Türsteherszene, Drogenhandel, korrupte Polizisten: Wolfgang Kaes hat wieder einen eindrucksvollen Roman vorgelegt. „Endstation“ beruht auf einer wahren Begebenheit.

Lokales: Hans Jörg Wangner (hwe)

Stuttgart - Das sei „ein spannendes Buch zu einem hochrelevanten Thema“ – so urteilte Killer & Co. vor viereinhalb Jahren über Wolfgang Kaes’ „Spur 24“. Auch in seinem neuen Krimi „Endstation“ greift der 1958 geborene Autor einen wahren Fall auf – um ihn zu einem überaus lesenswerten Stück Literatur zu verarbeiten.

 

Herr Kaes, wie schon Ihre „Spur 24“ beruht auch „Endstation“ auf einer wahren Begebenheit. Wie sind Sie auf das Thema gekommen? Hat auch dieses Buch so einen spannenden journalistischen Hintergrund?

Seit mehr als sechs Jahren beschäftigt mich in meinem Hauptberuf als Reporter ein mysteriöser Todesfall im Rheinland. Ein 19-jähriger Student besuchte nach einer fröhlichen Geburtstagsfeier mit ein paar Freunden zu später Stunde noch eine Diskothek. Zwei Wochen später wurde seine Leiche 50 Kilometer flussabwärts am Kölner Rheinufer gefunden. Die Ermittlungsbehörden legten sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit auf Suizid fest. Ein großer Fehler. Inzwischen gibt man zwar zu, dass es sich wohl doch um ein Tötungsdelikt handelte. Aber die Ermittlungen hat man trotzdem eingestellt. Begründung: Es seien keine erfolgversprechenden Ermittlungsansätze mehr zu erkennen. Natürlich hat mich dieser reale Fall, der mir immer noch keine Ruhe lässt, zu „Endstation“ inspiriert.

Ist das Bücherschreiben für Sie eine Fortsetzung der journalistischen Aufklärung mit anderen Mitteln?

Ja. Es gibt Themen, die sind in 400 Buchseiten besser aufgehoben als in 100 Zeitungszeilen. Auch um den Opfern gerecht zu werden. Ein Verbrechen hat nie nur ein einziges Opfer. Ich will mit meinen Romanen Menschen verführen, sich mit einem politischen Thema oder einem gesellschaftlichen Phänomen zu beschäftigen. Wenn mir Leser anschließend sagen, dass sie durch die Lektüre einen kleinen Ausschnitt dieser Welt besser verstehen als zuvor, bin ich zufrieden.

Es gibt in der Krimiliteratur viele gute und viele böse Cops – das Thema Korruption kommt aber seltsamerweise nicht so oft vor. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Ich kann nur spekulieren: Weil es unser Vertrauen in den Rechtsstaat erschüttert? Bei Korruption denken wir an Palermo oder an Lateinamerika. Aber leben dort schlechtere Menschen als hierzulande? Natürlich fällt Korruption in armen Landstrichen auf besonders fruchtbaren Boden. Aber die Haupttriebfeder ist Gier, und die ist universal und so alt wie die Menschheit, weshalb alle großen Weltreligionen die Habgier ächten. Im Strafgesetzbuch ist die Habgier eines der Merkmale, die Mord von Totschlag unterscheiden. Die in meinem Roman zitierte Studie des Bundeskriminalamtes zur Korruption gibt es übrigens tatsächlich.

Sie beschreiben die Türsteherszene, die Drogengangs, die Polizeiapparatschiks und ein Privatbordell sehr eindrücklich. Wie haben Sie in diesen Milieus recherchiert?

Das Milieu, in dem Kriminalhauptkommissar Thomas Mohr als Kind aufwuchs, ist mir aus meiner eigenen Kindheit vertraut. Wie man einen analogen Kilometerzähler zurückdreht, wusste ich als Kind. Mein Studium habe ich unter anderem als Nachttaxifahrer in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn finanziert. Da gab es viel zu beobachten. Wenn man Kundschaft im Bordell ablieferte, wartete man noch zehn Minuten, dann ging man rein und erhielt eine Provision. Meine journalistische Laufbahn habe ich vor 40 Jahren als Polizeireporter begonnen. Ich habe Kriminalbeamte in der Verwandtschaft, ich pflege bis heute freundschaftliche Kontakte zu Kriminalbeamten. All das hilft bei der Recherche.

Ohne spoilern zu wollen: „Endstation“ hat einen etwas ungewöhnlichen Schluss. Künstlerische Freiheit oder reales Geschehen?

Das ist die einzige Frage, die ich Ihnen nicht beantworten will.

Wird es einen weiteren Krimi mit dem Kommissar und Krav-Maga-Meister Thomas Mohr geben?

Vielleicht eines Tages. Der Typ ist mir ans Herz gewachsen. Wie schon so viele Protagonisten vor ihm. Aber meine Arbeitsweise ist anders. Ich denke mir keine Geschichten aus, die zu einem Schauplatz und zu einer Figur passen, damit daraus eine Serienfigur werden kann. Zuvorderst steht immer das recherchierte Thema. Erst im zweiten Schritt folgen die Entwicklung der Dramaturgie und der Protagonisten, die geeignet sind, die Handlung voranzutreiben. Mein nächster Roman wird Andalusien zum Schauplatz haben. Für das gewählte politische Thema brauche ich einen katholischen Landstrich innerhalb der EU mit einer hohen Jugendarbeitslosigkeit. Das hätte auch ein Schauplatz in Polen oder Irland sein können. Aber in Andalusien kenne ich mich aus, spreche die Sprache, verfüge über ein kleines Netzwerk, das mir beim Türöffnen während der Recherche hilft. Aber in diese Geschichte passt der LKA-Kommissar Thomas Mohr leider nicht rein. Sorry, Tom.