Darf man das? Einen Krimi im Berlin der Nazi-Jahre spielen lassen? Ende der achtziger Jahre stellte man solche Fragen noch. Der Brite Philip Kerr, der jetzt im Alter von 62 Jahren gestorben ist, hat mit seiner Krimireihe um den Detektiv Bernhard Gunther geantwortet: Ja, man darf.

Stuttgart - So beklemmend dicht wie heute war die Landkarte in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts noch nicht mit erfundenen Polizisten und Detektiven bevölkert. Als der Brite Philip Kerr sich damals daran machte, eine Krimiserie zu entwickeln, hätte er noch ein ein paar nette, interessante Gegenden für sich gehabt, die niemandem als Schauplatz sauer aufgestoßen wären. Stattdessen traf Kerr, der nun am Freitag, dem 23. März, im Alter von nur 62 Jahren gestorben ist, eine Wahl, die gerade bei einigen kritischen deutschen Lesern eine Menge Misstrauen und Ungehörigkeitsverdacht weckten. Seine Ex-Polizist und Privatdetektiv Bernhard Gunther ermittelt im Berlin der Nazi-Zeit.

 

Inmitten so eines gigantischen Verbrecherregimes könne man doch nicht von einem Einzelverbrechen erzählen, maulten manche, die Kerrs Debüt „Feuer in Berlin“ (im Original: „March Violets“) offenbar nicht gelesen hatten. Denn Kerr beweis, dass man Krimihandlungen durchaus ins Berlin der Hakenkreuzflaggen einflechten konnte. Gunther ist einer der großen Antihelden der Kriminalliteratur, ein Ex-Sozialdemokrat, der immer wieder in die Machtkämpfe und Rivalitätskriege zwischen Spitzennazis hineingezogen wird, weil er gar nicht Nein sagen darf. Er könnte ja selbst im Nu im KZ landen. Er muss lavieren, taktieren – und will doch nicht mittun.

Dranbleiben am Stoff

Zunächst wurde die Gunther-Saga mit „Im Sog der dunklen Mächte“ (1990) und „Alte Freunde, neue Feinde“ (1991) eine längst als Spannungsklassiker respektierte Trilogie. Aber 2006 kehrte Kerr mit „Das Janus-Projekt“ zu seiner faszinierendsten Erfindung zurück und blieb an dem Stoff dran: In England wird im April posthum der dreizehnte Gunther-Band erscheinen. Dass die ersten Gunther-Romane Robert Harris beim Schreiben seines Weltbestsellers „Vaterland“ (1992) inspiriert haben, steht wohl außer Frage.

Die Nazis waren keinen kaum vorstellbaren massenmörderischen Rassefanatiker oder wahnverblendeten Weltherrschaftsirre, es waren vor allem ganz gewöhnliche Karrieristen, Gierhälse, Wirtschaftskriminelle und Leuteschinder, die lediglich überhaupt keine Skrupel bei der Durchsetzung ihrer Interessen hatten. Das zeigt Kerr immer wieder, wenn er seine Erfindungen vorsichtig hineinwebt in reale Ereignisse wie die Olympiade 1936 und die Reichskristallnacht, wenn er Gunther mit historischen Figuren interagieren lässt.

Nazis, Action und Fußball

Kerr ist quasi bei den Nazis zuhause, er durchschaut ihre martialischen Posen und ihr fiebriges Redenpathos, er zeigt sie in ihrer ganzen schmierigen, kläglichen Niedrigkeit. Und er schildert in Gunthers Ermittlungen sehr nachvollziehbar die erstickende Atmosphäre in einem Land, in dem diese Typen die Macht haben und kein Mensch sich sicher fühlen darf.

Als Autor war Kerr für manche Überraschung gut. Er konnte einen eher intellektuellen, fast ein wenig verkopften Thriller wie „Das Wittgenstein-Programm“ (1992) vorlegen, aber auch Actionpakete wie „Der Plan“ (1998), die wohl auch als Köder für Hollywood gedacht waren. Zuletzt hat er sich die Welt des Profifußballs mit drei Romanen um den Trainer Scott Manson vorgenommen, und auch lesenswerte Kinderbücher stammen von ihm, unter anderem die Reihe „Die Kinder des Dschinn“.

Aber wer noch nichts von Kerr kennt, sollte mit den Gunther-Büchern anzufangen, um möglichst bald aufzuholen. Anfang April erscheint auf Deutsch bei Wunderlich Band 11 der Reihe, „Kalter Frieden“, der im Jahr 1956 spielt. Denn ja, Bernie Gunther hat es durch die Nazijahre geschafft, er arbeitet nun als Concierge in einem Grandhotel an der Côte d’Azur – und steckt doch mitten drin im Kalten Krieg, dessen Personal der Detektiv noch aus anderen Zeiten kennt.