Nach Kriegsende verurteilt ihn ein amerikanisches Militärgericht zu lebenslanger Haft, weil er den Befehl zur Erschießung gefangener US-Soldaten gab. Schon 1955 wird Dietrich in einem Bewährungsverfahren begnadigt und kommt frei. Ein Freund aus Ludwigsburg, früherer Kamerad aus der Waffen-SS, verhilft ihm zu einer Wohnung und zu einer Stelle in einer Holzhandlung. Auch die zwei Jahre später verhängte Gefängnisstrafe für die Beteiligung am „Röhm-Putsch“ wird verkürzt. Am 21. April 1966 stirbt Sepp Dietrich bei der Jagd an einem Herzinfarkt. Bis zuletzt gilt er als treuer Anhänger des Nationalsozialismus.

 

Dass sich zu seinen Ehren mehrere Tausend Gleichgesinnte in Ludwigsburg versammeln, alarmiert die französische Partnerstadt aufs Höchste. Es vergehen nur wenige Tage, bis die Gesandtschaft aus Montbéliard ihren für Anfang Mai anberaumten Besuch zur 262. Gründungsfeier Ludwigsburgs absagt. Unaufgeregt, aber bestimmt, begründet der Bürgermeister André Boulloche den Entschluss: „Am vergangenen 25. April begingen wir den Gedenktag für die Opfer der Konzentrations- und Zwangsarbeitslager. Am 8. Mai werden wir aller Gefallenen und Zivilopfer des letzten Krieges gedenken. Unsere Mitbürger würden es nicht verstehen können, wenn wir uns am 6. Mai in einer Stadt aufhielten, die zehn Tage zuvor eine große Kundgebung ehemaliger Nazis erlebte.“

Der Sozialist Boulloche kämpfte während des Krieges in der Résistance gegen die deutsche Besatzung und wurde 1944 in das Konzentrationslager im bayerischen Flossenbürg deportiert. Nach dem Krieg machte er als Politiker Karriere, wurde Bildungsminister der Regierung Charles de Gaulles und 1965 zum Bürgermeister von Montbéliard gewählt. An den Ludwigsburger Kollegen schreibt er nun: „Meine Beigeordneten und ich selbst sind darüber bestürzt, dass unsere Partnerstadt auf diese Weise in den Mittelpunkt des Zeitgeschehens gerückt wurde.“

Briefe an den Bürgermeister

Eine Flut von Reaktionen löste der Eklat auf beiden Seiten des Rheins aus. Die Briefe und Postkarten von deutschen und französischen Bürgern hat die Bibliothek des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg gesammelt.

Heute steht Ludwigsburg wie keine andere Stadt in Deutschland für die Freundschaft der beiden Nachbarländer. Die allererste deutsch-französische Städtepartnerschaft wurde hier 1950 mit Montbéliard geknüpft. Ein starkes Zeichen in Richtung Aussöhnung. Auch deshalb wählte Charles de Gaulle Ludwigsburg als den Ort für seine berühmte Rede an die Jugend vor 50 Jahren, zu deren Jubiläum die Staatschefs Angela Merkel und François Hollande am kommenden Samstag ins Schloss kommen. Bis heute folgten mehr als 2000 Partnerschaftsverträge diesem Vorbild. Was kaum einer weiß: vier Jahre nach der De-Gaulle-Rede wäre die mühsam aufgebaute Freundschaft fast an dem Trauerspiel um den Nazi Sepp Dietrich zerbrochen.

Geboren 1892 als Joseph Dietrich dient sich der Sohn eines bayerischen Gastwirts nach oben in eine Spitzenposition des Naziregimes. 1911 tritt er in die bayrische Armee ein, schon 1923 ist er unter den Hardlinern, die Adolf Hitler für seinen Putschversuch um sich schart. Er ist Mitbegründer der Ludwigsburger SS. Nachdem er 1934 die Exekution der Führungsriege der konkurrierenden Sturmabteilung (SA) um Ernst Röhm geleitet hat, befördert ihn Hitler zum Kommandeur seiner Leibwache. Er wird zum Generaloberst der Waffen-SS und führt 1944 die 6. SS-Panzerarmee an der Ostfront.

Bis zum Tod ein Nazi

Nach Kriegsende verurteilt ihn ein amerikanisches Militärgericht zu lebenslanger Haft, weil er den Befehl zur Erschießung gefangener US-Soldaten gab. Schon 1955 wird Dietrich in einem Bewährungsverfahren begnadigt und kommt frei. Ein Freund aus Ludwigsburg, früherer Kamerad aus der Waffen-SS, verhilft ihm zu einer Wohnung und zu einer Stelle in einer Holzhandlung. Auch die zwei Jahre später verhängte Gefängnisstrafe für die Beteiligung am „Röhm-Putsch“ wird verkürzt. Am 21. April 1966 stirbt Sepp Dietrich bei der Jagd an einem Herzinfarkt. Bis zuletzt gilt er als treuer Anhänger des Nationalsozialismus.

