Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann kandidiert nun doch nicht fürs höchste Staatsamt. Dabei hatte der 68-jährige Grünen-Politiker nicht ganz verhehlen können, dass erdas eigentlich gern getan hätte.

Stuttgart - Darauf hat die Konkurrenz nur gewartet. „Schwarzes Wochenende für Winfried Kretschmann“, ätzte schon am Sonntag FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke, nachdem klar war, dass Baden-Württembergs Regierungschef nicht mitläuft im Rennen um das Bundespräsidentenamt. Genüsslich unterstellte der Liberale ihm „flehentliche Initiativbewerbungen“ nach dem Motto „Ich bin ein Präsident, holt mich hier raus“, denn eigentlich habe Kretschmann gar keine Lust mehr auf das Stuttgarter Amt. Und was den Münsteraner Parteitag und seinen vergeblichen Kampf im Vermögenssteuerstreit angeht, so empfahl ihm Rülke schlicht den Parteiaustritt.

 

Natürlich ist das die übliche Guggenmusik in der politischen Arena. Und ernsthaft beschädigt wurde Kretschmann ja weder beim Bundesparteitag noch beim schwarz-roten Tauziehen um einen Kandidaten für das höchste Staatsamt. Dennoch hat an diesem Wochenende das Image des 68-Jährigen „Superstars“, wie er nach seinem Wahlerfolg tituliert worden ist, gelitten. Vor allem, weil er in der Diskussion um den Bundespräsidenten nach Ansicht vieler Beobachter (und dazu gehört auch der Koalitionspartner) eine Spur zu deutlich mit der Kandidatur kokettiert hat. Diesen Eindruck musste allein schon seine mantrahafte Floskel „Ich strebe dieses Amt nicht an“ erwecken – je öfter er sie wiederholte, desto stärker. Als er sich dann noch zum Bekenntnis hinreißen ließ, falls man ihn rufe, werde er sich das „reiflich überlegen“, half auch der Nachsatz „Der Ruf wird aber sicher gar nicht kommen“ nichts mehr. Die Öffentlichkeit vernahm: Er möge doch kommen.

Kretschmann wurde instrumentalisiert

In Kretschmanns engerer Umgebung hält man das bestenfalls für blühende Fantasie. Denn er habe keineswegs mit dem höchsten Staatsamt kokettiert. Natürlich hätte der Grüne die Spekulationen mit einem Satz beenden können, so wird eingeräumt, indem er klipp und klar bekennt, er stehe für das Amt nicht zur Verfügung. So, wie dies etwa Verfassungsgerichtspräsident Andreas Vosskuhle und Bundestagspräsident Norbert Lammert getan haben. Warum nicht auch Kretschmann? Weil er im Unterschied zu jenen gar nicht gefragt worden sei, lautet die Begründung. Hätte die Kanzlerin tatsächlich angeklopft, so sagen Vertraute, hätte sie das entsprechende Signal erhalten. Und zwar ein negatives.

Nun mag man Kretschmann zu Gute halten, dass er die Antwort auf eine nicht gestellte Frage tatsächlich nicht über die Medien kommunizieren wollte. Mag sein, auch aus Respekt vor dem Amt des Bundespräsidenten. Doch soll man wirklich glauben, dass er in seinen vertraulichen Gesprächen mit der Kanzlerin weder hü noch hott sagte? Das Kanzleramt sah sich aus Amtsrespekt jedenfalls nicht daran gehindert, den Namen Kretschmann als letztes Druckmittel gegen die SPD zu lancieren, um die Genossen doch noch von Frank-Walter Steinmeier abzubringen. Der Baden-Württemberger wurde im schwarz-roten Tauziehen also instrumentalisiert. Warum hat er sich dem nicht entzogen?

Das Amt verändert den Menschen

Manche glauben, es habe eben doch die Eitelkeit etwas den Blick auf die Realitäten verstellt – und ein vom Amt geprägtes Selbstbild, das keine Korrektur mehr erfährt. „Wem man ständig den Eindruck vermittelt, wie wichtig und toll man ist, der glaubt das irgendwann“, sagt ein früheres Kabinettsmitglied, der bei dem Regierungschef eine Veränderung festgestellt haben will: „Der Kretschmann, bei dem ich anfing, ist nicht mehr jener, bei dem ich aufgehört habe.“ Selbstherrlicher und abgehobener sei er geworden, heißt es. Vielleicht hat das auch den Blick auf CSU-Chef Horst Seehofer vernebelt, der zwar menschlich gut mit dem Baden-Württemberger kann, in Machtfragen aber knallhart seine Interessen vertritt. Ein führender Grüner im Land glaubt, dass Kretschmann aber auch bei der CDU nicht durchsetzbar gewesen wäre: „Diesen unglaublichen Erfolg hätten die uns niemals gegönnt.“

So bleibt Kretschmann bleibt als0 Ministerpräsident in Stuttgart – und muss sich weiterhin mit den Parteilinken und deren Steuerplänen auseinandersetzen. Dass er auf dem Parteitag mit fliegenden Fahnen unterging, dürfte ihn allerdings wenig schmerzen: Er wertet das eher als Auszeichnung denn als Tadel. Denn so kann er seinen Mittelständlern vermelden: Seht her, ich bin gestanden. Im Bundestagswahlkampf vor drei Jahren war das noch nicht so. Damals musste er sich von der Wirtschaft vorhalten lassen, er habe zu zögerlich gegen die Steuerpläne seiner Partei opponiert. „Das“, so sagte Kretschmann einmal in vertrauter Runde, „passiert mir nicht nochmals.“ Dass er eigentlich gar kein Grüner mehr sei, wie ihm jüngst der Publizist Jakob Augstein unterstellt hat, kümmert ihn da wenig. Natürlich werde er für die Grünen Bundestagswahlkampf machen, sagt ein enger Weggefährte: „Und natürlich wollen alle ihn haben.“