Seit dem Jahresbeginn gehört der Kreis Göppingen zumindest mit seiner Bahnstrecke zum Stuttgarter Verbundgebiet. Die Politik feiert das Ereignis trotz seiner 35-jährigen Verspätung.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Göppingen - Seit 35 Jahren gibt es den Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS). Seit dem 1. Januar gehört endlich auch der Landkreis Göppingen zumindest mit seiner Bahnstrecke zu diesem größten Verbund im Land. Was diese sogenannte Teilintegration bedeutet? Die Stadtratten, eine Combo aus Geislinger Stadträten und Rathausmitarbeitern, erklärten es mit freundlicher Unterstützung des Lokomotivführers Jim Knopf: „Eine Karte kann man kaufen, und die gibt jetzt ganz viel her / mit viel Tunnels und Geleisen in dem Regionalverkehr. / Nun wie mag die Karte heißen, VVS wird sie genannt, / jeder sollte einmal reisen mit der VVS durchs Land“.

 

So viel Begeisterung ausgerechnet in Geislingen dürfte etliche der Ehrengäste, die im Sonderzug zur Begrüßung des neuen Nahverkehrszeitalters von Plochingen nach Geislingen und zurück nach Göppingen fuhren, durchaus etwas überrascht haben. Gerade im weiter entfernten Teil des Kreises hatte es lange Zeit eine Opposition gegen die Einbindung in das als teuer empfundene Verkehrssystem der Landeshauptstadt gegeben.

Der Landrat erreicht ein Zwischenziel

Man habe sich 35 Jahre darüber gefreut, nichts für den VVS bezahlen zu müssen, sagte der Göppinger Oberbürgermeister Guido Till (CDU). Doch der Kreis sei derweil ins Abseits geraten. Dabei liege Göppingen näher an Stuttgart als Herrenberg. Der Landrat Edgar Wolff (Freie Wähler), der seit seinem Amtsantritt im Jahr 2009 die Einbindung in den VVS zielstrebig verfolgt hatte, verwies auf den Bevölkerungsverlust in den vergangenen fünf Jahren. „Der Rückgang um 6000 Einwohner kostet uns jährlich zwei Millionen Euro.“ Die Summe von 1,1 Millionen Euro, die den Kreis die Teilintegration koste, sei vor diesem Hintergrund gut angelegtes Geld.

„Ich bin froh, dass wir es gemacht haben“, sagte der ebenfalls anwesende Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne). Das Land fördert die Teilintegration mit 700 000 Euro. Wie Wolff betonte er, dass es sich nur um den ersten Schritt handele. Das Ziel sei die Vollintegration. Das würde bedeuten, dass die Kunden auch von sämtlichen Bushaltestellen im Landkreis mit einem einzigen Ticket ins VVS-Gebiet fahren könnten. Nach früheren Schätzungen könnte dies den Kreis allerdings bis zu neun Millionen Euro jährlich kosten. Bisher gibt der Landkreis für seinen gesamten Nahverkehr inklusive der Teilintegration jährlich 4,3 Millionen Euro aus.

Nachteile für Bahncard-Nutzer

Während die Kreisprominenz in der Göppinger Bahnhofshalle die VVS-Erweiterung mit Erbsensuppe feierte, gab es an den Fahrkartenautomaten manch überraschte Gesichter. „Mein Ticket nach Esslingen kostet ein Euro weniger als bisher“, sagte ein 32-jähriger Angestellter. Ein anderer hatte schon am frühen Morgen an seiner Bushaltestelle in Stuttgart-Stammheim eine freudige Erfahrung gemacht, als ihm der Busfahrer ein direktes Ticket nach Göppingen verkaufte. Sonst hatte er an der VVS-Grenze in Reichenbach immer noch nachlösen müssen.

Schlechter fährt eigentlich nur, wer bisher mit Bahncard-Rabatt nach Stuttgart reiste. Für diese Gruppe zeigten die Stadtratten aber eine Alternative auf: „Schmeiß die Bahncard ruhig ins Feuer, denn die gilt hier jetzt nicht mehr, / Bahncards sind einfach zu teuer, nimm den VVS- Verkehr. / Jeder sollte einmal reisen Pendler, Penner, Praktikant, / die Regierung lobzupreisen, auch der Montagsdemonstrant.“

Kommentar: Zittern nach der späten Einsicht

Göppingen – In der Region Stuttgart gilt der Landkreis Göppingen seit jeher als fünftes Rad am Wagen, als unwirtliche Region irgendwo im fernen Osten des Landes. Die Abstinenz beim Tarifverbund VVS hat mit diesem Image viel zu tun. Mit der Teilintegration des Schienenstrangs zwischen Ebersbach und Geislingen ist hier nun der erste Schritt getan. Doch der wichtigste fehlt noch. Dabei handelt es sich nicht etwa um die kostspielige Vollintegration der vielen Buslinien in den VVS. Die entscheidende Frage ist vielmehr, ob es gelingt, die S-Bahn in den Kreis zu verlängern.

Es ist nunmal so: erst wenn Ebersbach, Uhingen, Göppingen, Eislingen und vielleicht sogar Geislingen auf dem Netzplan des Stuttgarter Nahverkehrs-Flaggschiffs auftauchen, rückt der Kreis aus dem Schatten ins Bewusstsein der Region. Die Marke S-Bahn kann sowohl in den Chefetagen der Unternehmen als auch an den Tischen junger Familien manche Standortwahl beeinflussen. Die heutigen Entscheidungsträger im Landkreis haben das begriffen. Mit der Teilintegration haben sie die Weichen für die S-Bahn gestellt. Ob sie auch darüber ruckelt, hängt von einer Kosten-Nutzen-Analyse ab, die im Sommer vorliegen soll. Dann erst entscheidet es sich, ob der Kreis mit 35-jähriger Verspätung noch auf denS-Bahn-Zug aufspringen kann.