Kultur: Stefan Kister (kir)
In welchem Verhältnis stehen Sie selbst zu dem Leid, dem Sie sich als Kriegsreporterin immer wieder konfrontiert gesehen haben?
Man wird es nicht los. Man trägt es mit sich nach Haus. Es wird zur Aufgabe, der man nie genügt. Aber das Schreiben ist natürlich ein Versuch, damit umzugehen.
Lässt sich das Schreiben über unvorstellbares Leid auch als eine Form der Abbitte begreifen – eine Abbitte angesichts des Privilegs, selbst davongekommen zu sein?
Das Privileg lässt sich nicht abbauen, fürchte ich. Aber natürlich gilt es, sich dieses Geschenks bewusst zu sein. Ich habe nur ein Leben. Kein zweites. Und ich will es gut leben. Dazu gehört, die Gaben, die Kraft, die Unversehrtheit, die einem geschenkt wurden, nicht nur, aber auch für andere einzusetzen. Das wäre ein gelungenes Leben.
Mit den Flüchtlingsschicksalen erreicht uns die kriegerische Wirklichkeit, die wir uns immer fern gehalten haben. Was macht das mit unserer Gesellschaft?
Ich finde in den letzten Wochen war zu sehen, wie unsere Gesellschaft auch wachsen kann, diese Großzügigkeit, diese Hilfsbereitschaft, das war ja nicht nur eine Geste den Geflüchteten gegenüber, sondern auch eine Form der spontanen Selbstermächtigung. Zu beschließen: Wir wollen diese Menschen annehmen, und was immer noch kompliziert oder anstrengend werden wird, das nehmen wir an. Ich bin wirklich beeindruckt von dem, was da zu sehen war.
Bilder haben eine große emotionale Mobilisierungskraft. Wie tragfähig ist die Kategorie des Mitleids?
Das wissen wir alle nicht. Aber niemand empfindet ausschließlich Mitleid den ganzen Tag. Das wäre nicht auszuhalten. Aber alle, die mit Geflüchteten zu tun haben, wissen auch, sie geben einem etwas zurück. Es gibt auch sehr lustige, berührende, beglückende Erfahrungen.
Sind Bilder in diesem Zusammenhang die besseren Texte?
Nein. Das sind einfach verschiedene Genres. Texte sind auch nicht die besseren Bilder. Aber es gibt Fotografen, deren Bilder Geschichten erzählen, in denen sich herumwandern und denken lässt: Sebastian Bolesch ist so ein Fotograf, Barbara Klemm oder Daniel Schwarz. Und es gibt Texte, die Bilder evozieren, die man nie wieder vergisst. Ich bin sehr froh, dass ich schreibe, weil ich mich dort auch Phänomenen nähern kann, die bildlich zu drastisch, zu abstoßend wirken würden. Mit Texten kann ich manches beschreiben, das optisch umgehend verschrecken würde. Ich kann auch in Texten Zweifel artikulieren, Ambivalenz, das ist nicht ganz so leicht mit Bildern.
Sie haben ein halbes Jahr Flüchtlinge durch Deutschland begleitet. Mit welchen Empfindungen verfolgen Sie die gegenwärtige Entwicklung?
Ein bisschen fiebrig, ehrlich gesagt. Niemand von uns weiß, ob sich Europa in dieser Krise, die ja weniger eine der Flüchtlinge als eine der Regierungen ist, endlich findet. Aber ich hoffe erst einmal, dass einige der Menschen aus Syrien, Afghanistan oder Eritrea, die hier ankommen, sich endlich sicher fühlen können.
Mit Carolin Emcke wird am Freitag im Literaturhaus Stuttgart das Festival „Change“ eröffnet. Im Zentrum steht der Zusammenhang von Literatur, Kunst und gesellschaftlichem Protest.
Das Gespräch führte Stefan Kister.