Israelische Bodentruppen greifen im Libanon an. Die Offensive soll zunächst begrenzt bleiben. Die Hisbollah feuert derweil weitere Raketen auf Israel. Ein großer Angriff käme ihr zupass, weil sie die israelische Armee in einen endlosen Guerillakrieg verstricken könnte.
Einen israelischen Einmarsch im Libanon würde er als „historische Gelegenheit“ begrüßen, sagte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah in seiner letzten Rede vor seinem Tod. „Wir warten auf euch“, sagte Nasrallah in der Ansprache im September. Nun hat Israel die Bodenoffensive im Nachbarland gestartet. Der erste Angriff israelischer Bodentruppen im Libanon seit fast 20 Jahren soll nach Angaben der Armee begrenzt bleiben. Die Hisbollah wird jedoch versuchen, Israel in einen langen und verlustreichen Guerillakrieg zu verwickeln.
Nasrallah hatte Erfahrung mit Invasionen aus Israel. Als er 1992 die Führung der Hisbollah übernahm, war der Süden Libanons seit zehn Jahren von israelischen Truppen besetzt. Im Jahr 2000 zogen sich die Besatzungstruppen unter dem Druck der Hisbollah zurück, nur um sechs Jahre später zurückzukehren. Damals blieben die israelischen Soldaten nur wenige Wochen im Libanon, bevor eine von der UNO vermittelte Waffenruhe in Kraft trat. Diese Vorgeschichte war der Grund dafür, dass Nasrallah die Israelis zum Einmarsch geradezu aufrief: Er war sicher, dass ein solcher Feldzug scheitern würde.
Dörfer als Stützpunkte
Hisbollah-Kämpfer und Waffen sind seit 2006 in vielen Ortschaften im Süden Libanons stationiert. Zwar zerstörten israelische Luftangriffe in den vergangenen Wochen einige Stellungen, doch die Hisbollah feuert weiter Raketen auf Israel. Mit „begrenzten, lokalen und gezielten“ Vorstößen nach Libanon hinein sollen israelische Truppen, darunter die aus Gaza an die Nordgrenze verlegte Eliteeinheit der 98. Division, nun verbliebene Hisbollah-Positionen bekämpfen. Ziel ist es, die Hisbollah hinter den Litani-Fluss 30 Kilometer nördlich der Grenze zurückzudrängen. Damit will die israelische Regierung zehntausenden Bewohnern des Grenzgebietes, die von den Raketen der Hisbollah in den vergangenen Monaten vertrieben wurden, die Rückkehr ermöglichen.
Die Hisbollah habe Dörfer auf der libanesischen Seite der Grenze zu „militärischen Stützpunkten“ gemacht, erklärte die israelische Armee. Bei ersten kleineren Vormärschen im Nachbarland habe es aber noch keine Gefechte gegeben. Auch die UNO bestätigte die Intervention. Die Hisbollah spielte den israelische Einmarsch herunter und erklärte, alle Meldungen über eine israelische Truppenpräsenz im Libanon seien Lügen. Viele Zivilisten und die schwache libanesische Armee flohen aus dem Gebiet. Libanons Ministerpräsident Nadschib Mikati sprach von einem der gefährlichsten Momente in der Geschichte seines Landes.
Mehrere Länder, darunter Deutschland, flogen Botschaftsangehörige und andere Staatsbürger aus dem Libanon aus. Frankreich, die ehemalige Mandatsmacht im Libanon nach dem Ersten Weltkrieg, schickte einen Hubschrauberträger ins östliche Mittelmeer, um seine Bürger zu evakuieren.
Riskanter Angriff
Die Hisbollah feuerte am Dienstag weitere Raketen nach Israel hinein. Ziele seien die Hauptquartiere des israelischen Mossad und des Militärgeheimdienstes bei Tel Aviv gewesen, sagte ein Hisbollah-Sprecher. Die Angriffe seien „erst der Anfang“. Die Huthi-Rebellen im Jemen unterstützten die Hisbollah, indem sie Drohnen nach Tel Aviv und Eilat am Roten Meer schickten.
Die Hisbollah habe immer noch Raketen, die Israel gefährlich werden könnten, sagt Julien Barnes-Dacey von der europäischen Denkfabrik ECFR. Zudem habe auch der Iran mit einem Raketenangriff im April bewiesen, dass er Israel mit seinen Waffen erreichen könne, sagte Barnes-Dacey unserer Zeitung.
Nachdem die Hisbollah den israelischen Luftangriffen der vergangenen Woche nichts entgegenzusetzen hatte, käme ein Krieg am Boden der Miliz entgegen. Selbst wenn die Hisbollah im Grenzgebiet geschwächt sei, gebe es dort noch viele Bunker und andere Militäranlagen, sagt der Nahost-Experte und ehemalige israelische Offizier Ahron Bregman vom King’s College in London. Kämpfe im Südlibanon seien für die israelische Armee riskant, weil sich das Gelände nicht für Panzer und anderes schwere Gerät eigne.
„Das langfristige Risiko für Israel besteht darin, im Libanon steckenzubleiben“, meint Bregman. Er selbst habe das als Hauptmann der israelischen Invasion von 1982 miterlebt: Damals sollte der Feldzug höchstens drei Tage dauern – „doch daraus wurden 18 Jahre“. Im Jahr 2000 habe die Hisbollah die Israelis mit Guerilla-Angriffen zum Rückzug gezwungen. Wenn die Hisbollah es nun erneut schaffen sollte, Israel aus dem Libanon zu vertreiben, würde ihr Ansehen nach den Demütigungen der vergangenen Wochen wieder wachsen. Zudem kann die Hisbollah darauf hoffen, von vielen Libanesen als Verteidiger der Souveränität des Landes unterstützt zu werden. Darum wünschte sich Nasrallah eine israelische Bodenoffensive.