Sind zugewanderte junge Männer krimineller als deutsche und schon länger hier lebende Ausländer? Eine neue Untersuchung legt nahe, dass vor allem Männer aus bestimmten Ländern und ohne Bleibeperspektive auffällig sind. Was kann der Staat tun?

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Stuttgart - Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Durch Flüchtlinge ist es einer aktuellen Studie zufolge zwischen 2014 und 2016 zu einem spürbaren Anstieg von Gewalttaten gekommen. Das vom Kriminalwissenschaftler Christian Pfeiffer geleitete Untersuchungsteam hat im Auftrag des Bundesfamilienministeriums dazu die Lage in Niedersachsen analysiert. „Niedersachsen ist ein durchschnittliches Bundesland, die Ergebnisse sind deshalb in Teilen generalisierbar“, erklärten die Co-Autoren Dirk Baier von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und Sören Kliem vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen bei der Präsentation am Mittwoch. Laut Statistik stieg die Zahl der Gewalttaten in dem Bundesland zwischen 2014 und 2016 um 10,4 Prozent. Zu 92,1 Prozent sei diese Zunahme Flüchtlingen zuzurechnen, heißt es. In den Jahren zwischen 2007 und 2014 sei die Zahl der polizeilich registrierten Gewalttaten kontinuierlich zurückgegangen – um insgesamt mehr als 20 Prozent. Das habe sich mit dem Eintreffen der Flüchtlinge in Deutschland geändert.

 

Negative Auswirkungen von „Machokulturen“

Die Autoren warnen angesichts dieser Entwicklung jedoch dringend vor Pauschalurteilen und versuchen die Ergebnisse ihrer Analyse zu erklären. Ein Problem benennen sie gleich zu Beginn: junge Männer. „In jedem Land der Welt sind die männlichen 14- bis unter 30-jährigen bei Gewalt- und Sexualdelikten deutlich überrepräsentiert“, so die einleitenden Worte: „In Niedersachsen erreichten sie im Jahr 2014 eine Quote von 9,3 Prozent der Bevölkerung. Sie stellten aber im selben Jahr 51,9 Prozent aller Tatverdächtigen der aufgeklärten Fälle von Gewaltkriminalität.“

Das hat auch Auswirkungen auf die Statistik – im Hinblick auf die Gruppe der Flüchtlinge, in der junge Männer deutlich überrepräsentiert sind. Knapp 27 Prozent der 2016 in Niedersachsen registrierten Flüchtlinge gehörten zu dieser Gruppe, heißt es in der Studie mit Verweis auf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Fast zwei Drittel der aufgeklärten Gewalttaten von Flüchtlingen gingen auf ihr Konto. Negativ wirke sich auch die „importierte Machokultur“ auf die Zahl der Delikte aus. Das bedeutet, dass die jungen Männer meist aus muslimischen Ländern nach Deutschland kommen, in deren Gesellschaften Gewalt weit stärker akzeptiert wird als in westlich geprägten Staaten.

Der ausgleichende Einfluss der Frauen fehlt

Gleichzeitig wirke sich das Fehlen der Familie und weiblicher Bezugspersonen negativ aus. „Frauen zivilisieren die Männer“, sagt Pfeiffer. Das heißt, dass sich die Jugendlichen in ihrem männlichen Gehabe gegenseitig oft noch aufschaukeln. Das Fehlen von Partnerinnen, Müttern oder Schwestern sei ein „Problem“, ist zu lesen, die Forderung nach Familiennachzug sei aus kriminologischer Sicht daher durchaus sinnvoll.

Auch Bundesfamilienministerin Katarina Barley (SPD) bekräftigte in diesem Zusammenhang ihre Forderung nach Familiennachzug. Die Studie mache deutlich, wie wichtig Frauen für eine gelingende Integration seien. „Mütter, Ehefrauen und Schwestern sind das soziale Band, das die meist jungen, männlichen Geflüchteten brauchen, um sich gut integrieren zu können“, so die Ministerin. Umso wichtiger sei es, rasch „zu einer guten und menschlichen Regelung für den Familiennachzug zu kommen“.

Rund ein Drittel der Gewaltopfer sind Flüchtlinge

Als wichtigen Faktor sehen die Experten auch den Aufenthaltsstatus. Wer als Kriegsflüchtling komme oder aus anderen Gründen gute Chancen sehe, hierbleiben zu dürfen, „wird bemüht sein, diese Aussichten nicht durch Straftaten zu gefährden“, erklären die Wissenschaftler. So betrage der Anteil von Flüchtlingen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan unter den Tatverdächtigen nur 16 Prozent. Sie stellen aber fast 55 Prozent der Asylbewerber. „Das andere Extrem bilden die nordafrikanischen Flüchtlinge“, wird in der Studie ausgeführt: Deren Anteil unter den Asylbewerbern betrage 0,9 Prozent, sie stellten aber zum Beispiel 31,5 Prozent der als Flüchtlinge registrierten Tatverdächtigen von Raubdelikten. Diese Menschen hätten bald nach ihrer Ankunft erfahren, „dass sich für sie faktisch keine legalen Aufenthaltsperspektiven ergeben“.Die Experten weisen allerdings auch darauf hin, dass die Statistik in gewisser Weise verzerrt sei. So würden Gewaltdelikte von Flüchtlingen im Vergleich zu denen deutscher Täter „mindestens doppelt so oft angezeigt“. Sie geben zudem zu bedenken, dass die Unterbringung von Menschen unterschiedlicher Religionen in beengten Flüchtlingsheimen Gewaltkonflikte begünstige. Insgesamt handelt es sich bei rund einem Drittel der Gewaltopfer um andere Flüchtlinge.

Auch ein Einwanderungsgesetz könnte Präventionseffekte haben

Mehr als 91 Prozent der Tötungsdelikte, bei denen Flüchtlinge als Tatverdächtige ermittelt wurden, betreffen andere Flüchtlinge oder Ausländer. Dies treffe auch bei drei Viertel der Fälle von gefährlicher und schwerer Körperverletzung zu. Bei den Raubdelikten waren die Opfer dagegen zu 70 Prozent Deutsche – offensichtlich gingen die Täter davon aus, dass es dort „mehr zu holen“ gebe. Auch bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung dominieren deutsche Opfer. Die Forscher vermuten, dass das auch damit zusammenhängt, dass ausländische Frauen eine sexuelle Nötigung weniger häufig anzeigen.

Zur effektiven Kriminalitätsprävention fordern die Experten ein breit angelegtes Programm für die freiwillige Rückkehr in die Heimatländer. Nötig seien dafür nicht nur finanzielle Anreize. Vielmehr sollten auch Flüchtlingen ohne Bleibeperspektive der Zugang zu Sprachkursen und Praktikumserfahrungen ermöglicht werden. „Wer beispielsweise Grundkenntnisse der deutschen Sprache erlernt hat, dem eröffnen sich in seinem Heimatland oft Perspektiven in der Touristikbranche“, schreiben die Forscher: „Wer in Deutschland praktische Fähigkeiten in bestimmten Arbeitsbereichen erworben hat, kann diese zu Hause bei der Jobsuche einsetzen.“

Nicht zuletzt brauche Deutschland nach Ansicht der Experten ein Einwanderungsgesetz, das klare Vorgaben enthält, unter welchen Bedingungen Zuwanderer eingebürgert werden können. Auch dadurch entstünden Präventionseffekte.