Der Regierungschef wirbt für ein grünes Baden-Württemberg, allerdings kommen die Botschaften von Winfried Kretschmann nicht überall gut an.

Rio de Janeiro - Alle sagen nur China, China, China. Vielleicht noch Indien. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hingegen gastiert mit einer Riesendelegation aus 133 Unternehmern und Hochschulvertretern in Argentinien und in Brasilien. "Es ist kein Zufall, dass meine erste große Auslandsreise nach Südamerika führt", sagt er vor den Gästen des Industrieverbandes FIEP in Curitiba, der Hauptstadt der Provinz ParanÖ in Brasilien. Das ist eine Partnerregion von Baden-Württemberg. Man kennt sich, schon seit rund 20 Jahren gibt es Zusammenarbeit und Austausch.

 

Edson Luiz Campagnolo, der Präsident des Verbandes, freut sich sichtlich über den Besuch der Südwestdeutschen und lädt Kretschmann gleich wieder ein. Die Brasilianer haben sich gut vorbereitet, haben recherchiert - über den Neuen in Stuttgart, den Grünen. Man weiß, dass Gerlinde Kretschmann Lehrerin war. Auch Campagnolos Frau ist Pädagogin, eine Sportlehrerin. Das schafft eine Verbindung. So etwas suchen die Gastgeber.

Südamerika ist kein einfacher Markt für ausländische Unternehmen. Handelsbarrieren liegen hoch. Die Regierungen lieben es, sich dirigistisch einzubringen. Freilich: seit einem Jahrzehnt brummt die Ökonomie ununterbrochen. Und Fachleute sehen kein Ende. Die Staatshaushalte sind - anders als in Europa oder Nordamerika - in Ordnung. Die Reallöhne der Bevölkerung steigen trotz Inflation. "Brasilien hat die Finanzkrise ohne Rezession überstanden", sagt der deutsche Botschafter in Brasilia, Wilfried Grolig. Das macht die Brasilianer selbstbewusst und umworben. Sie kommen kaum noch nach, Gesprächswünsche zu sortieren. Immerhin: Deutschland hat einen guten Ruf in der Region.

Brasilianische Krativität und deutsche Tüftlerkompetenz

Und da kommt Kretschmann, der grüne Staatsmann. Zwei Botschaften will er herüberbringen. Die eine ist, dass "künftige wirtschaftliche Erfolge wissenschaftsbasiert sind". Deshalb haben sich ihm hochkarätige Vertreter der südwestdeutschen Hochschulen angeschlossen. Vier der neun Universitäten des Landes sind mit ihren Rektoren vertreten. Drei Fachhochschulleiter und der Präsident der Dualen Hochschule Baden-Württemberg gehören zur Delegation.

Gemeinsam mit der stets präsenten Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) beackern sie die südamerikanischen Bildungspolitiker. Vor allem die brasilianischen Hochschulen haben sich in der Spitze rasch herausgeputzt. Dieses Potenzial will man ausloten. In der Hauptstadt Brasilia schwärmt Afonso Ferreira davon, dass brasilianische Kreativität kombiniert mit deutscher Tüftlerkompetenz eine ideale Allianz zur Eroberung der Weltmärkte wäre.

Er ist Boss einer halbstaatlichen Organisation, die sich in Brasilien um berufliche Ausbildung kümmert und die Vorzüge des deutschen dualen Ausbildungsgangs kennt. Kretschmann, der Wirtschafts- und Finanzminister Nils Schmid (SPD) und Ferreira unterzeichnen ein Kooperationsabkommen. Vor allem die Praktiker wollen konkret werden. Aber auch die neue Staatspräsidentin Dilma Rousseff will bis in ein paar Jahren zehntausend junge Brasilianer an deutsche Hochschulen schicken. 2000 davon bietet Kretschmann im Südwesten Studienmöglichkeiten an - und erhält dafür Szenenapplaus von seinen Gastgebern.

"Man fängt immer klein an"

Kretschmanns zweite Botschaft ist, "dass meine Regierung Ökonomie und Ökologie zusammenbringen will". Deutschland zum Beispiel nur noch mit erneuerbaren Energien zu versorgen, sei eine Riesenherausforderung, aber auch eine Riesenchance zur Positionierung der Betriebe in Zukunftsmärkten. Im Bildvortrag zum Standort Baden-Württemberg tauchen neben Bollenhüten, Allgäuer Kühen oder dem Stuttgarter Fernsehturm jetzt plötzlich Windräder und Solaranlagen auf.

Kretschmann erwähnt pflichtschuldig, dass der Südwesten ein starker, exportorientierter Industriestandort sei, nennt Maschinenbau, Medizintechnik und Fahrzeugbau. Doch es ist, als lägen ihm die mehr am Herzen, die sich um "die Mobilität des 21. Jahrhunderts" kümmern oder nach dem Ausstieg aus der Kernkraft jetzt auch das Ende der Kohleverstromung suchen. "Umweltschonende Techniken und Produkte sollen zum Markenzeichen Baden-Württembergs werden", sagt der Regierungschef vor argentinischen Unternehmern.

Das muss denen utopisch vorkommen, denn Ökologie hat hier - noch - keinen Stellenwert. Bei auf drei Peso-Cent je Kilowattstunde heruntersubventionierten Strompreisen haben Wind und Sonne keine Chance. Kretschmann gibt sich nicht angepasst. In Buenos Aires empfängt er demonstrativ ein Quartett von Umweltaktivisten, die in Argentinien eine grüne Partei gründen wollen. "Nehmen Sie es als Motivation, man fängt immer klein an", sagt Kretschmann dazu und wünscht den Kollegen Glück.

 Bei einem Günther Oettinger hätte es das nicht gegeben

Man könnte auf die Idee kommen, dass solche Kontakte zur aufkeimenden Opposition führenden Regierungsvertretern die Lust verderben, mit der deutschen Delegation zu sprechen. Statt mit der argentinischen Staatspräsidentin Cristina Kirchner muss sie mit dem Unterstaatssekretär der Region Buenos Aires, Bruno Tomaselli, vorliebnehmen. Bei einem Günther Oettinger hätte es das nicht gegeben, sagen Kenner solcher Abläufe. Da hätten vorher die Drähte zwischen Delegation und deutscher Botschaft geglüht, um dem Gastgeber klarzumachen, dass das Protokoll etwas anderes vorsieht.

Winfried Kretschmann freilich ficht das nicht an. In Brasilia spricht er mit Marina Silva. Sie war Umweltministerin und ist im Zorn auf ihren damaligen Präsidenten Lula da Silva wegen dessen aus ihrer Sicht zu laschen Antikorruptionspolitik zurückgetreten. 2010 kandidierte sie für die Präsidentschaft und holte immerhin 20 Prozent. "Das Flaggschiff der brasilianischen Umweltbewegung" zu treffen, sei sein Wunsch gewesen, sagt Kretschmann.