Der Artikel über das Kriegstagebuch des Ludwigsburger Jugendlichen Günter Otto Schrecke hat viele Leser bewegt. Jetzt hat das Ludwigsburger Stadtarchiv das Dokument in seinen Bestand übernommen. Und schon bald soll es im Zentrum eines spannenden Projekts stehen.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Ludwigsburg - Die Geschichte des Kriegstagebuchs von Günter Otto Schrecke hat im Mai viele Leser bewegt. Als 15-Jähriger hatte der Ludwigsburger zwischen Januar 1945 und Mai 1945 in täglichen Tagebucheinträgen die letzten Monate des Zweiten Weltkriegs in seiner Heimatstadt Ludwigsburg dokumentiert.

 

Fast 75 Jahre später fand die Ludwigsburgerin Regina Nickel die marmorierte Kladde in einem Fundus von Flohmarktartikeln. Der Schreiber von damals, so ergab eine Spurensuche, ist schon lange gestorben; seine betagte, in einer anderen Stadt lebende Schwester wollte nicht an schwere Zeiten zurückerinnert werden und mochte das Buch deshalb nicht haben. Unter welchen Umständen das Tagebuch überhaupt unter Flohmarktgut landete, ließ sich nicht mehr eruieren.

Viele bewegte Reaktionen

Regina Nickel überließ die detailreichen Aufschriebe des Heranwachsenden, die sie für die Nachwelt gesichert sehen wollte, der Stuttgarter Zeitung – die viele interessierte und bewegte Reaktionen auf die Berichterstattung über das Tagebuch erhielt. Einige wenige Leser, die sich meldeten, hatten Günter Schrecke sogar noch aus Kinder- und Jugendzeiten gekannt, waren beispielsweise mit ihm im März 1945 konfirmiert worden.

Doch auch eine Zeitungsredaktion kann nur eine Zwischenstation, kein angemessener Aufbewahrungsort für ein solches Zeitzeugnis sein. Weshalb das Tagebuch nach Abschluss der Recherchen nun in den Bestand des Ludwigsburger Stadtarchivs übergegangen ist: ein adäquater Ort des Bewahrens und Erinnerns unter den richtigen konservatorischen Bedingungen. „Wir verstehen uns als Gedächtnis der Stadt. Eine unserer Hauptaufgaben ist es, den Ludwigsburgern einen Blick zurück in die eigene Vergangenheit zu ermöglichen“, sagt der Archivleiter Simon Karzel. „Und der Nationalsozialismus und der Holocaust haben in der bundesdeutschen Geschichte und Wahrnehmung einen besonderen Stellenwert.“ Quellen aus jener Zeit seien daher überaus willkommen.

Jugend-Alltag im zusammenbrechenden Dritten Reich

Das Tagebuch zeichnet ein Bild davon, wie der Alltag eines Jugendlichen im zusammenbrechenden Dritten Reich aussah: Der Gymnasiast Günter – später sollte er Jura studieren – hat nur noch sporadisch Schulunterricht. Er sorgt sich um seine im Land versprengte Familie, deren Wohnung er in den letzten Tagebuchwochen alleine bewohnt. Freunde werden kurz vor Kriegsende noch zum Volkssturm eingezogen. Kurz vor der Kapitulation versucht der Junge, vor den anrückenden Franzosen und Amerikanern zu flüchten, scheitert aber. Solche Schilderungen – oft ernst und lakonisch – wechseln sich ab mit unbeschwerteren Einträgen: Günter berichtet von übermütigen Spaziergängen mit Freunden in lauer Frühlingsluft oder vom prickelnden Vergnügen, angehimmelte Mädchen zu necken.

Immer wieder erwähnt er den regimekritischen evangelischen Stadtpfarrverweser Hans Faber und seine Frau Lilo: Das Paar unterstützt den Jungen und quartiert ihn bei sich ein, als die Amerikaner die Wohnung der Schreckes in der Mozartstraße beschlagnahmen.

Das Tagebuch soll bald konkret genutzt werden

Stadtarchivar Simon Karzel freut sich, „diese einmalige Quelle auch bald ganz konkret nutzen zu können“ – mit einer Zielgruppe, die kaum älter ist, als Günter es war, als er sein Tagebuch schrieb: Das Buch soll Dreh- und Angelpunkt in einem Schulprojekt über Kriegserfahrungen in Ludwigsburg werden. Das Ludwigsburger Schiller-Gymnasium hatte nach Erscheinen des Zeitungsartikels über das Tagebuch Interesse angemeldet; Kursstufenschüler mit dem Neigungsfach Geschichte und Simon Karzel werden sich das Tagebuch gemeinsam vornehmen.

„Wie wir das umsetzen können, hängt vom Pandemiegeschehen ab“, sagt Simon Karzel. Einstweilen ruhen Günter Schreckes Erinnerungen nun im „Sammlungsbestand Lebenserinnerungen“ des Stadtarchivs.