Elmore Leonard schrieb witzige, böse, wahre Krimis über Gier, kriminelle Energie und das Auseinanderstreben der Gesellschaft. Manche nannten ihn den Dickens von Detroit. Hollywood hat unter anderem „Get Shorty“ adaptiert.

Stuttgart - „In Sachen Dialoge“, hat der US-Autor Dennis Lehane zur Nachricht vom Tod seines Kollegen Elmore Leonard geschrieben, „thronte er oben auf dem Berggipfel, und wir anderen krauchten unten im Tal herum.“ So sah das wohl jeder, der ein Ohr für Sprache und ihren Wandel hat, für die slanghafte Abgrenzung von Schichten und Gruppen vom Mainstream und für die Versuche, der Welt durch ihre Benennung Herr zu werden. Elmore Leonard, der am Dienstag, den 20.08.2013 an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben ist, hat seinen Figuren stets eine Sprache gegeben, die sie beim Lesen aus dem Papier wachsen ließ wie Zauberbohnen im Frühlingsregen. Da standen sie und wichen nicht mehr.

 

Wie man im Wilden Westen redet

Der 1925 in New Orleans Geborene hatte in den frühen 50er Jahren, neben seinem damaligen Brotberuf als Werbetexter, mit dem Verfassen von Western begonnen. In diesem in Deutschland als literarische Provinz kaum wahrgenommenen Wilden Westen kommt es sehr auf die Sprechweise der Figuren an.

Mit ihrer Abweichung vom Normamerikanisch des Ostküstenmittelstands signalisieren sie nicht soziale Nachrangigkeit, sondern Unabhängigkeit: im Westen macht man seine Regeln selbst.Wobei die Idiomatik, die Dialektformungen, die Slangvarianten dann doch klar stellen, dass auch hier nur so und so viel Abweichung möglich ist, bevor man im auffälligen, gefährlichen Seitenaus steht.

Irgendwann ist Elmore Leonard wohl aufgegangen, dass der westerntypische Konflikt von Zivilisation und Anarchie, Einordnungszwängen und Selbstbehauptungswillen noch immer ganz aktuell in den Städten stattfand und als Kriminalität verbucht wurde. Der frischgebackene Krimiautor Leonard pfiff dann auf die etablierten Muster, Konventionen, Klangfarben und Figuren, weil er bereits genügend eigene Ideen im Kopf hatte.

Nichts da mit Schmelztiegel

Die Sprache seiner Figuren würde ein Mittel der Reviermarkierung sein, die Milieubilder würden keinen statischen Kulissen sein, sondern sich zu einem Porträt einer Gesellschaft fügen, deren ideales Selbstbild als Schmelztiegel, also als Hersteller einer einheitlichen Lebensweise, eine absurde Illusion war.

Leonard, der seine Romane oft in der Motor City ansiedelte, schilderte eine Gesellschaft, die sich aus unterschiedlichen Milieus zusammensetzte, die immer weiter auseinander wuchsen und sich – durchaus auch feindselig – auseinander differenzierten. Manche nannten ihn wegen seiner Fülle an Figuren, Szenerien und Lebensbildern den „Dickens von Detroit“, aber sein Humor war um vieles sarkastischer und sein Reformglaube um vieles schwächer als der von Dickens.

Verbrechen als Form der Norm

Leonard schrieb über Ganoven und Gangster aller Art, aber er behielt immer im Blick, dass das beklagte und gefürchtete Verbrechen eine Erscheinungsform des offiziellen Traums vom Durchsetzen und Reichwerden war. Leonards sarkastischer Grundhumor rührte daher, dass er begriff, dass eine güterfixierte Gesellschaft im Verbrechen sich selbst jagte wie der Hund, der den eigenen Schwanz zu schnappen versucht.

Bei Leonard bekamen die Figuren, die dem weißen Mittelstand näher standen,öfter noch die Oberhand über Desperados, Raubritter und Wegelagerer aus anderen Schichten und Ethnien, aber das ging nie soweit, dass Elmore Leonard uns eine vorhandene Verteilungsgerechtigkeit weismachen wollte, die nun von Angreifern aus den armen Vierteln verletzt wurde. Leonards Detroit war noch vor der Finanzkrise der Realität als moralisch bankrotte Variante der USA erkennbar.

Ein ganz besonderer Wind

In den makaber witzigen Leonard-Krimis pfiff ein ganz besonderer Fahrtwind, den auch gute Verfilmungen wie „Get Shorty“ und „Out of Sight“ oder die TV-Serie „Justified“ selten einfingen. Der Slang der Figuren befand sich in stetem Wandel, was auf die steten gesellschaftlichen Wertewechsel und -schwundprozesse hinwies. Wobei Leonard nie greinte: gestern war alles besser. Mit einer gewissen morbiden Neugier verhieß er: morgen wird’s viel schlimmer.