Korruption, Armut, Lethargie – das Image von Serbien ist auch 23 Jahre nach Kriegsende nicht schmeichelhaft. Zu Unrecht, meinen Kenner des Landes, das zum Sprung in die EU ansetzt. Eine Delegation aus Baden-Württemberg hat sich umgesehen.

Belgrad - Breit und erhaben strömt die Donau durch die Millionenstadt Belgrad und vereinigt sich hier mit der Save. Nirgendwo übersieht man die Flusslandschaft besser als auf der Festung Kalemegdan – ein Blick, der auch politische Visionen fördert. „Der Balkan gehört zu Europa“ sagt Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der an der Spitze einer 120-köpfigen Delegation zu einem abendlichen Empfang für Serben und Deutsche ins Burgrestaurant geladen hat.

 

Abgeordnete aus Land- und Bundestag sind mit ihm gereist, Professoren, Vertreter von Kunst und Hilfsorganisationen. Und natürlich Unternehmer, denn die wollen China und Russland nicht den Vortritt lassen. Sie alle applaudieren, als Kretschmann versichert, Baden-Württemberg werde den Serben behilflich sein beim Versuch, den Sprung in die EU zu schaffen: „Die Größe der Delegation zeigt, dass das nicht nur ein Höflichkeitsbesuch ist.“

Serbien als Kernland des Westbalkan

Auch Kroatien und Bosnien-Herzegowina stehen auf dem Reiseplan, doch während das eine Land bereits Mitglied im Brüsseler Club ist, wird das andere noch lange darauf warten müssen. So gilt das Hauptinteresse also Serbien, diesem vitalen Kernland des westlichen Balkans, dessen Menschen ihren Nachbarn so viel Leid zugefügt – und selbst so viel erlitten haben, als der Vielvölkerstaat Jugoslawien zerfiel. Während sich die Delegation hoch über der Donau an Paprikawurst und Cevapcici labt – die Serben gelten nicht gerade als Freunde fleischloser Kost –, speist Kretschmann bei Präsident Aleksandar Vucic zu Abend.

Er ist der starke Mann Serbiens, spielt bisweilen die nationalistische Klaviatur, bekennt sich aber klar zur EU. Kretschmann hat ihm von der Versöhnung Frankreichs mit Deutschland berichtet, hat geschildert, wie sich Charles de Gaulle an die deutsche Jugend wandte, und Vucic habe gespannt zugehört, sagt er anschließend. Denn vermeintliche „Erbfeinde“ gibt es auf dem Balkan mehr als genug. Und die Abspaltung des Kosovo ist ja keineswegs Serbiens einziges Problem. Das Wachstum ist schwach, die Arbeitslosigkeit hoch. „Wir brauchen neue und bessere Arbeitsplätze“, sagt Regierungschefin Ana Brnabic abends in der Burg. Die Unterstützung wird aber auch auf vielen anderen Feldern gern angenommen.

Stuttgarter Unternehmer in Belgrad

Unten in der Altstadt wälzt sich die Autoschlange beim Platz Zeleni Venac. Die Luft ist schlecht, viele Gebäude sind marode, und wie ein Skelett ragt ein Hochhausgerippe in den Himmel, früher Sitz einer Bank. Doch in der vierten Etage steht der Stuttgarter Unternehmer Miras Mirasevic und schmiedet Pläne: „Dieses Objekt soll ein Symbol für die nachhaltige Entwicklung werden und die ökologische Bewegung in Südosteuropa fördern“, sagt er zu Kretschmann.

Der blickt erst skeptisch auf die Computersimulationen, die ein grünes Hochhaus mit hängenden Gärten zeigt. Doch je länger der in Belgrad geborene Kroate spricht, desto aufgeschlossener werden die Besucher für das 30-Millionen-Euro-Projekt. Mirasevic, der sein Geld mit Projektentwicklung verdient, will hier ökologisch orientierte Start-up-Firmen ansiedeln. Dafür benötigt er noch die beiden Nachbargebäude – und die Politik verspricht, ihre Kontakte zu nutzen.

