Die EU-Kommission skizziert in einem umfassenden Paket, wie die Union unabhängig von russischem Gas und Öl werden kann.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Der Krieg in der Ukraine ist für Europa ein Schock. Nicht nur die über Jahrzehnte funktionierende Friedensordnung ist durch den Überfall Russlands zerstört. Der Europäischen Union wird auch vor Augen geführt, dass sie sich reichlich blauäugig in eine gefährliche Abhängigkeit von russischen Energielieferungen begeben hat. Das soll sich nun ändern – und zwar schnell. Um dieses Ziel zu erreichen, will die EU-Kommission bis 2030 Hunderte Milliarden Euro investieren, den Import von fossilen Brennstoffen aus Russland überflüssig machen und die bereits geplante Energiewende deutlich beschleunigen.

 

Die EU nimmt sehr viel Geld in die Hand

„Wir müssen unsere Abhängigkeit von Russland im Energiebereich so schnell wie möglich verringern“, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die am Mittwoch in Brüssel das „RePowerEU“ genannte Paket vorstellte. Die geplanten Maßnahmen erforderten erhebliche Investitionen und Reformen. „Wir mobilisieren zu diesem Zweck bis zu 300 Milliarden Euro.“ Der Plan werde helfen, Energie zu sparen, den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen zu beschleunigen und Investitionen anzustoßen. „Dies wird für unseren europäischen ‚Grünen Deal‘ den Turbo zünden“, erklärte die deutsche Kommissionschefin. Ziel ist es, im Laufe des Jahrzehnts keine Energie mehr von Russland kaufen zu müssen.

Ein Teil soll schlicht mit Einsparungen bei der Industrie und den Haushalten erreicht werden. Die Kommission rechnet damit, dass der Energiebedarf an Öl und Gas auf diese Weise kurzfristig um bis zu fünf Prozent gesenkt werden kann. Geplant ist auch, Kohle- und Atomkraftwerke länger in Betrieb zu lassen, damit es nicht zu Problemen bei der Versorgung kommt.

Erneuerbare Energien werden ausgebaut

Um die Abhängigkeit von Russland zu senken, sollen auch neue Lieferanten gesucht werden. Dabei sollen gemeinsame Einkäufe der Mitgliedstaaten für die Beschaffung von Flüssiggas (LNG) und Wasserstoff eine Rolle spielen. Auf solche freiwilligen gemeinsamen Einkäufe am Markt hatten sich die 27 Mitgliedstaaten bereits beim letzten EU-Gipfel im März geeinigt. In Europa soll die Infrastruktur für den Transport von Wasserstoff und Biogas ausgebaut werden.

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Der Schwerpunkt liegt allerdings auf dem Ausbau der erneuerbaren Energien. Deren Anteil soll in der EU bis 2030 von den ursprünglich geplanten 40 Prozent auf 45 Prozent erhöht werden. Vorgesehen ist etwa eine Pflicht zur Montage von Solarpanels. Die soll für öffentliche und kommerziell genutzte Gebäude ab 2026 gelten. Für privat genutzte Neubauten wird das Jahr 2029 ins Auge gefasst. Damit in diesem Bereich der Ausbau tatsächlich vorangeht, sollen die oft zu langen und umständlichen Genehmigungsverfahren für Solaranlagen und auch für Windparks deutlich verkürzt werden.

Die Finanzierung ist eher grob geklärt

Deutschland ist in vielen Felder bereits weiter als die nun vorgestellten EU-Vorgaben und will beispielsweise eine Solarpflicht schon früher einführen, in einigen Bundesländern gilt sie bereits. Allerdings ist Deutschland auch besonders abhängig gerade von russischen Erdgaslieferungen, die man noch bis 2024 brauchen wird. Die EU bezieht etwa 40 Prozent ihres Gases und 27 Prozent des Öls aus Russland.

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Die Finanzierung des 300-Milliarden-Euro-Programms ist bisher eher grob geklärt. Der Löwenanteil soll aus Krediten und Zuschüssen bestehen. Dazu könnte auf den Corona-Wiederaufbaufonds zurückgegriffen werden, der schon einen erheblichen Teil der Mittel für den Klimaschutz und damit auch erneuerbare Energien vorsah. Im Gespräch ist auch der Zugriff auf die Töpfe der Kohäsionspolitik oder der Agrarpolitik. Auch die Einnahmen aus dem Emissionshandel will die Kommission verwenden. In dem System müssen etwa Stromproduzenten für den Ausstoß klimaschädlicher Gase Zertifikate kaufen. Die Europäische Entwicklungsbank (EIB) könnte zusätzliche Kredite für Energieeffizienzmaßnahmen ausgeben. Michael Bloss, Abgeordneter der Grünen im Europaparlament, äußerte sich erleichtert, dass die Kommission in ihrem vorgestellten Paket „RePowerEU“ die Klimaziele nicht aus den Augen verliert und an manchen Stellen die Maßnahmen sogar noch verschärft. „Solaranlagen auf unseren Dächern bringen uns der Energiewende ein gutes Stück näher“, kommentierte er die geplante Pflicht für Solarpanels. Er fordert nun allerdings, dass sich Europa nicht in die nächste Anhängigkeit begeben dürfe.

Das Paket „RePowerEU“ ist im Moment noch ein Projekt der EU-Kommission. Viele der Maßnahmen müssen in den kommenden Monaten mit den EU-Ländern und dem Europaparlament verhandelt werden.