Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Stuttgarts OB Fritz Kuhn sind das erste grün-grüne Duo in einem Bundesland und seiner Landeshauptstadt. Ihr gemeinsamer Weg wird trotz aller Gemeinsamkeiten nicht immer einfach sein.

Stuttgart - Der persönliche Tiefpunkt im Verhältnis zwischen einem Stuttgarter Oberbürgermeister und einem baden-württembergischen Ministerpräsidenten ist erst vor kurzem aktenkundig geworden. „Wenn einem das Gespür fehlt und die Umgangsformen, dann ist man für eine bestimmte öffentliche Aufgabe ungeeignet,“ sagte Wolfgang Schuster Anfang Januar in seinem OB-Abschiedsinterview mit der Stuttgarter Zeitung über den letzten CDU-Ministerpräsidenten, seinen, die An- und Abführung ist in diesem Fall angebracht, „Parteifreund“ Stefan Mappus.

 

Ein derart vernichtendes Urteil hatte noch kein Stuttgarter Oberbürgermeister über den politisch prominentesten Bürger in seiner Stadt öffentlich gefällt. So sehr war aber auch noch kein Stadtoberhaupt von einem Regierungschef gedemütigt worden wie Schuster von Mappus, der im März 2011 in einer gezielten Indiskretion dem Oberbürgermeister schwere Fehler vorwarf und erklärte, er werde sich künftig stärker in die Stuttgarter Kommunalpolitik einmischen. Drei Wochen später war Mappus Ex-Ministerpräsident; sein Name kam auf Schusters Abschiedsfeier nicht vor.

Der Weg kann über holperige Strecken führen

Das gemeinsame Parteibuch ist also keine Garantie für eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen dem Ministerpräsidenten und dem Oberbürgermeister – und insofern stehen auch Winfried Kretschmann und Fritz Kuhn am Beginn eines gemeinsamen Wegs, der zwar kaum so unversöhnlich enden wird wie der von Schuster und Mappus, der aber eben auch über holprige Strecken führen kann. Tatsächlich sitzen nun erstmals gleichzeitig zwei Grünen-Politiker an den Schalthebeln der Macht im Rathaus am Marktplatz und in der Villa Reitzenstein in Halbhöhenlage. Doch ob das gleich den Beginn einer neuen Ära, gar einer Kretschmann-Kuhn-Regentschaft markiert? Oder bestimmt doch eher der seit Jahren bekannte und nicht immer einfache Interessenausgleich zwischen dem Land und seiner Hauptstadt die Beziehungen? Tritt der parteipolitisch bestimmte Gleichklang also zurück hinter den pragmatischen Kompromiss?

Die Voraussetzungen für eine gedeihliche Zusammenarbeit sind gegeben. Das persönliche Verhältnis zwischen Kuhn und Kretschmann scheint, so die Aussagen von Grünen, die beide lange kennen, unbelastet zu sein – gerade weil Kretschmann vor Jahrzehnten von links außen ins Realo-Lager gerutscht ist, in dem Kuhn schon immer verortet war. Und auch wenn Kretschmann die Rolle des bodenständigen Landesvaters verkörpert, dem pragmatische Lösungen nicht fremd sind, während Kuhn den intellektuellen Städter gibt, der das Dozieren nicht lassen kann – die beiden, so sagt ein hochgestellter Grüner, „können miteinander“.

Kuhn ist forscher als Kretschmann

Zumindest Letzteres hat Kretschmann bei der Amtseinführung des „lieben Fritz“, den er gleich mehrfach als einen „politischen Weggefährten seit 30 Jahren“ bezeichnete, in seiner Rede explizit bestätigt. Ansonsten attestierte er dem neuen Stadtoberhaupt eine „sehr gute Analysefähigkeit, hohe Sachkunde, großen Durchhaltewillen, ein großes strategisches Vermögen, Führungsstärke“ und – das musste angesichts des übrigen Loblieds fast schon wie ein kleine Rüge aufgefasst werden – „auch eine Liebe zum Detail“.

