Wer unter Demenz leidet und ständig weglaufen will, wird in das Kompetenzzentrum Freudental (Kreis Ludwigsburg) eingewiesen. Wie geht es dort zu?
Die Grenze zwischen Freiheit und Eingeschlossensein markiert eine Stahltür. Diese Tür öffnet sich nur auf Knopfdruck – und im Normalfall nicht für die Bewohner. Bald schon sitzt der Besucher am Frühstückstisch. Die Frau neben ihm redet, doch nach einem Sinn in ihren Sätzen sucht man vergeblich. Es ist etwa 9.30 Uhr, und ansonsten herrscht erst einmal Schweigen.
Demenz ist eine Welt für sich. Unzugänglich und traurig. Aber auch überraschend, wenn die Schwere plötzlich einer Leichtigkeit weicht. Das gelingt – aber nur mit Liebe. Mit Wärme und Zuwendung. Und die dürfen die rund 30 älteren Menschen, die im Freudentaler Kompetenzzentrum für Demenz der Kleeblatt- gGmbH wohnen, immer wieder spüren. Eine von insgesamt etwa 25 Mitarbeiterinnen ist die Pflegerin Sabine Schulz. Sie kommt mit einem Poster, beugt sich zu Bewohnern am Tisch, deutet auf große Porträtbilder. „Und – wo ist Ihr Bild?“, fragt sie lächelnd eine ältere Frau am Frühstückstisch, nimmt sie in den Arm, hält sie fest und ermutigt sie, sich auf dem Poster zu entdecken.
Körperkontakt ist wichtig im Demenzheim. Ein Ruhepol gegen den steten Drang wegzulaufen, der die Menschen hier umtreibt. Hinlaufproblematik heißt das in Fachkreisen. „Ich muss nach Hause“, ist ein typischer Satz von Demenzkranken, die dann auch gleich loslaufen und weite Strecken zurücklegen, was im Freudentaler Kleeblatt-Heim dank langer Flure und einer räumlichen Acht in der großzügigen Architektur möglich ist.
Der Weg ins Demenzheim führt nur über Diagnose und Richterbeschluss
Aber wo liegt das „Zu Hause“ der Demenzkranken wirklich? Auf keinen Fall in den Wohnungen der Angehörigen, die mit den Begleitumständen nicht mehr fertig werden. Die Verletzung des Ehepartners oder Kindes ist häufig groß, wenn der geliebte Mensch einen nicht wiedererkennt oder sogar von sich stößt. Das Kompetenzzentrum in Freudental bietet einen Ausweg. Aber nur eine ärztliche Diagnose und ein richterlicher Beschluss rechtfertigen die Unterbringung in dem 20 Jahre alten Spezialheim.
Wie schwer mag es für Demente sein, hier in diesem Pflegeheim eingeschlossen leben zu müssen? Diese Frage taucht schnell auf, während die meisten Bewohner so blicken, als ob sie zwar etwas mitteilen wollen, dazu aber keine Kraft mehr haben. Der Besucher will mit ihnen in Kontakt treten und beginnt Gespräche. Die Antworten ernüchtern. Begonnene Sätze werden nicht beendet. Angestrengte Gesichtsausdrücke erwecken Mitleid. Es ist eine Welt der Apathie, die nur durch die Zuwendung der Pflegerinnen durchbrochen wird.
Manchmal mündet das Miteinander in Situationskomik
Demenz verlangt einen eigenen Umgang, eine Angehörige nannte das mal „Theater“: Sie müsse eine Rolle spielen. Vielleicht trifft das teilweise auch auf die Pflegerinnen zu, doch es ist spürbar, dass die Frauen in den grünen Kitteln sie selbst bleiben wollen – manchmal mündet das Miteinander in Situationskomik. Ohne Humor wäre die Aufgabe wohl nicht zu bewältigen.
Die Pflegerin Britta Sikora steht dort, wo einst das eingerahmte Foto des Schlagersängers Peter Alexander hing. Es fehlt mittlerweile in der Bildergalerie im langen Gang, in dem die Dementen ihren Bewegungsdrang ausleben sollen. Roy Black hängt noch und andere Schlagerstars der 1970er-Jahre. „Viel läuft über Musik, sie weckt Erinnerungen“, sagt Britta Sikora, die den Verlust des Bildes von Peter Alexander verkraftet. „Es ist ganz normal, dass die Bewohner etwas mitnehmen.“ Im Gang steht auch ein Krämermarktwagen: Hüte, Hemden, Handtaschen – die Dementen greifen zu, sammeln, murmeln dabei: „Das gehört mir“. Ein Satz, der guttut. Ein Reflex, der sie sich selbst spüren lässt.