Dass sich zu seinen Ehren mehrere Tausend Gleichgesinnte in Ludwigsburg versammeln, alarmiert die französische Partnerstadt aufs Höchste. Es vergehen nur wenige Tage, bis die Gesandtschaft aus Montbéliard ihren für Anfang Mai anberaumten Besuch zur 262. Gründungsfeier Ludwigsburgs absagt. Unaufgeregt, aber bestimmt, begründet der Bürgermeister André Boulloche den Entschluss: „Am vergangenen 25. April begingen wir den Gedenktag für die Opfer der Konzentrations- und Zwangsarbeitslager. Am 8. Mai werden wir aller Gefallenen und Zivilopfer des letzten Krieges gedenken. Unsere Mitbürger würden es nicht verstehen können, wenn wir uns am 6. Mai in einer Stadt aufhielten, die zehn Tage zuvor eine große Kundgebung ehemaliger Nazis erlebte.“

Der Sozialist Boulloche kämpfte während des Krieges in der Résistance gegen die deutsche Besatzung und wurde 1944 in das Konzentrationslager im bayerischen Flossenbürg deportiert. Nach dem Krieg machte er als Politiker Karriere, wurde Bildungsminister der Regierung Charles de Gaulles und 1965 zum Bürgermeister von Montbéliard gewählt. An den Ludwigsburger Kollegen schreibt er nun: „Meine Beigeordneten und ich selbst sind darüber bestürzt, dass unsere Partnerstadt auf diese Weise in den Mittelpunkt des Zeitgeschehens gerückt wurde.“

Briefe an den Bürgermeister

Eine Flut von Reaktionen löste der Eklat auf beiden Seiten des Rheins aus. Die Briefe und Postkarten von deutschen und französischen Bürgern hat die Bibliothek des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg gesammelt.

„Ich und meine Freunde, die wir beide Länder und Völker mögen, können sich keine andere Entscheidung wünschen. Wir hätten es nicht verstanden, wenn Sie in dieser Situation geschwiegen hätten“, lobt ein bayerischer Jurastudent Boulloche für seinen Entschluss. Der Kreisverband der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes sieht in der Trauerfeier „eine weitere neofaschistische Provokation, gegen die die Verantwortlichen unseres Landes trotz unserer Proteste nie ernsthaft vorgehen. Wir müssen leider feststellen, dass die Stadt Ludwigsburg niemals die Initiative ergreift, um alle Opfer der Nazis zu ehren.“

Aber Boulloche bekommt auch böse Briefe. Schmähungen und ebenso schwere wie haltlose Vorwürfe prasseln auf ihn ein. Er wolle „den Hass verewigen“, „alte Feindschaften auffrischen“ und den Deutschen die Vaterlandsliebe madig machen, die sich die Franzosen ganz selbstverständlich herausnähmen. Dietrich sei ein „untadeliger Soldat“, Boulloches Reaktion dagegen „deutsch-feindliche Propaganda“.

Betroffenheit paart sich mit Verständnis

Ein ehemaliges Mitglied der Waffen-SS aus Neustadt an der Weinstraße schreibt: „Uns nehmen Sie es übel, wenn wir das Deutschlandlied singen. Singen Sie nicht die Marseillaise? Es ist nur bedauerlich, dass nach zwanzig Jahren noch solch Unverständnis Ihrerseits für unsere deutschen Belange gezeigt wird.“ Ein Weiterer verstrickt sich komplett in historische Unwahrheiten. Man habe Dietrich keine Verbrechen nachweisen können, behauptet der Verfasser und spielt auf den sogenannten Bromberger Blutsonntag an. Dieser von den Nazis erfundenen Lüge zufolge wurde Deutschland 1939 durch die Ermordung von 58 000 Deutschen erst zum Angriff auf Polen provoziert.

