Eigentlich gehört es zu den Aufgaben der Kultur, Schönheit und Frieden zu besingen. Doch nichts langweiliger als das. Lieber schauen wir beim Krieg der Sterne zu oder beim Wüten der Orks.

Stuttgart - Es fällt leicht, sich mit anderen Menschen zu streiten und ihnen die Pest an den Hals zu wünschen, gerade, wenn es um wichtige Dinge wie Frieden, Rücksichtnahme und Gerechtigkeit geht. Aber mit nur ein klein wenig Mühe kann man zum Gemeinsamen, da selig Unklaren finden: zur allgemeinen Ansicht, die Welt könne ruhig ein wenig besser werden.

 

Weil dieser Wunsch ein verbindendes Element zwischen allen Individuen und Kulturen ist, sollte kein anderer Gedanke uns und alle Sparten der Kultur so umtreiben wie jener nach der Natur der Utopien und deren Verwirklichungsmöglichkeiten. Dass dem gar nicht so ist, fällt uns im Betriebsgedröhne von Krisennachrichten und Entertainment kaum mehr auf.

Der Begriff Utopie geht auf das 1516 erschienene Buch „Utopia“ des Engländers Thomas More zurück. Diese Beschreibung einer alle einbindenden, friedlichen Mustergesellschaft ist einer der großen Klassiker. Will heißen: außer ein paar Leuten, die an der Uni dazu verdonnert werden, liest es keiner mehr. Zur Scheu vorm vermeintlich Verstaubten tritt bei „Utopia“ das Halbwissen, hier werde von nichts als vom Guten erzählt, das Buch sei also ein fades Gemälde des in sich ruhend Perfekten.

Schon Tolkien ließ die Hobbits in den Krieg ziehen

Immerwährendes Glück scheint uns keines, zumindest nicht, wenn wir als Betrachter davorstehen. Es wird dann nur zum Testbild seiner selbst, ihm fehlen Wandel, Spannung und Gefahr. Glücklich sind wir nur, wenn wir unterhalten werden. Unterhalten werden wir von Drohungen, Gefahren und Schrecknissen, die Glück und Frieden verscheuchen. Dieser Widerspruch treibt die populäre Kultur an.

Als der britische Oxford-Don John Ronald Reuel Tolkien mit den Planungen für „Der Hobbit“ und dann „Der Herr der Ringe“ begann, die zu den meistgelesenen Büchern des 20. Jahrhunderts zählen, hätte er sich seine Fantasiewelt nett einrichten können. Mit der Gemeinschaft der kleinwüchsigen, stets barfüßig durch ihr Auenland schreitenden Hobbits hatte der konservative Tolkien ein Nostalgiemodell des ländlichen England am Wickel. Aber was tat der Autor? Er entfesselte das ultimative Böse, entwarf die Kraft und den Willen zur Weltauslöschung, ließ die Herren der Apokalypse über Scheusalsarmeen der Orks und anderer Ausgeburten der Finsternis gebieten.

Tolkien hat da seine eigenen Erlebnisse im Ersten Weltkrieg verarbeitet. Aber er folgte auch einem Gesetz des Erzählens: Erst das Böse bringt Dinge recht in Bewegung, es zwingt das Gute zur äußersten Anstrengung, es macht jeden schönen Moment kostbar durchs Bewusstsein seiner Brüchigkeit.

Auch Doktor Faust ist ein echter Schlawiner

Nun könnte man sagen, das gelte eben für Genreunterhaltung, für „Star Wars“ und Krimis und alles andere, was der Gebildete als Abenteuerfirlefanz abtut, nicht für Besinnungsliteratur, die uns übers Leben nachdenken ließe. Aber solcher Dünkel hält dem ersten Griff ins Hochkulturregal nicht stand.

Der gelehrte Doktor Faustus hat nun wirklich viel studiert, er lässt uns das in Goethes Drama „Faust“ auch gleich wissen. Er könnte lange dozieren über seine Erkenntnisse und Frustrationen. Aber Goethe bremst diesen Musterknaben des erwachsenen Grübelwillens knallhart aus. Der schillernde Mephisto mischt sich in Fausts Leben und sprengt alle Grenzen. Er ist „der Geist, der stets verneint“, aber diese Negation von allem, auch von allen Übereinkünften und Hemmschranken, lässt eben alles möglich erscheinen. Sie dehnt den Erwartungshorizont ins ultimativ Schwindelerregende: hie das klösterliche Studierstüblein, dort die Walpurgisnacht.

Ob die Bibel, in der gleich der dritte Mensch der Weltgeschichte, Kain, den vierten, seinen Bruder Abel, erschlägt, ob in der Fernsehserie „The Walking Dead“, in der sich der Großteil der Erdbevölkerung in blutgierige menschliche Leichname verwandelt hat: das Böse treibt jene Geschichten an, die viele Menschen ergreifen und begleiten. Nur ein Teil der Zugriffskraft resultiert aus unserem Bedürfnis, Bilder für alles Amorphe zu bekommen, von dem wir uns bedroht fühlen.

Lobo schlachtet sogar den Weihnachtsmann

Als der Autor Roger Slifer und der Zeichner Keith Giffen 1983 für den US-Comicverlag DC den Kopfgeldjäger Lobo als Randfigur entwarfen, hatten sie nur einen neuen Bösewicht im Sinn, brutal, widerwärtig, furchteinflößend. Die Leser allerdings mochten Lobo. Als Giffen ihn überarbeitete, ihn als Mischung aus Biker und Hardrocker aufstylte und seine Metzeleien noch wilder gestaltete, begann der Fankult. „Lobo“ bekam ein eigenes Heft, er durfte reihenweise die guten Superhelden demütigen und auch mal den Weihnachtsmann abschlachten. Giffen hat mehrfach sein Erstaunen darüber bekundet, welche Zuneigung seiner grässlichsten Erfindung entgegen schlug.

Das Böse kennt keine Hemmungen, das zieht uns an. Da träumen wir uns manchmal hinein. Fragt sich, ab wann die Reinigung von inneren Spannungen der Gewöhnung an Rohheit und Gemeinheit weicht. Thomas More hat in „Utopia“ gemahnt, abscheuliche Ungeheuer seien doch das Langweiligste überhaupt und überall zu haben. „Aber Bürger, die in einem vernünftig und weise geleiteten Staate leben, wohl nirgends.“ Aber es liest ihn ja keiner.