Auf dem verunglückten Kreuzfahrtschiff "Costa Concordia" sind drei Überlebende geborgen geworden. Das Schiff war in der Nacht zum Samstag gekentert.

Rom - Wir saßen beim Abendessen, auf einmal: ein fürchterlicher Knall, das Schiff bremst schlagartig ab, das Licht geht aus. Dann noch mal so ein Knall. Uns sind die Teller und Gläser entgegengeflogen, die Tische sind davongerutscht. Auf einmal haben alle durcheinandergeschrien. Dann haben wir schon gemerkt, wie das Schiff sich zur Seite neigte. Die Leute konnten sich in der Schräge nicht auf den Beinen halten; alle sind durcheinandergefallen und aufeinander herumgetrampelt. Der Pianist ist ins Meer gesprungen, um sich zu retten."

 

So erzählen Passagiere vom jähen Ende ihrer Mittelmeerkreuzfahrt. Acht Urlaubstage lang sollte sie dauern, schon nach einem halben Abend aber ist sie zu Ende: Am Freitag gegen 21.30 Uhr streift die Costa Concordia eine Klippe; Felsen reißen den Rumpf beiderseits auf etwa 70 Meter Länge auf, Wasser dringt in das knapp 300 Meter lange Schiff ein. Die Unglücksstelle liegt ein paar Hundert Meter vor der Isola del Giglio, der Lilieninsel, 15 Kilometer von der toskanischen Küste entfernt.

Dem Kapitän gelingt es nach Angaben der Küstenwache gerade noch, das Schiff trotz Schlagseite ganz nahe an den Felsenstrand der winzigen Insel zu manövrieren. Damit habe er eine unermessliche Tragödie verhindert und die Rettungsarbeiten sehr vereinfacht, teilt der italienische Zivilschutz mit. Trotzdem sterben fünf Personen - darunter auch Touristen -, mehr als 50 Menschen werden verletzt, einige von ihnen schwer.

"Wir haben uns gegenseitig die Rettungswesten geklaut"

Die Costa Concordia, auf einer Rundfahrt in Richtung Riviera, Barcelona, Mallorca, Sizilien, ist an diesem Abend nicht ganz ausgebucht. An Bord befinden sich mehr als 4200 Personen: 1013 Besatzungsmitglieder und 3216 Passagiere buchstäblich aus aller Welt, unter ihnen auch 569 Deutsche. Nur etwa zehn, so heißt es bei der deutschen Botschaft in Rom, müssen ins Krankenhaus. Das Außenministerium in Berlin sprach am Sonntagnachmittag allerdings von "einigen noch ungeklärten Fällen". Noch könne man nicht davon ausgehen, dass sämtliche deutschen Passagiere das Unglück überlebt hätten.

Auf der Isola del Giglio und an der Küste der Toskana fangen die Fernsehkameras am Samstag Szenen ein, wie Italien sie nur aus Lampedusa kennt: Personen unter Schock, mit angstgeweiteten Augen, zitternd vor Kälte, in Decken und in Aluminiumfolien gehüllt - wie schiffbrüchige Flüchtlinge aus Afrika. Kirchen, Schulen und Hotels öffnen ihre Tore, um die Gekenterten aufzunehmen; Einwohner bringen Tee und Nahrungsmittel, der Pfarrer gar hüllt einige Unterkühlte in Messgewänder. Und während sie sich wärmen, berichten die Geretteten von "apokalyptischen Szenen" an Bord: "Es war wie im Film über die Titanic, nur viel schlimmer", sagt eine Journalistin, die auf der Costa Concordia urlauben wollte. Andere sprechen von "kompletter Funkstille aus der Kommandozentrale", von Personal, das zu verängstigt gewesen sei, um klare Anweisungen zu geben, aber auch von "philippinischen Köchen und Kellnern, die die wahren Offiziere an Bord waren und uns gerettet haben". Von Beibooten, die wegen der immer stärkeren Neigung des Schiffes in den Halterungen festgeklemmt waren und nicht zu Wasser gelassen werden konnten, von halsbrecherischen Abstiegen auf Strickleitern, von Rettungswesten, die schwer zu finden und zu knapp waren, ist die Rede: "Es waren so wenige, wir haben sie uns gegenseitig geraubt", sagt die Italienerin Antonietta Simboli.

