Bei seiner Wanderung durch die von der CDU dominierten Odenwaldregion im Norden Baden-Württembergs lässt es Regierungschef Winfried Kretschmann mit seiner Frau Gerlinde gemächlich angehen.

Mosbach - Mosbach im Odenwald, am Montagmorgen auf dem Marktplatz: Eine Gruppe wanderlustiger Bürger hat sich vor der Kulisse lieblicher Fachwerkhäuser versammelt. Eine grüne Limousine mit Stuttgarter Kennzeichen fährt vor. Als Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und seine Frau Gerlinde aussteigen, gibt es spontan Applaus. Kretschmann trägt Wanderschuhe, ist leger und ganz in grau gekleidet. Er trägt einen Hut und einen Rucksack. Es ist der erste Tag seiner zweiwöchigen Wandertour durch Baden-Württemberg.

 

Monika und Bastian Stadtmüller beobachten das Treiben etwas abseits. Mitwandern wollen sie aus Zeitgründen nicht - neugierig sind sie trotzdem. „Ich bewundere ihn für seine Gelassenheit“, sagt die Mosbacherin über Kretschmann. Ihr Mann stimmt ihr zu. „Seine Kommentare sind ja eigentlich immer auf dem Punkt“, meint er anerkennend. Nur eine Frage hätte er noch an den Regierungschef: Ob er bei einer Wahlniederlage im März 2016 wirklich aus der Politik aussteigen will? Das hat Kretschmann jüngst im „Spiegel“ ankündigt.

Mit seiner Äußerung hatte Kretschmann vor eineinhalb Wochen für viel Diskussionsstoff gesorgt. Jetzt tut er so, als ob das Thema für ihn abgehakt sei. Eine Reporterin will von dem 67-Jährigen dann noch wissen, wie fit Spitzenpolitiker überhaupt sein können. „Ich bin schon so fit, dass ich den Neckarsteig schaffe. Da habe ich keine Bedenken“, sagt Kretschmann. Und er schiebt augenzwinkernd nach: „Wie fit man ist, weiß man immer nach der Wanderung.“

Während CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf mit einem Bus und einem jungen Team in orangenen T-Shirts durch das Land tourt, ist Kretschmann zu Fuß unterwegs, um - wie er sagt - mit den Menschen die Themen zu besprechen, die sie bewegen. Alles nur früher Wahlkampf? Er wischt solche Vermutungen beiseite und signalisiert, dass er eine Wanderung aus solchen Gründen gar nicht nötig habe. „Ich bin schon bekannt und beliebt.“ In der Tat: Die jüngsten Umfragen zeigen, dass Kretschmanns Beliebtheit ungebrochen ist. Doch die Frage, ob Grün-Rot nach der Landtagswahl im März 2016 weiterregieren kann, bleibt spannend.

Mit Verspätungen kommt der Tross in Gundelsheim an

Am Montag kriecht der Tross aus rund 60 überwiegend älteren Bürgern, Kommunalpolitikern und Journalisten gleich zu Beginn der Wanderung bei Temperaturen um die 30 Grad eine kräftige Steigung empor. Der Neckarsteig gehört zwar nicht zu den schwierigen Wanderwegen - ein Spaziergang ist er aber auch nicht. „Lieber beim Wandern schwitzen als beim Schaffen“, meint Gerlinde Kretschmann. Ihr Mann selbst geht in konstant gemächlichem Tempo den Berg hinauf und diskutiert nebenbei mit einem Wanderfreund über das Kernkraftwerk Obrigheim, das vor zehn Jahren abgeschaltet wurde und das nun abgerissen wird.

Fritz Ott legt dem Ministerpräsidenten beim Wandern die duale Ausbildung ans Herz. „Unsere mittelständischen Betriebe brauchen Lehrlinge“, betont der 75-Jährige. Kretschmann finde er „spitze“, erklärt er später. „Ich hoffe, dass er wiedergewählt wird.“ Erst als Rentner wurde Ott Mitglied bei den Grünen - dabei ist der Odenwald für sie ein schwieriges Pflaster. Die Region gilt als tiefschwarz. „Aber die Leute merken schon, wie wichtig es ist, eine Alternative zu haben“, meint Ott mit Blick auf die 58-jährige CDU-Regierungszeit, die 2011 mit dem Wechsel zu Grün-Rot ein abruptes Ende fand.

Derweilen gerät Wanderführer Fritz Müßig etwas ins Schwitzen - aber aus anderen Gründen. Als Kretschmann am Wegesrand ein Schild zum Mahnmal für die deportierten Juden aus Baden entdeckt, gerät der sorgfältig zusammengestellte Zeitplan arg ins Wanken. Statt rechts dem Wanderweg zu folgen, schlägt Kretschmann spontan links den Weg zum Mahnmal ein. Während die Wandergruppe nach den Wasserflaschen in den Rucksäcken kramt, lässt sich der Ministerpräsident die Galerie der Steine erklären. Jeder Stein steht dabei für einen Ort in Baden, aus dem im Zweiten Weltkrieg Juden deportiert wurden.

Mit Verspätungen kommt der Tross am Nachmittag in Gundelsheim an. Kretschmann verabschiedet sich von der Wandergruppe und besucht noch eine Schokoladenmanufaktur. Und der Abend bleibt privat.