Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Zum anderen profitierte er offenkundig von Fürsprache – nicht nur von Seiten seiner Mitstreiter an der Universität, sondern der eines Gegenspielers: des damaligen Präsidenten George Turner. Telefonisch und schriftlich verwandte sich der CDU-nahe Turner beim Kultusministerium für den Asta-Chef, mit dem er manchen Strauß ausgefochten hatte. Er sähe „keine schwerwiegenden Hindernisse“, ihn als Referendar einzustellen, schrieb er als „Entscheidungshilfe“ an die Regierung. Bei allen Auseinandersetzungen habe er Kretschmann „weder als überzogen unsachlich noch als persönlich unangenehm empfunden“. Er sei „sicher kein Radikaler in dem Sinne, dass er es verdient, vom Vorbereitungsdienst ausgeschlossen zu werden“. Mit einer Ablehnung, sagt der inzwischen knapp 80-jährige Turner heute, hätte man Kretschmann „womöglich dorthin getrieben, wo er nur vermeintlich war“. Dessen politische Äußerungen habe er „nicht in erster Linie als ,kommunistisch, sondern als idealistisch verstanden“. Mit anderen Worten: der kluge Rektor wollte aus Kretschmann keinen Märtyrer machen.

 

Gerlinde hielt die Ideen für „völligen Blödsinn“

Als es zwei Jahre später um die Übernahme in den Schuldienst ging, gab es neue „Erkenntnisse“: Mitte 1976, meldete das Innen- ans Kultusministerium, habe Kretschmann an einer Wahlkampfveranstaltung des Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW) teilgenommen. Er habe sich dazu leider überreden lassen und betrachte „meine Teilnahme nachträglich als Zeitverschwendung“, bekundete er in der Anhörung beim Oberschulamt. Dazu brachte er eine halbseitige Erklärung mit, wonach er sich von den kommunistischen Ideen „vollständig abgewendet“ habe.

Beeindruckt habe ihn einst die „Aufbauleistung in China“, doch bei näherer Beschäftigung seien ihm „immer mehr Bedenken gekommen“ – vor allem als „mit Gewaltanwendung gedroht“ wurde. „Ein solcher Prozess der Abwendung vollzieht sich nicht von einem Tag zum anderen“, warb Kretschmann um Verständnis. Auch seine neue Rolle als Familienvater und der Einfluss seiner Ehefrau Gerlinde, damals bereits Lehrerin, habe ihm eine „ganz andere Sicht der Verhältnisse vermittelt“; sie habe seine Ansichten für „völligen Blödsinn“ gehalten. Seine Distanzierung sei kein „Lippenbekenntnis“, beteuerte Kretschmann, man möge dazu doch seine Vorgesetzten aus dem Referendariat hören.

Gute Referenzen von de Schulleitern

Die Schulleiter des Friedrich-Eugens-Gymnasiums in Stuttgart und des Esslinger Mörike-Gymnasiums bestätigten das gerne. Es handele sich offenkundig nicht um ein „temporär begrenztes taktisches Anpassungsmanöver“, sondern um eine echte Entwicklung, schrieben sie in ihren Stellungnahmen: Mit Kretschmanns „beruflicher Reifung“ sei auch eine „charakterliche und menschliche einhergegangen“. Verfassungsfeindliche „Umtriebe“ habe man bei ihm nicht feststellen können.

Besonders positiv äußerte sich der Leiter des Staatlichen Seminars für Studienreferendare in Esslingen, Ernst Waldemar Bauer, der später als Naturfilmer („Wunder der Erde“) und FDP-Politiker bekannt wurde. Nach einer „kurzen, emotional bestimmten Widerspruchsphase“ habe sich der Referendar Kretschmann als „ausgesprochen lernfähig“ und als „engagierter Lehrer“ erwiesen. „Sicher neigt er dazu, Konflikte zu verstärken“, sei aber auch „stets bereit, seinen Standpunkt in Frage zu stellen“. „Für die Sorgen und Nöte anderer Menschen ist er ausgesprochen aufgeschlossen“, lobte Bauer. Er würde es daher „begrüßen“, wenn der Referendar in den Schuldienst käme. Das Oberschulamt zeigte sich von den Referenzen überzeugt: Kretschmanns Ausführungen seien „glaubhaft“, folgerte es, die Bedenken ausgeräumt. Wenig später erteilte auch das Kultusministerium sein Plazet. Damit schließt die Akte.

