Laut Winfried Kretschmann sollte an Schulen aufs Gendern verzichtet werden. Wir haben bei Lehrern, Eltern und Schülern nachgefragt, wie sie dazu stehen.
Die Frage, ob und wie sich die Gleichstellung der Geschlechter in der Schriftsprache widerspiegeln sollte, wird immer wieder kontrovers diskutiert. Erst kürzlich hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit seiner Forderung, im Klassenzimmer künftig aufs Gendern mit Sonderzeichen zu verzichten, die Debatte von Neuem aufleben lassen. Man solle den Kindern das Lernen nicht zusätzlich erschweren, indem man in der Schule Dinge schreibe, die man nicht spreche, sagte er in einem Interview.
Manfred Birk, Schulleiter des Dillmann-Gymnasiums in Stuttgart, hält wie Kretschmann nicht viel von Gendersternchen, Doppelpunkten und Unterstrichen. Seiner Meinung nach stören sie den Lesefluss, die männliche Form genügt ihm. Zudem empfindet er es als unbefriedigend, dass es keine einheitliche Regelung gibt, ob und wie den verschiedenen Geschlechtern in der Grammatik Rechnung getragen werden soll.
Droht Schülerinnen und Schülern ein Notenabzug?
Grundsätzlich sollen sich die Schulen laut Kultusministerium in Fragen der Grammatik und der Rechtschreibung nach dem Regelwerk des Rats für deutsche Rechtschreibung richten. Nun vertritt dieser zwar die Auffassung, dass „allen Menschen“ mit „geschlechtergerechter Sprache“ begegnet werden solle. Dennoch hat er sich 2021 dagegen ausgesprochen, Sternchen, Unterstriche und Doppelpunkte zu verwenden. Eine offizielle Regel gibt es also nicht, weshalb nach wie vor eine große Vielfalt bei diesem Thema an den Schulen herrscht.
Kretschmann zieht aus der Empfehlung des Rats für deutsche Rechtschreibung den Schluss, im Klassenzimmer solle auf das Gendern verzichtet werden, da es andernfalls „keine einheitliche Rechtschreibung“ mehr gebe. Manfred Birk sieht das ähnlich, wenngleich er sich eine klarere Positionierung des zuständigen Gremiums wünschen würde. Doch auch wenn er persönlich nicht gendert, möchte er den Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern an seiner Schule keine Vorschriften machen. „Das Problem ist nicht so groß, dass es sich lohnen würde, hier einzugreifen“, so Birk. Er betont, dass Schüler in jedem Fall keinen Notenabzug zu befürchten hätten, wenn sie genderten.
Welche Themen bewegen die Schulen tatsächlich?
Sandra Vöhringer, Direktorin der Stuttgarter Schickhardt-Gemeinschaftsschule, findet, dass es wichtigere Themen gibt als die Frage, ob und wie in der Schule gegendert werden sollte. Sie hat mit dringenderen Problemen zu kämpfen: „Die Debatte um Gendersternchen hat wenig mit dem Schulalltag zu tun. Wir haben hier andere Sorgen, wir brauchen dringend mehr Lehrpersonal.“ Gemeinschafts- und Realschulen seien besonders stark vom Lehrermangel betroffen, hinzu kämen derzeit viele krankheitsbedingte Ausfälle. Auch bei den Schülerinnen und Schülern sei das Thema gendergerechte Sprache kaum präsent. „Die Schüler bewegen andere Themen“, sagt Vöhringer, die auch Politik unterrichtet.
Sie sei froh, dass es an ihrer Schule eine aktive Schülerschaft und eine engagierte Schülermitverantwortung gebe. „Die Schüler kommen mit allen möglichen Anliegen zu uns. Es ist aber noch nie vorgekommen, dass mich einer auf gendergerechte Sprache angesprochen hat“, so die Schulleiterin. Laut Manfred Birk wird an seiner Schule hingegen durchaus über solche Themen diskutiert: „Die Schule ist ein Spiegel der Gesellschaft“, sagt er.
Genderfrage im Unterricht wenig präsent
Mehmet Ildes, dem Sprecher des Stuttgarter Jugendrats, reicht das nicht aus. Er findet, dass dem Thema in der Schule mehr Raum gegeben werden sollte: „Ich habe in der Schule wenig über die Verbindung von Geschlechterrollen und Sprache gelernt. Das finde ich schade.“ Nach seinem Abitur am Stuttgarter Eschbach-Gymnasium habe er sich aus persönlichem Interesse mehr mit dem Thema beschäftigt. „Bei Reden und Anträgen gendere ich immer. Aber auch bei privaten Gesprächen versuche ich mir eine gendergerechte Sprache anzugewöhnen.“
Ruben Schäfauer, Abiturient an der Gottlieb-Daimler-Schule in Sindelfingen und ebenfalls Sprecher des Jugendrats, kann dem nur zustimmen. Zwar sei das Thema in der Schule hin und wieder angeschnitten, es sei aber nie ausführlich behandelt worden. „Ich finde, dass das Thema durchaus mehr Beachtung verdient hätte“, so Schäfauer. Schließlich sei es im Berufsleben durchaus wichtig zu wissen, wann man gendern solle, um niemanden vor den Kopf zu stoßen.
Gesamtelternbeirat für gendergerechte Sprache an Schulen
Auch beim Städtischen Gesamtelternbeirat für Schulen (GEB) in Stuttgart stoßen Kretschmanns Äußerungen auf Unverständnis. „Wir haben bei dem Thema eine ganz klare Position: Wir sind dafür, dass an den Schulen gegendert wird. Die Schule muss sich an dieser Stelle dem Zahn der Zeit anpassen“, sagt die Vorsitzende Manja Reinholdt. Vor allem bei Berufsbezeichnungen sei es wichtig zu gendern, da sonst althergebrachte Rollenmuster reproduziert würden. „Sprache beeinflusst das Bewusstsein“, ist Reinholdt überzeugt.
Empfehlungen der Kultusminister
Baden-Württemberg
Theresa Schopper (Grüne), Kultusministerin in Baden-Württemberg, wirbt dafür, Schüler verstärkt für eine gendergerechte Sprache zu sensibilisieren. Derzeit soll in Klausuren nach dem deutschen Rechtschreibrahmen geschrieben werden, der keine Sonderzeichen vorsieht. Ob Gendern aber als Fehler gewertet wird, überlässt das Ministerium den Lehrkräften.
Sachsen
Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (CDU) hat 2021 in einem Schreiben an die Schulleiter gefordert, dass an Schulen keine Sonderzeichen für eine gendergerechte Sprache mehr verwendet werden.
Schleswig-Holstein
Die Kieler Bildungsministerin Karin Prien (CDU) hat sich ebenfalls gegen Gendersternchen und andere Sonderzeichen an Schulen ausgesprochen.