Die Staats- und Regierungschefs der EU beraten auf dem Gipfel in Brüssel über die Zeit während und nach dem Krieg in der Ukraine. Zutage kommen zahlreiche gute Absichten, aber vieles bleibt im Vagen.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Europa will ein Signal der Geschlossenheit an Russland senden. Zu befürchten ist aber, dass genau das Gegenteil passiert. Drei Monate ist es her, dass der Kreml seinen Soldaten den Befehl zum Überfall auf die Ukraine gab, die EU reagierte erstaunlich geschlossen auf den Krieg und verhängte sofort mehrere Sanktionspakete gegen Moskau. Doch auf dem EU-Sondergipfel am Montag und Dienstag in Brüssel zeigen sich nun erste Risse in der Einheitsfront.

 

Dafür verantwortlich ist vor allem ein Vertrauter Wladimir Putins in den Reihen der Europäischen Union. Victor Orban blockiert das sechste Sanktionspaket gegen Russland, das von den Staats- und Regierungschefs auf dem Gipfel beschlossen werden soll. Zentrales Element: ein Importstopp für russisches Öl.

Hinter Ungarn verstecken sich andere Länder

Doch hinter Ungarn verstecken sich weitere Länder in Osteuropa, die stark von russischen Öllieferungen abhängig sind. Das wird auch von Seiten der EU anerkannt, weshalb Brüssel auf die Bedenken reagiert hat. Allein für Ungarn sind 800 Millionen Euro für den Umbau der Raffinerien und den Ausbau von Pipelines im Gespräch. Außerdem soll es für Ungarn vier Jahre Übergangszeit geben. Wahrscheinlich aber ist, dass Victor Orban weiter pokert, denn er will wesentlich mehr Geld. Der Premier zielt wohl darauf, dass die EU die Milliarden freigibt, die ihm seit Monaten aus Brüssel verwehrt werden, weil er in seinem Land die Fundamente der Demokratie zerstört. Das allerdings gilt als äußerst unwahrscheinlich. Also hat sich Viktor Orban generell dagegen ausgesprochen, das Thema auf dem Gipfel zu verhandeln. Denkbar ist nun, dass die Staatschefs das Sanktionspaket ohne ein Ölembargo beschließen. Das wäre jedoch ein Rückschlag für die EU, die dem russischen Präsidenten Wladimir Putin den Geldhahn zudrehen will.

Viel Geld für den Wiederaufbau der Ukraine

Einigkeit herrscht unter den Staats- und Regierungschefs allerdings darüber, dass der Ukraine beim Wiederaufbau des Landes geholfen werden soll. Das Abschlusspapier wird allerdings allenfalls eine sehr vage formulierte Absichtserklärung bleiben. Wie in Verhandlungskreisen betont wird, könnten genauere Angaben erst nach dem Ende des Krieges und einer Analyse der Schäden gemacht werden. Auch über die benötigen Summen herrscht im Moment allenfalls eine sehr ungenaue Vorstellung – die Zahlen reichen von 500 Milliarden bis zwei Billionen Euro.

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Ebenso im Ungenauen bleibt die Finanzierung. Im Gespräch ist ein Fonds, der sich am Vorbild des Corona-Wiederaufbaufonds orientiert. Der wurde während der Pandemie mit gemeinsamen EU-Schulden gefüllt. Dass dieser Weg für den Aufbau der Ukraine gewählt wird, ist sehr umstritten. Deutschland hat sich bereits dagegen ausgesprochen. Die EU selbst hat das Land bereits mit vier Milliarden Euro unterstützt. Die EU-Kommission hat weitere neun Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Sie sollen in Form von Krediten zu günstigen Bedingungen gewährt werden.

Russland soll für den Krieg bezahlen

Inzwischen versucht die EU auch, eingefrorene russische Vermögenswerte zu beschlagnahmen und zur Finanzierung des Aufbaus der zerstörten Ukraine zu verwenden. Diese Forderung sei politisch natürlich zu begrüßen, heißt es aus deutschen Gipfelkreisen, werfe allerdings viele rechtliche Fragen auf. Bislang werden die Güter der mit Sanktionen belegten Russen nur „eingefroren“, das heißt, sie dürfen nicht mehr als Einkommensquelle benutzt werden. Das Konfiszieren von Gütern ist rechtlich wesentlich heikler und von Land zu Land unterschiedlich geregelt.

Der Welt droht eine Hungersnot

Für Europa wichtig ist auch das Thema Ernährungssicherheit. Die Staats- und Regierungschef diskutieren auf dem Gipfel, welche Wege es gibt, das in der Ukraine gelagerte Getreide zu exportieren. Konkret geht es um die Frage, ob das besser über einen Korridor auf dem Landweg, auf dem Seeweg oder per Bahn über Belarus passieren könnte. Das Thema ist dringend, die Ernte könnte verrotten. Zudem drohen in den ärmeren Ländern Afrikas und des Nahen und Mittleren Ostens Hungersnöte.

Weg von russischem Gas und Öl

Auf dem Brüsseler Gipfel wird auch der Plan der EU-Kommission ein Thema sein, der die EU möglichst schnell von Öl und Gas aus Russland unabhängig machen soll. Er sieht unter anderem Einsparungen, gemeinsame Einkäufe von Flüssiggas und Wasserstoff sowie den Ausbau erneuerbarer Energien vor. Das wird in den kommenden Jahren sehr viel Geld kosten. Die Europäische Union schätzt den mittelfristigen Finanzbedarf auf mehr als 200 Milliarden Euro. Aber auch in diesem Fall ist noch unklar, wo das Geld herkommen soll.

Noch keine EU-Perspektive für die Ukraine

Ein wichtiges Thema, das für die Zukunft der Ukraine von zentraler Bedeutung ist, wird von den Staats- und Regierungschefs allerdings nicht besprochen: die Kandidatur der Ukraine für die Aufnahme in die Europäische Union. Die EU-Kommission werde im Juni ihre Einschätzung dazu abgeben, heißt es dazu eher lapidar. Seit Beginn des Krieges wird aus Kiew immer wieder die Forderung nach dem Beginn der Beitrittsverhandlungen vorgebracht, schließlich verteidige man die Werte der Union mit dem eigenen Blut. Die Verantwortlichen der EU drücken sich bis jetzt allerdings beharrlich um eine Entscheidung.