Das Pfarramt der Hospitalkirche und die Citykirchen haben zum stadtgeschichtlichen Kreuzweg vor den Feiertagen geladen. Bei der Führung durch Stuttgart richteten vier Geistliche den Blick auf besondere Gedenkorte der Stadt.

Stuttgart - Pfarrer Eberhard Schwarz von der Hospitalkirche hat ihn in einer Papiertüte mitgebracht: einen einfachen, äußerst stacheligen Dornenkranz. „Ein zynisches Zeichen“ sagt Pfarrer Schwarz und legt ihn beim Hospitalhof ab – dort, wo einst die „Büchsenschmiere“ war, ein Polizeigefängnis in der Nazizeit. Es ist die erste Station eines stadtgeschichtlichen Kreuzwegs, zu dem das Pfarramt der Hospitalkirche und die Citykirchen eingeladen haben – ganz bewusst am Freitag vor Karfreitag, um nicht zu Karfreitagsveranstaltungen in Konkurrenz zu treten. Viele Menschen sind dieser Einladung gefolgt.

 

Hier, in der früheren Büchsenschmiere, sei die Wahrheit missbraucht und mit Menschen umgegangen worden, als seien sie Objekte, sagt Pfarrer Schwarz und zieht die Verbindung zu Jesus, der ebenfalls als Verbrecher gepeinigt und dem zur Verhöhnung die Dornenkrone aufgesetzt worden sei. Eine Tafel soll dem Gedenken an all diejenigen dienen, die aus politischen oder religiösen Gründen verfolgt wurden. Auch Lilo Herrmann, eine kommunistische Widerstandskämpferin und junge Mutter, war hier verhört worden, sie wurde 1937 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Es dürfe nicht sein, dass Menschen im Namen einer staatlichen Ordnung Menschen entwürdigen, sagt Pfarrer Schwarz und packt die Dornenkrone wieder ein.

Es geht weiter, Richtung Schlossplatz, zum Königsbau. Dort, an einer Seitenwand, leicht zu übersehen, erinnert ein Bronzerelief von Alfred Hrdlicka an Eugen Bolz. Kraftvoll ist es, wie der Künstler den letzten württembergischen Staatspräsidenten und späteren Widerstandskämpfer dargestellt hat. „Das Relief zeigt, Eugen Bolz war ein frommer Mann“, sagt Stiftskirchenpfarrer Matthias Vosseler und deutet auf dessen gefaltete Hände. In diesem Moment beginnen die Glocken der nahen Domkirche St. Eberhard zu läuten und hören gar nicht mehr auf. Sie zwingen die Kreuzwegteilnehmer zum Innehalten. Auch Bolz, der die NSDAP ablehnte und am Attentat auf Hitler beteiligt war, sei in Berlin hingerichtet worden, im Januar 1945, sagt Vosseler, als die Glocken verklungen sind.

Das „schwierige“ Bohnenviertel

Die nächste Station ist im Bohnenviertel. Vor der „Restauration zur Kiste“ an der Kanalstraße 2 packt Pfarrer Schwarz die Dornenkrone wieder aus. „Es war ein schwieriges Viertel“, erzählt Pfarrer Christoph Hildebrandt-Ayasse von der Leonhardskirche – „eines, in dem die Armut immer größer wurde“. Das sei auch der 1855 geborenen Marie Josenhans aufgefallen, wenn sie von der Olgastraße 55 aus auf dem Weg in die Stadt gewesen sei. „Sie beginnt einfach zu helfen, gibt Essen, Kleider, Geld, hört den Leuten zu.“ Und sie dokumentiert die Lebensbedingungen dieser Menschen in mehreren Büchern, „die nichts beschönigen“, sagt Pfarrer Hildebrandt-Ayasse und liest aus „Meine alten Weiblein“ die Geschichte einer Frau vor, die an verschimmelten Spätzle starb.

Die Dornenkrone wird weitertransportiert, zum Schellenturm. In dieser Gegend sei schon lange die Prostitution zuhause, seien leicht bekleidete Mädchen in Bordelle gezwungen worden, sagt Pfarrer Hildebrandt-Ayasse. Seit mehr als hundert Jahren versuche die Stadt, dagegen vorzugehen – bis heute vergebens, weil die rechtliche Handhabe fehle. „Da wird zugelassen, dass jeden Tag die Menschenrechte verletzt werden – auch in Stuttgart, auf unseren Straßen. Man muss hier dringend was unternehmen“, sagt Hilfebrandt-Ayasse.

Zum Schluss landet der Dornenkranz auf dem Altar der Leonhardskirche. Die Orgel spielt, die Teilnehmer singen ein Lied aus der Passionsgeschichte. Für jeden der Gedenkorte wird eine Kerze entzündet. Ostern kann kommen.