Mütterzentrum für Roma

Einige Kilometer weiter nördlich: Regen trommelt auf das Zelt, das neben einem schlichten Wohnhaus für die Gäste aus Baden-Württemberg aufgebaut wurde. Die Gegend hier ist ländlich, der Bus fährt selten, und die misstrauischen Blicke der Bewohner animieren nicht gerade zum Verweilen. Doch für einige Roma-Frauen der Region ist das Haus ein Paradies: Es bietet ihnen die Möglichkeit, ihre Kinder mitzubringen und sich mit anderen Frauen auszutauschen – ganz nach dem Muster der deutschen Mütterzentren.

Auch im Stuttgarter Westen gibt es eine solche Einrichtung, aufgebaut hat sie Andrea Laux. Die schleppt nun einen Koffer voller Spielzeuge aus dem Bus und wird von wartenden Roma-Frauen mit Küssen und Tränen empfangen. Denn bei Laux hat eine von ihnen, sie nennt sich Senada, das Prinzip der Mütterzentren gelernt. Das war in ihrer Zeit in Stuttgart, ehe sie nach Serbien abgeschoben wurde. „Wir mussten zurück in ein ruiniertes Land“, sagt sie.

Da Roma in Serbien häufig diskriminiert würden, sei diese Begegnungsstätte besonders hilfreich, sagt Laux. Zumal sie mithilfe der Baden-Württemberg-Stiftung entstand, die 18 000 Euro investiert – eine Art Rückkehrhilfe. Auch Staatsrätin Gisela Erler sitzt unter dem Zeltdach und probiert von dem Gebäck und dem Tee. Sie hat die Mütterzentren in den 80er Jahren erfunden, als sie als Wissenschaftlerin der Frage nachging, warum benachteiligte Frauen die klassischen Hilfsangebote nicht wahrnehmen. Zufrieden sagt sie: „Die Kommunalpolitik ist überall gut beraten, solche Initiativen zu unterstützen.“ Mit wenig Geld lasse sich viel bewegen.

Bosch investiert

Von wenig Geld kann bei der Robert Bosch d.o.o. Srbija natürlich keine Rede sein. Rund 70 Millionen Euro hat der Stuttgarter Konzern in das Werk bei Pecinci nordwestlich von Belgrad investiert, wo 1500 Menschen Wischersysteme für Autos herstellen. „Und das werden nicht die letzten Millionen sein“, sagt Klaus Peter Fouque, der Firmenrepräsentant für Österreich und Osteuropa. Man wolle das Land auf seinem Weg in die Europäische Union unterstützen und schaffe deshalb nicht nur Arbeits-, sondern auch Ausbildungsplätze. „Die jungen Menschen hier sind hungrig“, sagt er und meint das mit Blick auf ihr persönliches Fortkommen.

600 Euro brutto verdienen sie im Schnitt pro Monat. Dafür könnte die Firma auch in Rumänien produzieren – doch dort findet sie nicht mehr genügend Ingenieure. Der Bildungsstand der serbischen Schulabgänger gilt als solide, Englisch ist weit verbreitet. Nur mit dem Zoll macht Bosch unerfreuliche Erfahrungen: Manchmal stehen die Lkw 82 Stunden in der Schlange.

Korruption offenbar Problem

Manuel Lipp, ein Unternehmer aus Tannhausen auf der Ostalb, weiß da Rat: Man müsse eben die richtigen Zollstellen anfahren, sagt er augenzwinkernd. Korruption ist offenbar noch immer ein Problem. „Das ist ein sehr interessanter Markt, wenn man einige Hürden nimmt“, sagt der Hersteller von Biogasanlagen. Und Kai Schmidt-Eisenlohr, der Chef von Baden-Württemberg International, resümiert: „Ich bekomme von den Unternehmen durchweg positive Rückmeldungen.“

Sie scheint also zu tragen, die deutsch-serbische Brücke – schließlich gibt es auch Kooperationen auf zahlreichen anderen Feldern: von Agrargenossenschaften bis zu Hochschulen. So hat die PH Ludwigsburg mit der Universität Novi Sad, Serbiens zweitgrößter Stadt, ein Austauschprogramm für Studenten vertieft – in der Hoffnung, dass diese „Multiplikatoren für den europäischen Geist“ sind, wie Rektor Martin Fix sagt.