Um Einbrüche zu verhindern, nutzt die Polizei verstärkt prognosebasierte Computersysteme. Kritiker warnen vor Datenschutzfragen und einer Vorverurteilung bestimmter Gruppen.

Stuttgart - Das Polizeiauto parkt vor der Haustür eines Stuttgarter Mehrfamilienhauses, der Beamte steigt aus und steht unschlüssig auf der Straße. Etwas ratlos schaut er über den Gartenzaun, schiebt einen Busch beiseite, lugt dahinter und reckt seinen Hals, um über den Fahrradschuppen hinwegsehen zu können. „Was machst du da?“, fragen ihn schließlich Kinder, die auf der Straße spielen. „Ein Computerprogramm hat vorhergesagt, dass hier in der Nähe bald eingebrochen wird“, sagt der Beamte und zuckt ratlos mit den Schultern. „Natürlich nicht genau in Ihrem Haus“, ergänzt er, als er die erschrockenen Blicke der umstehenden Mütter sieht. Mit 70-prozentiger Wahrscheinlichkeit würden die Einbrecher aber in den nächsten Tagen in diesem Wohnviertel zuschlagen.

 

Szenen wie diese spielen sich derzeit gehäuft in deutschen Wohngebieten ab. In mehreren Bundesländern gibt es Pilotversuche mit dem so genannten Predictive Policing: Computer berechnen bevorstehende Einbrüche. Baden-Württemberg nutzt die Software Precobs, die ein Unternehmen in Oberhausen entwickelt hat: das Institut für musterbasierte Prognosetechnik (IfmPt). Die Software basiert auf der Annahme, dass professionelle Täter nach bestimmten Mustern vorgehen und zurückkehren, wenn sie erfolgreich waren: „Near repeat“ heißt das in der Fachsprache. Diese Folgedelikte sagt der Computer voraus. Ist er sich zu mindestens 70 Prozent sicher, schlägt das System Alarm – und die Behörden entscheiden, ob sie eine Streife vorbeischicken.

Die Daten aus Stuttgart werden jetzt ausgewertet

In Stuttgart ist die Pilotphase nach etwas mehr als einem halben Jahr gerade beendet worden, die Daten werden nun vom Freiburger Max-Planck-Institut ausgewertet. „Vor Ende der Evaluation geben wir keine Zahlen heraus“, sagt Horst Haug vom Landeskriminalamt. Umstritten ist, ob so ein kurzer Zeitraum genügt, um die Wirkung der Software beurteilen zu können.

Immer wieder hört man von Gebieten, in denen die Einbrüche rückläufig seien – und im Jahr darauf steigen sie wieder. „Das ist das Absurde an der ganzen Geschichte“, sagt Michael Schweer vom IfmPt, „das Nicht-Eintreten des Folgedelikts ist unser Erfolg, lässt sich aber durch das Nicht-Eintreten nicht nachweisen.“ Dennoch ist Schweer überzeugt, dass Precobs funktioniert: „Wir sind jetzt an sieben Standorten, und an allen liegen die Einbrüche signifikant unter den Vergleichswerten. Es wäre doch komisch zu sagen: Das hat nichts mit dem System zu tun.“

Die Polizei erlebt auch Überraschungen

Eine Momentaufnahme liefert der Bericht des Analysechefs der Züricher Polizei Dominik Balogh im Magazin „Kriminalistik.“ Im Winterhalbjahr 2013/14, in dem Precobs erstmals dort eingesetzt wurde, habe es 146 Alarme gegeben, von denen die Polizei 92 verfolgte. Tatsächlich kam es in 87,3 Prozent der Fälle zu mindestens einem Folgedelikt innerhalb von 144 Stunden und 400 Metern Radius. In jenem Winter sank die Einbruchsstatistik zugleich auf ein Fünfjahrestief. „Ob und in welchem Umfang das Programm zu diesem Resultat beigetragen hat, ist nicht hieb- und stichfest zu beweisen“, gibt Balogh zu.

Weshalb es so wenig evaluierte Ergebnisse gibt, wundert den nordrhein-westfälischen Landeskriminaldirektor Dieter Schürmann: „Die Idee ist ja nicht neu.“ In den USA werde schon länger mit Mustererkennungs-Algorithmen gearbeitet. „Die Amerikaner berichten von 25 bis 30 Prozent rückgängiger Kriminalität – aber wenn man genauer nachfragt, gibt es keine wissenschaftlich belastbaren Erkenntnisse.“ Seine Behörde hat das System „Skala“ (System zur Kriminalitätsanalyse und Lageantizipation) entwickelt: „Wir haben Algorithmen aus unseren Erfahrungen formuliert.“ Seine Kollegen experimentieren mit Daten aus der Konsumforschung, wie mit den Wohnorten von Pendlern. Seine polizeiliche Intuition sagt Schürmann, dass dort öfter eingebrochen werden müsste. Doch die Polizisten erleben auch Überraschungen: „Wir denken, gewisse Daten müssten Indikatoren sein, das sind sie dann aber doch nicht.“

Medien bewerten die Datensammlungen teils kritisch

Schürmann überlegt derzeit, welche Daten noch interessant wären für die Verbrechensvorhersage. Aber er ist mit entsprechenden Aussagen vorsichtig geworden: „Die Medien kommen dann immer gleich mit dem Minority Report“, klagt er. Der Science-Fiction-Thriller (2002) handelt von der absoluten Datenkontrolle, wodurch Straftaten schon im Vorhinein ermittelt werden können. Als er vor einiger Zeit öffentlich überlegte, dass die Herkunft von Sim-Karten und deren Bewegungen in Echtzeit eine gute Vorhersagevariable für die Straftaten reisender Täter sein könne, hätten „alle gleich George Orwells Zukunftsklassiker ‚1984’ aus der Tasche gezogen.“

Um vor dem Einbrecher am Ort zu sein, wären einige Echtzeitdaten dennoch gut, meint Schürmann: „Rechtlich unbedenklich könnte man für einen Bezirk den aktuellen Wasserverbrauch und den Stromverbrauch anzeigen lassen.“ Das würde darauf verweisen, wo gerade wenige zu Hause sind. Kriminelle finden das durch Beobachtung heraus – „aber wir können ja nicht vor jeder Haustür stehen“.

Unterdessen rät Schweer zu Genügsamkeit. Zusätzliche Daten zu sammeln sei nicht sinnvoll: „Oft verschlechtert sich die Prognose dadurch sogar.“ Zehn Jahre lange haben die Forscher des Instituts ausgeknobelt, welche Daten zu einem guten Ergebnis führen. Sie landeten bei denkbar wenigen: Tatort und -zeit, Beute und Vorgehensweise. Systeme mit mehr Daten lösen seiner Erfahrung nach zu häufig einen Fehlalarm aus. „Das Ziel ist doch, weniger Personal sinnvoller einsetzen zu können“, sagt er. Precobs gebe zwei bis fünf Mal am Tag Alarm mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent. „Das können die verfügbaren Kräfte auch überprüfen.“