Eine transsexuelle Frau will vor Gericht die Kosten für eine Gesichtsoperation einklagen – und verliert den Prozess. Die AOK muss nicht zahlen, weil das Kinn der Klägerin nicht auffallend maskulin sei, urteilt die Richterin.

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Heilbronn/Ludwigsburg - Die Vorsitzende Richterin bekommt schnell zu spüren, dass dies keine einfache und gewöhnliche Verhandlung werden wird. Wie an Sozialgerichten üblich, führt sie alle Anwesenden im Saal sofort in den Sachverhalt ein und erklärt nüchtern, dass die Klägerin an einer Form der Transsexualität leide, „als Mann geboren“ sei und eine Gesichtsangleichung begehre. Sie hätte ahnen können, dass der Satz nicht gut ankommt.

 

Denn die Klägerin trägt extra ein schwarzes T-Shirt, auf dem in weißen Lettern steht: „Ich bin nicht als Mann geboren, sondern als Mädchen.“ Es sei verletzend, sie als Mann zu bezeichnen, erklärt die 40-Jährige. Allein das Sexualhormon Testosteron sei schuld, dass ihr Körper im Lauf der Zeit männlicher geworden sei. Diesen Fehler wolle sie korrigieren. „Ich will nicht schön werden, sondern sehne mich nach einem normalen Leben.“ Es sei wichtig, den Unterschied zu verstehen.

Die Frau hat sich bereits zahlreichen Operationen unterzogen

Fest steht: die Frau aus dem Kreis Ludwigsburg hat sich bereits zahlreichen Operationen und Hormonbehandlungen unterzogen. Jetzt ist der Körper weiblich, der Bartwuchs nahezu verschwunden, die Stimme höher. Nur das Gesicht hat noch männliche Züge, weswegen die Transsexuelle ihr markantes Kinn sowie die Augenbrauen- und Nasenpartie operieren lassen will. Die sogenannte Profilharmonisierung kostet 4000 Euro, und die Kasse sagt: nein. „Wir haben die Situation der Klägerin als Krankheit anerkannt“, erklärt der Vertreter der AOK Baden-Württemberg. „Aber das heißt nicht, dass wir weiter alle Kosten übernehmen, bis ihr Körper den Idealzustand erreicht hat.“ Rund 50 000 Euro haben die geschlechtsangleichenden Maßnahmen bislang gekostet.

Wo beginnt der Idealzustand? Was ist die Norm? Wo liegt die Grenze? Das sind am Freitag die entscheidenden Fragen im Heilbronner Sozialgericht. Die Transsexuelle will ein feminines Gesicht einklagen, die AOK ist allenfalls noch bereit, eine nervenärztliche Behandlung zu zahlen. Dass die 40-Jährige leidet, ist unstrittig. Eine Psychologin hat depressive Symptome diagnostiziert und diese auf den inneren Konflikt der Klägerin zurückgeführt, die als Frau mit einem männlichen Gesicht leben müsse. Eine weitere psychotherapeutische Behandlung sei indes kaum erfolgsversprechend, heißt es in dem Attest. Auch mehrere andere Ärzte raten zur Operation, weil der 40-Jährigen keine Angleichung der Psyche an das Gesicht helfe, sondern nur die Angleichung des Gesichts an die Psyche. Die Klägerin selbst nennt ein weiteres Argument: Sie wolle nicht bei jeder Gelegenheit als „geschlechtsabweichender Mensch geoutet“ werden, zumal sie wegen ihrer Transsexualität schon einen Job verloren habe.

Die Richterin erkennt keine stark männlichen Gesichtszüge

Auch die Gegenseite hat Argumente, und die haben mit Geld zu tun. Krankenkassen seien Solidargemeinschaften, erwidert der AOK-Vertreter. Als solche dürften sie Transsexuelle nicht gegenüber anderen Menschen bevorzugen. Es gebe auch Frauen, die nicht transsexuell sind und unter männlichen Gesichtszügen leiden – in diesem Fall werde die Schönheits-Operation auch nicht bezahlt. Zwar könne eine Profilharmonisierung in Extremfällen zur Kassenleistung werden, entscheidend sei aber die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.

Demnach müssen Kassen Operationskosten von Transsexuellen so lange übernehmen, bis eine „deutliche Annäherung“ an das tatsächliche Geschlecht erreicht ist. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Womit es im Ermessensspielraum der Kammer liegt, ob die „deutliche Annäherung“ bereits erreicht ist. Spätestens, als die Richterin erwähnt, sie habe die männlichen Gesichtszüge der Klägerin so direkt nicht erkennen können, muss der Transsexuellen klar sein: sie wird den Prozess verlieren. So kommt es dann auch. Kontrovers sei die Diskussion gewesen, sagt die Vorsitzende nach ihrer Beratungspause mit den zwei Beisitzern. Es sei zwar klar, dass die Klägerin nicht über einen klassischen weiblichen Schädel verfüge. „Aber unserer Meinung nach ist das Gesicht nicht so männlich, dass eine Operationen gerechtfertigt wäre.“ Die Klage werde abgewiesen.

Die Transsexuelle wird in Berufung gehen

Die Transsexuelle wird weiter kämpfen. Ihr Anwalt hatte gefordert, dass die Kammer einen Sachverständigen hinzuzieht, der anhand objektiver Kriterien klären sollte, ob die Frau ein maskulines Gesicht hat. Die Richterin schmetterte den Antrag ab – mit der Begründung, das Gericht könne dies selbst beurteilen. Anmaßend sei das, sagt die 40-Jährige nach der Verhandlung. Auch wenn es nicht schön sei, vor Gericht über solch intime Dinge und die eigenen Körperteile reden zu müssen, werde sie definitiv in Berufung gehen.