Das deutsche Zögern in der Frage der Lieferung von Kampfpanzern könnte entscheidend dafür sein, wie lange der Krieg in der Ukraine noch dauert, kommentiert Franz Feyder.

Sie kommen hoffentlich nicht zu spät, die mehr als 80 Leopard 2 Kampfpanzer, die jetzt erst einmal Europa an die Ukraine übergeben will: Finnland, die Niederlande, Norwegen, Polen und Spanien – und ja, jetzt auch Deutschland. Zusammen mit den Kampfpanzern aus den USA und Großbritannien sowie der deutsch-amerikanischen Lieferung von Schützenpanzern wächst so die Anzahl der ukrainischen Panzerbrigaden von sechs auf neun. Verfügbar wird die den russischen Angreifern überlegene westliche Technologie freilich erst frühestens im Mai sein: Erst müssen ukrainische Soldaten an dem Gerät ausgebildet werden, lernen, es als Kompanie auf einem modernen Schlachtfeld zu bedienen, darin zu überleben und den Russen hohe Verluste mit den Leoparden zuzufügen.

 

Eine Herkules-Aufgabe, die nicht vor Mai zu bewältigen sein dürfte. Dass die ukrainischen Verteidiger sich deshalb einer weiteren russischen Frühjahrsoffensive mit Händen und Klauen zu erwehren haben, haben Regierungen in Europa und Amerika zu verantworten – allen voran die deutsche Bundesregierung: Die sowohl absehbare wie notwendige Entscheidung zur Leopard-Lieferung hatte bereits im vergangenen Herbst gefällt werden können, ukrainische Soldaten würden längst ausgebildet. Statt selbst im Frühjahr anzugreifen, das Gesetz des Handelns für sich zu nutzen, warten nun die, die auch die Freiheit Europas verteidigen, auf die nächste Offensive der russischen Aggressoren.

Nebenbei bürdet der zögernde Westen der kriegsgeschundenen Ukraine auch noch auf, die logistischen Herausforderungen für mindestens fünf unterschiedliche Kampf- und drei verschiedene Schützenpanzersysteme zu stemmen. Im Frühsommer dürften auf einen ukrainischen Kämpfer elf Soldaten kommen, die ihn versorgen – ein Albtraum für jeden Heerführer. Der hätte vermieden werden können, wenn sich Europa und die USA bereits im Herbst geeinigt hätten: Wir liefern Kampfpanzer, ihr die dazu gehörigen Schützenpanzer für die Panzergrenadiere: zwei Logistikketten statt mindestens acht.

Der Befehlshaber des ukrainischen Heeres, Generaloberst Oleksandr Syrskyi hat mit seiner erfolgreichen wie listenreichen Offensive im Großraum Charkiw im September gezeigt, dass er das operative Geschick hat, erfolgreich russische Stellungen zu durchbrechen und seinen Feind in panikartige Flucht zu schlagen. Dass ihm dies im Süden des Landes nicht gelang, war auf fehlende Kampfpanzer, auf mangelnde Stoßkraft und Beweglichkeit zurückzuführen. Das wird sich durch die drei gepanzerten Brigaden ändern, die die Ukraine in den kommenden Monaten erhält.

Eine mit überlegenen westlichen Panzern hoch beweglich geführte ukrainische Offensive aus dem Raum Kherson oder Saporischschja heraus in die russische Landverbindung zur Krim hinein würde Putins Armeen spalten, die Rückeroberung der Halbinsel wie der Hafenstadt Mariupol wahrscheinlich werden lassen. Eine strategische Lage, in der Wladimir Putin sich veranlasst sehen könnte, über einen Frieden zu verhandeln .

Das allerdings weiß auch der russische Diktator. Seine Generäle werden sich auf eine Offensive im Frühjahr konzentrieren, mit der sie trachten werden, die ukrainische, aus dem Westen gelieferte Artillerie zu zerstören, die Ufer des Dnepr zu gewinnen. Haben sie Erfolg, ist mindestens ein weiteres Jahr Krieg programmiert. Vor allem Deutschland hat durch sein Zögern in der Frage der Kampfpanzer erheblich dazu beigetragen, dass diese operative Option überhaupt eine ist: Hoffentlich ist es nicht zu spät, wenn die Leoparden in der Ukraine ankommen.