Die Doppelstadt Ulm und Neu-Ulm ist seit Jahren eine Hochburg der Rockerkriminalität im Südwesten. Das bekommt auch das Landgericht Ulm zu spüren: Landgerichtspräsident Lutz-Rüdiger von Au beklagt die wachsenden Zeitnöte seiner beiden Strafkammern.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Ulm - Die Doppelstadt Ulm und Neu-Ulm ist seit Jahren eine Hochburg der Rockerkriminalität im Südwesten, das bekommt längst auch das Landgericht Ulm zu spüren. Die beiden Strafkammern an der Donau sind gleich mit mehreren Großverfahren konfrontiert, eines davon läuft aktuell gegen einen mutmaßlichen Pistolenschützen aus Reihen der Gruppierung Black Jackets. Der Mann soll bei einer Auseinandersetzung in der Blaubeurer Straße in Tötungsabsicht auf eine Gruppe der Bande Red Legions geschossen haben. Im Prozess wegen versuchten Mordes sind 118 Zeugen geladen. Die Bandenprozesse, beklagte jetzt der Ulmer Landgerichtspräsident Lutz-Rüdiger von Au, verschärften die ohnehin bedrängte Arbeitssituation der Strafrichter weiter. „Das Wasser steht uns bis zum Hals“, sagt von Au.

 

Die Rockerprozesse seien so besonders, heißt es, weil der Gerichtssaal im Vorfeld besonders gesichert werden müsse. Terminabsprachen mit beteiligten Anwälten seien oft schwierig, weil diese oft an mehreren Gerichtsstandorten im Dienst von Badenmitgliedern tätig seien. Tatsächlich sind beispielsweise in Verfahren gegen Rocker, die im vergangenen Jahr in Stuttgart, Ulm und Memmingen liefen, dieselben Anwälte zu sehen gewesen. Das „Insider-Wissen“ dieser Verteidiger, sagt von Au, könne „prozesstaktisch eingesetzt werden“. Und weiter: „Von einer professionellen Distanz kann man da oftmals nicht mehr reden.“

Viele der Zeugen aus dem Rockermilieu, schildert der Ulmer Richter und Pressesprecher Stefan Adamski, müssten aufwendig gesucht werden, weil Anschriften nicht bekannt seien; andere hätten sich teilweise ins Ausland abgesetzt. Seien Zeugen ermittelt, kämen „unentwegt Verlegungswünsche“, was anberaumte Prozesstermine anbelange. Dazu müsse laufend über Besuchswünsche in Untersuchungsgefängnissen entschieden werden. Auch die Briefkontrolle während der Zeit der Prozessvorbereitung falle ins Ressort der Strafkammern. „Da sitzen Sie manchmal einen halben Tag und lesen Briefe“, sagt Adamski.

Für das Ulmer Landgericht stehen die Rockerprozesse auch für eine grundsätzliche Veränderung der Verfahren: sie werden länger. So vergingen 2013 in Ulm durchschnittlich pro Fall knapp fünf Verhandlungstage, bis ein Urteil gesprochen werden konnte. 2011 war ein Tag weniger nötig.

Datenflut aus Smartphones wird zum Problem

Das hat laut Gerichtspräsident von Au nicht zuletzt mit der Technik zu tun. Die Auslesung von Funkzellendaten beispielsweise in einem Strafverfahren trage zwar zur Wahrheitsfindung oft viel bei, sei aber zeitaufwendig. Auch die Auswertung sichergestellter Smartphones mutmaßlicher Straftäter wird immer komplizierter. In einem der zurückliegenden Ulmer Rockerprozesse hätte laut einer Notiz des Landeskriminalamts der Ausdruck sämtlicher auf einem Mobiltelefon gespeicherter Daten rund 2000 DIN-A4-Seiten umfasst.

Er hätte „gerne noch eine große Strafkammer bei uns im Ulm“, sagte von Au. „Uns fehlen ein bis zwei Richter.“ Vor zehn Jahren seien diese beiden Stellen noch vorhanden gewesen. Die aktuellen Sparvorschläge der Landesregierung sähen für die Justiz für die Jahre 2015/2016 jedoch weitere Einsparungen von 40 Millionen Euro vor. Lutz-Rüdiger von Au: „Man muss befürchten, dass diese Einsparungen in einen Personalabbau münden.“ Die Justiz habe auf Regierungsebene offenbar keinen hohen „Stellenwert“.

Haftbefehl musste aus Zeitmangel aufgehoben werden

Die Zeitnöte der Ulmer Strafkammern haben eine erste drastische Folge. Laut Richter Stefan Adamski habe vor kurzem ein Haftbefehl gegen einen mutmaßlichen Betrüger aufgehoben werden müssen. Das Gericht habe es nicht geschafft, den Prozess gegen den Mann fristgerecht vorzubereiten und zu eröffnen.