Kapitän hat zu früh das Schiff verlassen

Die Lichter der Insel scheinen den Gestrandeten zum Greifen nah. Höchstens hundert Meter sind es vom Schiff bis dorthin - und einzig deswegen überleben die mehr als hundert Passagiere, die voller Panik ins Wasser springen und um ihr Leben schwimmen. Nur 14 Grad warm ist das Mittelmeer um diese Jahreszeit; länger als dreißig Minuten, sagen Rettungskräfte, hätte dieses unfreiwillige Bad keiner ausgehalten.

Sechs Stunden, das Schiff liegt schon flach, dauert die nächtliche Rettung. Ein koreanisches Paar auf Hochzeitsreise wird erst 24 Stunden später aus seiner Kabine befreit. Bis Sonntagnachmittag aber fehlen immer noch 15 Menschen. Sind sie im Schiff? Eingeschlossen und ertrunken in der rechten Hälfte, die komplett unter Wasser liegt? Angehörige der Crew, die ihre Kabinen dort haben, wo die Felsen den Rumpf aufgerissen haben? Taucher versuchen es am Sonntag herauszufinden; am Samstag wagten sie's nicht: Das Schiff drohte vom Küstensockel in die Tiefe zu gleiten.

Während an der linken Flanke des Schiffes noch immer der mehr als fünf Meter große Felsbrocken eingeklemmt ist, den die Costa Concordia von der Klippe abgerissen hat, schwinden die Unklarheiten über die Ursache der Havarie: Das Schiff, so sagen alle, war viel zu nahe an der Küste. In fünf Kilometer Entfernung führt die normale Route vorbei; die Costa Concordia hielt aber nicht mal einen Kilometer Abstand von den Klippen. "Die Granitfelsen dort sind wie Eisberge: Sie ragen kaum aus dem Wasser, aber sie sind messerscharf." So sagen es Seeleute von der Lilieninsel.

Aber warum diese Nähe? Das Wetter war hervorragend. Technisches Versagen vielleicht? Oder waren die Klippen nicht auf der Seekarte eingetragen, wie es der Kapitän versichert? Die Leute von der Lilieninsel deuten Reportern gegenüber eine andere Erklärung an: Manche Kapitäne manövrierten absichtlich nahe an die Küste, "um die Insel zu grüßen, um die Passagiere unsere bergige Silhouette bewundern zu lassen und selbst, als stolzes, voll beleuchtetes Kreuzfahrtschiff, von den Touristen am Ufer bewundert zu werden".

Die Champagnerflasche zerbrach nicht

Der Staatsanwalt Francesco Verusio hat den Kapitän in Haft genommen: Mehrfache Tötung wirft er ihm vor, eine "falsche Route", ein "ungeeignetes Fahrmanöver" - und den Fakt, dass er das Schiff viel zu früh verlassen hat: Um 23.30 Uhr war der Kommandant schon weg, die letzten Passagiere wurden erst fünf Stunden später gerettet.

Die Costa Concordia gehört oder besser gehörte dem italienischen Kreuzfahrt-Unternehmen Costa Crociere, dem größten in Europa; die einstige Genueser Familienreederei Costa ihrerseits ist seit 1997 Teil des amerikanischen Weltmarktführers Carnival. Die Costa Concordia, 450 Millionen Euro teuer und 2006 in Betrieb genommen, galt als eines der modernsten Kreuzfahrtschiffe. Im November 2008 hatte sie einen ersten Unfall. Bei starkem Wind krachte sie gegen die Hafenmole in Palermo; der Bug wurde schwer beschädigt, Menschen kamen nicht zu Schaden. Im Internet kursierte am Wochenende aber das Video von der Schiffstaufe: Die gegen den Bug geschleuderte Champagnerflasche zerbrach nicht. Eine solche Programmwidrigkeit wird im abergläubischen Italien immer als schlechtes Vorzeichen gewertet.