Zum anderen profitierte er offenkundig von Fürsprache – nicht nur von Seiten seiner Mitstreiter an der Universität, sondern der eines Gegenspielers: des damaligen Präsidenten George Turner. Telefonisch und schriftlich verwandte sich der CDU-nahe Turner beim Kultusministerium für den Asta-Chef, mit dem er manchen Strauß ausgefochten hatte. Er sähe „keine schwerwiegenden Hindernisse“, ihn als Referendar einzustellen, schrieb er als „Entscheidungshilfe“ an die Regierung. Bei allen Auseinandersetzungen habe er Kretschmann „weder als überzogen unsachlich noch als persönlich unangenehm empfunden“. Er sei „sicher kein Radikaler in dem Sinne, dass er es verdient, vom Vorbereitungsdienst ausgeschlossen zu werden“. Mit einer Ablehnung, sagt der inzwischen knapp 80-jährige Turner heute, hätte man Kretschmann „womöglich dorthin getrieben, wo er nur vermeintlich war“. Dessen politische Äußerungen habe er „nicht in erster Linie als ,kommunistisch, sondern als idealistisch verstanden“. Mit anderen Worten: der kluge Rektor wollte aus Kretschmann keinen Märtyrer machen.

Gerlinde hielt die Ideen für „völligen Blödsinn“

Als es zwei Jahre später um die Übernahme in den Schuldienst ging, gab es neue „Erkenntnisse“: Mitte 1976, meldete das Innen- ans Kultusministerium, habe Kretschmann an einer Wahlkampfveranstaltung des Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW) teilgenommen. Er habe sich dazu leider überreden lassen und betrachte „meine Teilnahme nachträglich als Zeitverschwendung“, bekundete er in der Anhörung beim Oberschulamt. Dazu brachte er eine halbseitige Erklärung mit, wonach er sich von den kommunistischen Ideen „vollständig abgewendet“ habe.

Beeindruckt habe ihn einst die „Aufbauleistung in China“, doch bei näherer Beschäftigung seien ihm „immer mehr Bedenken gekommen“ – vor allem als „mit Gewaltanwendung gedroht“ wurde. „Ein solcher Prozess der Abwendung vollzieht sich nicht von einem Tag zum anderen“, warb Kretschmann um Verständnis. Auch seine neue Rolle als Familienvater und der Einfluss seiner Ehefrau Gerlinde, damals bereits Lehrerin, habe ihm eine „ganz andere Sicht der Verhältnisse vermittelt“; sie habe seine Ansichten für „völligen Blödsinn“ gehalten. Seine Distanzierung sei kein „Lippenbekenntnis“, beteuerte Kretschmann, man möge dazu doch seine Vorgesetzten aus dem Referendariat hören.

Gute Referenzen von de Schulleitern

Die Schulleiter des Friedrich-Eugens-Gymnasiums in Stuttgart und des Esslinger Mörike-Gymnasiums bestätigten das gerne. Es handele sich offenkundig nicht um ein „temporär begrenztes taktisches Anpassungsmanöver“, sondern um eine echte Entwicklung, schrieben sie in ihren Stellungnahmen: Mit Kretschmanns „beruflicher Reifung“ sei auch eine „charakterliche und menschliche einhergegangen“. Verfassungsfeindliche „Umtriebe“ habe man bei ihm nicht feststellen können.

Besonders positiv äußerte sich der Leiter des Staatlichen Seminars für Studienreferendare in Esslingen, Ernst Waldemar Bauer, der später als Naturfilmer („Wunder der Erde“) und FDP-Politiker bekannt wurde. Nach einer „kurzen, emotional bestimmten Widerspruchsphase“ habe sich der Referendar Kretschmann als „ausgesprochen lernfähig“ und als „engagierter Lehrer“ erwiesen. „Sicher neigt er dazu, Konflikte zu verstärken“, sei aber auch „stets bereit, seinen Standpunkt in Frage zu stellen“. „Für die Sorgen und Nöte anderer Menschen ist er ausgesprochen aufgeschlossen“, lobte Bauer. Er würde es daher „begrüßen“, wenn der Referendar in den Schuldienst käme. Das Oberschulamt zeigte sich von den Referenzen überzeugt: Kretschmanns Ausführungen seien „glaubhaft“, folgerte es, die Bedenken ausgeräumt. Wenig später erteilte auch das Kultusministerium sein Plazet. Damit schließt die Akte.

Kretschmann wundert sich über sich selbst

Auch wenn das alles fast vierzig Jahre her ist – es sei „nichts, was man einfach so ablegt“, sagt Kretschmann heute. Er frage sich noch immer, wie er damals „in eine linksradikale Sekte“ geraten konnte: „Wieso rutscht jemand so ab?“ Viele Menschen hätten seinerzeit gemerkt, „der ist gar nicht so“, und ihm bei der Ablösung geholfen. Trotzdem, bilanziert der Ministerpräsident, sei die damalige Phase für ihn eine „ganz wichtige Erfahrung“ gewesen: Er sei auch dadurch „zum leidenschaftlichen Demokraten geworden“ – und seither „übersensibel gegen alles Totalitäre“.