Lebt Venedig von den riesigen Kreuzfahrtschiffen, oder sind sie der Tod der Lagune? Ein Bauvorhaben entfacht Streit.

Von einem Überfall sprechen sie in Venedig, was da in Rom geschehen ist. Dort, am Sitz des italienischen Regierungschefs, traf sich das „Groß-Komitee“ wieder einmal, um eine Lösung für eines der drängendsten Probleme der Wasserstadt zu finden: Wohin mit den Riesen-Kreuzfahrtschiffen? Mehr als 700 dieser „Paläste des Meeres“ fahren jedes Jahr nicht nur in die Lagune ein, sondern auch haarscharf an Dogenpalast, Markusplatz und Campanile vorbei.

 

Der Wellenschlag, den ihre Großturbinen verursachen, höhlt Fundamente aus, greift die Pfähle an, auf denen Venedig steht. Die Abgase ihrer Dieselmotoren verbreiten ätzende Luft und greifen den „Istria-Marmor“ der Baudenkmäler an. Spätestens seit dem Unglück der Costa Concordia auf Giglio 2012 ist bei den Bürgern von Venedig die Angst gewachsen, so ein Traumschiff, das 60 Meter und mehr aus dem Wasser ragt, damit doppelt so hoch ist wie der Dogenpalast, könnte umkippen und Bauten vom Rang eines Weltkulturerbes unter sich begraben.

Neuer Kanal soll in die Lagune gebaggert werden

„Kreuzfahrtschiffe sind unser Leben“, sagen dagegen die Betreiber des Hafens. Mehr als zwei Millionen Touristen kämen jedes Jahr auf dem Seeweg vorbei, das bringe 430 Millionen Euro, erhalte 5000 Arbeitsplätze. „Kreuzfahrtschiffe raus aus der Lagune!” – dieser Schlachtruf der immer häufigeren Protestkundgebungen sei „der Tod der Stadt“. Derzeit hat Venedig keine Regierung. Dieses politische Vakuum, so Umweltschützer, hätte „die Kreuzfahrt- und die korrupte Baulobby“ genutzt, „zu Gunsten der eigenen Interessen die schlechteste aller möglichen Lösungen durchzusetzen“.

Das Komitee aus Regierung, Fachleuten sowie Stadt- und Regionalpolitikern hat in der Ferienstille beschlossen, für die Kreuzfahrtschiffe einen neuen Kanal in die Lagune zu baggern. Genauer gesagt wollen sie nur eine Umweltverträglichkeitsprüfung vornehmen, aber ausschließlich für diese Zufahrt. In den Augen der Kritiker ist die Sache damit entschieden, zumal auch schon ein Termin für die Fertigstellung des Kanals genannt wird: in achtzehn Monaten soll er freie Fahrt ermöglichen.

Es gibt aber auch drei Fortschritte zu beobachten

Damit sind alle Lösungsvorschläge vom Tisch, die mit Hinweis auf das zerbrechliche ökologische Gleichgewicht in der seichten Lagune die Riesenschiffe an der Einfahrt hindern wollten. Draußen, auf der Meerseite des Lido beispielsweise, sollte ein Spezialterminal für Kreuzfahrtschiffe eingerichtet werden, verlangten die einen, und die anderen, die 300 oder mehr Meter langen Schiffe, wenn schon in die Lagune, dann wenigstens weitmöglichst vom Stadtgebiet entfernt zu leiten.

Nun soll eine heute kleine Fahrrinne von 2,4 auf 10,50 Meter Tiefe ausgebaggert und auf bis zu 200 Meter verbreitert werden – mit allen Folgen für die Wasserzirkulation in der Lagune. „Zerstörerisch“ sei das, sagen die Umweltschützer; die Hafenchefs entgegnen: damit werde „die Wiederherstellung des ökologischen Gleichgewichts erst ermöglicht“.

Drei Fortschritte aber gibt es jetzt schon: Die Regierung will ab 2015 ein zwei Jahre altes Dekret in Kraft setzen, welches Schiffen ab 96 000 Tonnen die Durchfahrt durch das „San-Marco-Bassin“ verbietet. Zweitens werden 446 der großen Passagierfähren derzeit vom venezianischen Inselhafen nach Fusina aufs Festland verlegt, und drittens haben sich die Kreuzfahrtreedereien „freiwillig“ verpflichtet, nicht mehr so viele Schiffe unmittelbar an San Marco vorbeifahren zu lassen.