Um das schwierige Detail wird es auch gehen, wenn nur ein Teil der Aufgaben erledigt werden soll, die Kuhn auf seiner Arbeitsliste notiert hat. Dazu gehört S 21, bei dem der neue OB in seinen ersten Tagen eine ganz andere Rolle spielt als Kretschmann. Der Ministerpräsident tut alles, um den Verdacht zu zerstreuen, er beherzige nicht das Ergebnis der Volksabstimmung und die rechtlich gebotene Projektförderpflicht. Kuhn ist forscher: Er stellt angesichts der Kostenexplosion die Aussagekraft der Volksabstimmung infrage und kritisiert die Bahn ungewöhnlich scharf– sehr zur Freude der Grünen-Basis, sehr zum Ärger der politischen Konkurrenz, wie sich am Dienstag im Technik-Ausschuss des Gemeinderats zeigte. „Kuhn wird auch noch merken, dass er eine Befürwortermehrheit in seinem Gemeinderat hat“, unkte bereits in der vorigen Woche ein Grüner, der das Hü-und-Hott-Spiel in der Koalition mit den S-21-Unterstützern der SPD kennt.

Der Einfluss des Landes auf die Stadtplanung ist immens

Doch unabhängig davon wird der neue Stuttgarter Oberbürgermeister den Ministerpräsidenten und die Landesregierung brauchen, wenn er auch nur einen Teil seiner Ankündigungen umsetzen will. Jahr für Jahr mehr preiswerten Wohnraum zu schaffen, das wird selbst die reiche Stadt nur mit Unterstützung aus einem Landesprogramm stemmen können. Und auch bei Kuhns Wunsch nach 20 Prozent weniger Autoverkehr und sauberer Luft ist die Landesregierung gefragt: Ohne die Millionen für den Nahverkehr, für Mobilitätskarten und für Elektrofahrzeuge und ohne die Unterstützung des Regierungspräsidiums, also einer Landesbehörde, für weitere Temporeduzierungen ist das aus Expertensicht ohnehin hochgesteckte Ziel auf keinen Fall zu erreichen. Krankenhäuser, Bildung, Soziales, Kinderbetreuung, gemeinsam finanzierte Kultureinrichtungen – das sind weitere Themen, die Stadt und Land zusammenketten und die – nicht zuletzt wegen der Finanzen – Konfliktstoff bergen. Zudem besitzt und verwaltet das Land zahlreiche zentrale Grundstücke in der Landeshauptstadt, sein Einfluss auf die Stadtplanung ist dadurch immens.

„Stuttgart gibt die besten Seiten unseres Landes wieder“, lobte Kretschmann artig; „wenn es dem Land gut gehen soll, muss es auch Stuttgart gut gehen“, entgegnete Kuhn. Das sind Allgemeinplätze wie sie auch ihre Vorgänger pflegten. Nicht immer führte das zu gemeinsamen Lösungen. So musste Stuttgarts erster Nachkriegs-OB Arnulf Klett hinnehmen, dass seine Stadt bei der Kommunalreform vor 40 Jahren keine Flächen dazu bekam – eine Fehlentscheidung, die bis heute nachwirkt. Ein Grund war, dass der Parteilose zu wenig Einfluss in den Landtagsfraktionen hatte. Aber auch unter Manfred Rommel, der aus der Landesverwaltung kam, gab es Meinungsverschiedenheiten, etwa als Regierungschef Lothar Späth, der Rommel bei der CDU-internen Wahl um Filbingers Nachfolge besiegt hatte, eine Bankenfusion mit der städtischen Landesgirokasse anstrebte: Als Späth auf einer Auslandsreise war, stellte Rommel das Signal auf rot. Diese und andere Fusionen kamen erst später zustande – unter Schuster und dem Ministerpräsidenten Erwin Teufel, die ein Vertrauensverhältnis hatten und sich bis heute duzen. Zumindest dies zeichnet auch Kuhn und Kretschmann aus.