nur vereinzelte Fälle, die angezeigt worden seien, teilt eine Sprecherin mit.
Wie schädlich sind die Stummel?
Dimension
In Deutschland soll es rund 22 Millionen Raucher geben. Die WHO schätzt den Anteil der Kippen auf 30 bis 40 Prozent des auf Straßen weggeworfenen Kleinmülls. Nach einer Studie der Uni Gießen entstehen jährlich weltweit rund 750 000 Tonnen Abfall aus den Stummeln.
Schadstoffe
Die Filter der Zigaretten bestehen größtenteils aus Kunststoff. Das Material Cellulose-Acetat zersetzt sich nach etwa 15 Jahren. Die Stummel enthalten bis zu 7000 Giftstoffe, etwa 50 davon gelten als krebserregend. Stoffe wie Nikotin oder Teer landen durch Regen und Wind in den Gewässern und im Grundwasser. Dort gehen Tiere und Pflanzen zugrunde.