Bewohner im Demenzheim entscheiden selbst, wann sie essen wollen
In der Küche hat sich das Publikum verändert. Das Frühstück nehmen manche Bewohner erst um 10 oder 11 Uhr ein. „Es gibt hier keinen festen Plan – wir richten uns nach den Bedürfnissen der Menschen und verteilen die Speisen über den Tag“, erklärt die Pflegedienstleiterin Katja Fahrin. Die Menschen bräuchten Hilfe beim Ankleiden, oft werde der Pulli „auf links“ angezogen. Manche hätten eine unruhige Nacht und würden erst später aufwachen. Es sei wichtig, den Dementen ihre Freiheit zu lassen.
Eine ältere Frau mit einem etwas hektischen Wesen nähert sich. Aus den Worten ist „Büro“ und „arbeiten“ herauszuhören. Sie wirkt, als ob sie noch dringend etwas zu erledigen hätte. Eine andere Bewohnerin lässt sich von Britta Sikora an der Hand nehmen und murmelt „auch nicht von hier“ und „wie d’Sau“. Chiffren, die für den Außenstehenden nicht zu verstehen sind. Katja Fahrin kennt die Biografie der Frau und erklärt: „Sie war das einzige Mädchen in der Familie, und die Söhne wurden bevorzugt.“ Nun beziehe sie vieles auf sich.
Demenz: Personal ist im Umgang mit Aggressionen geübt
Die Kehrseite der nur auf den ersten Blick friedlichen Welt des Vergessens auf der Station seien Aggressionen, erzählt Katja Fahrin. Manchmal würden Bewohner laut, aber die Pflegerinnen seien geübt, damit umzugehen. Mehr sagt sie nicht, schon bahnt sich das weitere Programm des Vormittags an.
In einem Stuhlkreis versammelt Sabine Schulz etwa zehn Bewohner um sich. „Kleine Kirche“ nennt sie das. Mit der Flöte stimmt sie „Morning has broken“ an. Eine Frau summt mit, hält sich seitlich an der Pflegerin fest. „Guter Gott, mein Leben ist wie eine Reise...“, liest Sabine Schulz gemeinsam mit einem der dementen Männer vor. Die Idee, selbst Gottesdienste zu feiern, habe das Team gehabt, als ein Pfarrer nicht kommen wollte. „Er konnte sich – wie auch viele Angehörige – auf die Dementen nicht einlassen“, sagt Katja Fahrin. Inzwischen sei aber Interesse da – es kämen Ehrenamtliche.
Erste Symptome bei Demenz
- Verlegen von Dingen – was über das „normale“ Maß von Schusseligkeit hinausgeht, etwa das Wiederfinden vom Hausschlüssel im Kühlschrank oder in der Dusche
- Veränderung in der Stimmung – anhaltende Lustlosigkeit, plötzlich auftretende Angststörungen oder depressive Verstimmungen können auf eine beginnende Demenz hinweisen
- Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis – ständiges Vergessen von Dingen, die gerade erst passiert sind
- Probleme, Wörter zu finden – Faden verlieren im Gespräch oder das Fehlen einfacher Bezeichnungen im Alltag (Auto, Tasse, etc.)
- Probleme, den Alltag zu bewältigen – Schwierigkeiten, sich beim Kochen an das Rezept von Alltagsgerichten zu erinnern oder Schwierigkeiten beim Schreiben des Einkaufszettels
Eingeschlossen oder geschützt? Die Frage ist beantwortet worden
Wenig später schließt sich die Stahltür hinter dem Gast. Eingeschlossen oder geschützt? Diese Frage hat eine Antwort gefunden. Es ist gut, dass es eine solche Einrichtung gibt.
Wie zeigt sich Demenz?
Früherkennung
Wie unterscheidet sich der Beginn einer Alzheimer-Demenz von einer normalen altersbedingten Vergesslichkeit? Eine normale Zerstreutheit sei zu unterscheiden von ernsthaften Problemen, sich zu organisieren und etwa nicht mehr nach bekannten Rezepten kochen oder Rechnungen bezahlen zu können, teilt die Alzheimer Forschung Initiative (AFI) in Düsseldorf mit.
Orientierung
Oft können Demente zunächst Orte oder Zeitabstände nicht mehr einordnen, informiert die Alzheimer Forschung Initiative. Betroffene vergäßen zum Beispiel das Jahr und die Jahreszeit, könnten die Uhr nicht mehr lesen oder wüssten in ihrer Straße nicht mehr, wo sie seien und wie sie nach Hause kämen. Normal sei, den Wochentag hin und wieder zu verwechseln und sich dann wieder zu erinnern.