In Stuttgart mehren sich die Stimmen der Solidarität mit der Ukraine. Für das Wochenende sind mehrere Demonstrationen angekündigt. Aber geht Frohsinn in Zeiten des Krieges? Die Narren überlassen die Entscheidung den Gästen.

Stuttgart - „Frieden.“ Das wünschen sich die Schülerinnen und Schüler im Neuen Gymnasium Leibniz in Feuerbach. In bunten Farben haben sie diesen Wunsch gestaltet, mit Friedenstaube und Peace-Zeichen, und in vielen Sprachen, natürlich auch auf Russisch. Diese Botschaft ziert nun die Klassenfenster der Schule. Ein Statement. 

 

Wie Schulen mit der Krise umgehen

Der Appell der SMV für diese Aktion kam nicht nur bei den Schülern gut an, sondern auch bei den Lehrkräften. „Das haben alle begrüßt“, sagt Schulleiter Stefan Warthmann. „Die waren erleichtert, dass sie da ein Zeichen setzen können.“ Denn es sei „sehr viel Schweigen“, zugleich sei der Redebedarf in den Klassen groß, gerade auch in einer Schule, in der Russisch als drittes Sprachprofil angeboten wird. Warthmann rechnet damit, „dass wir es in der nächsten Zeit mit Ängsten und Konfliktübertragungen bei Schülerinnen und Schülern zu tun haben könnten“. Im Brief an die Schulgemeinschaft erklärt der Schulleiter, der auch katholischer Religionslehrer ist, dass er konfessionsübergreifend für den Frieden bete: „Möge Gott, Allah, unser aller Vater uns mit seinem Segen stützen und tragen.“

Auch ein Uni-Rektor meldet sich zu Wort: Die Uni Hohenheim verurteilte den Angriff Russlands auf die Ukraine, der „durch nichts zu rechtfertigen“ sei, sagt Rektor Stephan Dabbert. „Wir sind in großer Sorge um die Menschen in der Ukraine, die darunter leiden müssen – insbesondere auch um diejenigen, mit denen wir in direktem Kontakt stehen.“ Die Solidarität der Universität gelte auch den Studierenden und Beschäftigten mit ukrainischen Wurzeln.  

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Wo sich Angehörige austauschen

Spontane Demonstrationen, Gebete, Solidaritätsbekundungen in Stuttgart sind deutliche Zeichen für die moralische Unterstützung der Menschen in den Kriegsgebieten, Hilfstransporte bringen konkrete Unterstützung ins Kriegsgebiet. In Stuttgart selbst leben knapp 2000 ukrainische Staatsangehörige in Sorge um Verwandte, Freunde und Bekannte und die Heimat.

In der Kapelle am Pragfriedhof treffen sich Menschen unterschiedlichster Herkunft, Sprache oder Religion. „Ukrainer, Russen, Serben, Griechen, ein Amerikaner mit russischen Wurzeln kommen – aber die Mehrheit von ihnen will kein Etikett“, sagt der 61-jährige Johannes Kaßberger.

Er ist Priester der Orthodoxen Gemeinde russischer Tradition in Württemberg und gibt seinen Besuchern „Raum zum Beten, um zur inneren Ruhe zu kommen, zum Reflektieren, zur Aussprache, zum Trösten“. Probleme gebe es zuhauf, in Russland und in der Ukraine, nicht erst seit Kriegsbeginn. „Viele versuchen derzeit, ihrer Verwandtschaft zu helfen“, erzählt Kaßberger, zum Beispiel, indem sie versuchten, sie über Rumänien nach Deutschland zu holen. „Sobald die Leute da sind, werden wir auch ihnen helfen“, berichtet der Geistliche. Sein wichtigstes Ziel sei, „die Menschen in ihrer Verantwortlichkeit zu stärken, dass sie ihre Position reflektieren, die Situation ihrer Mitmenschen erkennen und sich nicht nur als Opfer sehen. Denn Opfer fordern eines Tages wieder Gerechtigkeit.“

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Beten für den Frieden

Ein gemeinsames Zeichen setzen am Sonntagabend der Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Frank Otfried July, und der katholische Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst. Für 18 Uhr laden sie zu einem Gottesdienst in die Domkirche St. Eberhard in Stuttgart ein. Die Bischöfe folgen damit einem gemeinsamen Aufruf der Deutschen Bischofskonferenz, der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland.  

Demonstrationen am Wochenende

Wie sehr das Geschehen die Menschen hierzulande bewegt, das zeigt auch die Zahl der Kundgebungen und Demos gegen Putins Angriffe. Gleich am Tag der ersten Angriffe ist es in Stuttgart zu ersten Protesten gegen die russische Militäraktion gekommen. Der Verein Ukrainer in Stuttgart ruft auch für Samstag, 26. Februar, von 12 bis 14 Uhr zu einer Demo am Rotebühlplatz auf. „Frieden für die Ukraine – Stand with Ukraine“ fordern sie. Zwei weitere Kundgebungen sind ebenfalls bereits angemeldet, in beiden Fällen stecken dahinter Privatpersonen: Eine Gruppe trifft sich am Freitag, 25. Februar, in der Zeit von 18 bis 20 Uhr am Herzog-Christoph-Denkmal am Schlossplatz zu einer Demo gegen den Krieg in der Ukraine. Am Samstag fordert eine Gruppe: „Sanktionen auf ein Regime in Kasachstan, Belarus und Russland einführen“, sie trifft sich von 15 bis 17 Uhr auf Höhe der Commerzbank an der Königstraße. Bei den Veranstaltungen sind jeweils zwischen 50 und 70 Teilnehmende angemeldet.  

Wie Narren mit dem Konflikt umgehen

Und was wird aus der Fastnacht? Eigentlich wollte sich Anita Rösslein am Schmotzigen Dunschtig freudig in die eh schon abgespeckte fünfte Jahreszeit stürzen. Doch der Krieg in der Ukraine hat auch bei der Närrin große Betroffenheit ausgelöst. Als Präsidentin des Festkomitees Stuttgarter Karnevalsvereine tauschte sie sich mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus den angeschlossenen elf Vereinen aus. Der Krieg sei ein Thema, sagt sie. „Wir werden nach den coronalastigen Monaten dennoch das eine oder andere Fasnets-light-Event besuchen“, sagt Rösslein. Den Narren sei es wichtig, auch in dieser Zeit ein bisschen Spaß und Frohsinn zu vermitteln. „Und es werden auch nicht weniger Menschen in der Ukraine ins Unglück gestürzt, wenn wir zuhause sitzen und Trübsal blasen.“

Rösslein verweist auf 1991, als die Karnevals-Kampagne wegen des Golfkrieg komplett abgesagt wurde. Jeder dürfe, könne und müsse für sich allein entscheiden, ob er am närrischen Treiben teilnehmen möchte oder nicht, sagt sie. Die Stuttgarter Karnevalisten sind mit ihrer Haltung nicht allein: Auch in Konstanz wird dezent gefeiert, und der traditionelle Narrensprung soll am Rosenmontag in Rottweil stattfinden.