Im Ludwigsburger Rathaus ist Anfang Mai 1966 von derlei Polemik und fadenscheiniger Gekränktheit nichts zu spüren. Stattdessen paart sich Betroffenheit mit Verständnis. Der Oberbürgermeister Anton Saur sieht sich zu einer „Erklärung gegenüber unseren Freunden und auch aller Welt“ verpflichtet. Im Namen des Gemeinderats und der „überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung“ distanziert er sich öffentlich von Dietrichs Trauergemeinde. „Die Beisetzung dieses Mannes auf unserem Friedhof ist eine Folgeerscheinung des Wohnsitzes, wie dies für jeden anderen Ort auch gegolten hätte. Der Beisetzung selbst hat niemand von der Stadtverwaltung oder dem Gemeinderat beigewohnt, und es wurden von der Verwaltung die sonst üblichen und für eine Beerdigung notwendigen Maßnahmen getroffen. Die Inanspruchnahme unserer Stadthalle für eine Trauerfeier oder für ein Treffen wurde abgelehnt.“ Außerdem seien die Teilnehmer „von auswärts“ gekommen.

Trotz des Besänftigungsversuches schlagen die Wellen hoch, das Interesse der Medien nimmt zu. Mitte Mai berichtet auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen über die Ereignisse auf dem Neuen Friedhof und schiebt eine weitere Skandalgeschichte hinterher, in der Bürgermeister Saur unversehens in den Fokus rückt.

Zuspruch von der rechten Szene

In einer „Panorama“-Sendung der ARD vom 16. Mai 1966 soll sich Saur im Zusammenhang mit der Beerdigung auch zur Bedeutung der Zentralen Stelle äußern. Diese wurde 1958 zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen als gemeinschaftliche Einrichtung der Landjustizverwaltungen in Ludwigsburg eingerichtet. Der Trauerzug für Dietrich soll auf Höhe der damaligen Büros der Zentralen Stelle in der Schorndorfer Straße Zeitzeugen zufolge demonstrativ die Straßenseite gewechselt haben. Ein damaliger Mitarbeiter erinnert sich an erhobene Fäuste und andere Drohgebärden. Diese Szene im Kopf stellen die TV-Reporter Saur die Frage, ob er die Zentrale Stelle als Belastung für die Stadt sehe. Der OB druckst herum, antwortet schließlich: „Ich will nicht sagen, dass es eine Belastung ist, aber ein guter Ruf ist es sicher nicht. Denn sowohl im Ausland als auch im Inland hat diese Stelle doch sicher einen bestimmten Geruch, der uns natürlich als Stadt dann auch anhaftet.“

Die Reaktionen folgen prompt: Saur erhält Zuspruch aus der rechten Szene. Zahlreiche Postkarten mit rechtsradikaler Hetze landen im Rathaus. Unverhohlen wird zur Gewalt aufgerufen: „Die Zentralstelle sowie die hier arbeitenden Staatsanwälte – sprich Menschenjäger – sind eine Schande für Ludwigsburg, die ausgerottet werden müssen.“

Doch es gibt auch Protest: „Treten sie ab!“, fordert eine Frau von Saur. „Als höchster Beamter einer Stadt wie Ludwigsburg sollte ein Mann amtieren, der über mehr logisches Denkvermögen verfügt wie Sie.“ Für einen anderen Fernsehzuschauer ist die Zentrale Stelle „einer der wenigen Lichtblicke in einer Zeit, in der allzu viele dafür plädieren, die Vergangenheit – ohne Ansehen der Schwere der in ihr begangenen Verbrechen – ruhen zu lassen oder doch endlich zu begraben“.

Die Städte bleiben Partner

Saur sieht sich zu einer Rechtfertigung gezwungen. Er fühle sich falsch verstanden, der Bericht sei „einseitig und verzerrt“. Er habe völlig neutral und ohne Urteil über die Zentrale Stelle gesprochen. Die Macher der Sendung hätten nachträgliche eine „bestimmte Tendenz“ in das Interview eingebaut.

Das Rathaus in Montbéliard reagiert nicht nachtragend – im Gegenteil. Schon im ersten Brief schlägt Boulloche versöhnliche Töne an: „So sind wir denn entschlossen, Ihnen den Vorschlag zu machen, eine neue Begegnung unserer beiden Stadträte und Stadtverwaltungen herbeizuführen, sobald sich die Erregung in unserem Lande gelegt hat. Dieses Zusammentreffen wird bezeugen, dass unsere Partnerschaft in keiner Weise infrage gestellt wurde durch dieses Ereignis, von Leuten verursacht, die Sie ebenso wie wir zweifellos ablehnen.“

Im folgenden Jahr ist der französische Bürgermeister mit seiner Gesandtschaft wieder Gast in Ludwigsburg. Er besteht aber darauf, bei diesem Besuch die Zentrale Stelle zu besichtigen. Boulloche will mit eigenen Augen sehen, dass die Deutschen wirklich etwas gegen den Nationalsozialismus unternehmen.