Mit der Zustimmung zum neuen Asylrecht empört der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann seine Partei. Das Urteil der Grünen jenseits der Grenzen seines Landes scheint gefallen. Es lautet: Hochverrat.

Berlin - Um 11.37 Uhr an diesem Freitag im Bundesrat ist der Moment gekommen, in dem Ministerpräsident Winfried Kretschmann seine bisher mutigste bundespolitische Tat vollbringt. Er tut eigentlich gar nichts in diesem Moment. Er sitzt nur da, blickt niedergeschlagen und lässt seinen Bundesratsminister Peter Friedrich die Hand heben. Aber eben diese Geste macht den Weg frei für eine umfassende Reform des Asylrechts. Kretschmann und Friedrich verschaffen dem Vorhaben die erforderliche Mehrheit mit den sechs Stimmen, über die Baden-Württemberg in der Länderkammer verfügt. Viele Grüne verstehen dieses Votum als eine Provokation. Ihr erster und einziger Regierungschef hat ihnen den Fehdehandschuh hingeworfen.

 

Das Echo ist entsprechend: Die Parteivorsitzende Simone Peter nennt den Kompromiss, auf den Kretschmann sich eingelassen hat, falsch. Andere werten das Ganze als „unanständig“. Der sozialdemokratische Kollege Torsten Albig aus Schleswig-Holstein wirft Kretschmann vor, er habe kaltherzig gehandelt.

Die Anspannung ist Kretschmann anzusehen

Als Kretschmann zu erklären versucht, was ihn zu der Zustimmung bewogen hat, ist ihm anzumerken, wie sehr er mit sich ringen muss – unter welcher Anspannung er bei der Entscheidung stand. Er zwingt seine Hände zur Ruhe, indem er mit Daumen und Zeigefingern eine Raute formt, wie das die Bundeskanzlerin in entsprechenden Augenblicken zu tun pflegt. Es handle sich um eine „schwierige persönliche Entscheidung“, sagt Kretschmann wiederholt. Schließlich gehe es um „ein Herzensthema der Grünen“. Zudem habe er das Prinzip der sicheren Herkunftsländer, Dreh- und Angelpunkt des deutschen Asylrechts, immer schon für falsch gehalten. Da es nun aber im Grundgesetz verankert sei, müsse er im Rahmen dessen nach Lösungen suchen, die anständige Lebensumstände für Flüchtlingen ermöglichen. „Ich stehe als Ministerpräsident nicht über der Verfassung“, betont Kretschmann. Seine Argumente sind allesamt unter einer Rubrik zu verbuchen, die der Soziologe Max Weber einmal „Verantwortungsethik“ genannt hat. Winfried Kretschmann hält sich nicht lange mit dem Kleingedruckten auf, das er ausgehandelt hat. Er kommt rasch auf die Motivation zu sprechen, die seiner umstrittenen Kompromissbereitschaft zugrunde liegt. Es gehe ihm auch um den Zusammenhalt in der Gesellschaft, sagt er. Deren Toleranz für Flüchtlinge – Kretschmann nennt es „Empathie“ – werde gesichert, wenn Asylbewerber jetzt für ihren Lebensunterhalt arbeiten könnten. Was er nicht anspricht, ist der Umstand, dass die Toleranz für Wirtschaftsflüchtlinge und ganz speziell für Roma nicht übermäßig ausgeprägt ist.