Einbrüche und Diebstähle im Grenzbereich zu Polen und Tschechien haben stark zugenommen. Viele kleine und mittlere Betriebe sind in ihrer Existenz bedroht. Nicht nur die Kammern schlagen Alarm – und fordern mehr Polizeipräsenz.

Görlitz - Raimund Kohli erkennt das Problem schon, bevor er an diesem Morgen sein Autohaus erreicht hat. Sein Blick für Auffälligkeiten schärfte sich mit den Jahren. „Oh, verflixt, der Tag ist gelaufen . . ., durchfährt es ihn. Ein nagelneuer Octavia steht aufgebockt auf Ziegelsteinen – den kompletten Radsatz ließen die Diebe mitgehen. Als er genauer hinsieht, entdeckt er auch noch Dellen am Rahmen. „Lässt sich ausbeulen“, sinniert er. Doch als Neuwagen kann er den Skoda nun nicht mehr verkaufen.

 

Immerhin, das Auto steht noch da. Anders als bei dem Superb, der ihm vor einiger Zeit direkt vom Hof in Görlitz geklaut worden war. „35 000 Euro!“, stellt er verärgert fest. Zum Glück zahlte die Versicherung. Schlimmer traf es einige Kollegen, erzählt er. Nach dem soundsovielten Einbruch ist ihnen die Police gekündigt worden. Bei anderen verlangten die Versicherungen, das komplette Autohausgelände einzuzäunen und abzuschließen.

Manche Autohausbesitzer schlafen in der Firma

„Auch bei mir stand das an“, sagt der 38-Jährige. „Doch viele Kunden kommen erst abends oder am Wochenende, um sich einen neuen Wagen auszusuchen. Soll ich sie aussperren“, fragt er. So rüstete er teuer auf: hochwertige Alarmanlage, raffinierte Schlösser, diverse Sicherheitstechnik und erst jüngst für 4000 Euro Tresorbriefkästen: „Für die Schlüssel der Neuwagen, die nachts angeliefert werden.“ Überdies strukturierte er manches im Betriebsablauf neu.

Sein Kollege Gotthard Körner, der in Oderwitz bei Zittau einen VW- und Audi-Handel führt, will auch keinen Zaun. Dabei traf es ihn besonders hart: Zehn Fahrzeuge büßte er bereits ein, allein sechs an einem Wochenende. Man hatte ihn offenbar zuvor genau ausgekundschaftet. So schläft Körner seither Nacht um Nacht in der Firma. „Es ist ein schwerer Überlebenskampf“, räumt er ein.

Bei den Mittelstandsfirmen herrscht Frust und Wut

Vor genau fünf Jahren gingen die Schlagbäume nach Polen und Tschechien für immer hoch. Beide Länder waren dem Schengenraum beigetreten. Die Politiker jubelten – und begannen alsbald, entlang der einstigen EU-Außengrenze kräftig die Polizei auszudünnen. Das weiterhin große Wohlstandsgefälle an Neiße und Oder übersah man geflissentlich. Die Beamten arbeiten heute meist auf Flugplätzen. Und noch gehe dieses Schrumpfen „mehr oder weniger schleichend“ weiter, warnt Josef Scheuring von der Gewerkschaft der Polizei. Dabei habe es gerade 2012 eine „vermehrte illegale Einreise“ sowie einen Anstieg bei grenzüberschreitenden Eigentumsdelikten gegeben.

Keiner weiß das besser als Handwerk und Mittelstand in den Grenzregionen Brandenburgs und Sachsens, die das Rückgrat der Wirtschaft bilden. Heute herrschen in diesen Firmen Frust, Wut und teils auch Resignation. Wenn gleich sieben Mal in einer Firma eingebrochen wird, sinke nicht nur der Mut zum Weitermachen, „es wird auch existenziell“, sagt der Görlitzer Kreishandwerksmeister Knut Scheibe. Dabei reiche manchmal schon ein Einbruch, um eine Firma in echte Not zu bringen. So versuchten Ende November unbekannte Täter, die drei Spezialtransporter einer Baufirma über die Grenze zu bringen. Eine Polizeistreife entdeckte dies zwar, doch die Diebe konnten fliehen und hinterließen einen satten Schaden: Zwei Fahrzeuge wurde teils schwer beschädigt, das dritte landete im Teich.

Der Gesamtschaden geht in die Millionen

Mittlerweile ist die Angst vieler Kleinunternehmer, Opfer von Raub und Einbruch zu werden, so groß, dass sich nun die Präsidenten der Handwerkskammern Dresden und Cottbus zu einem Krisengipfel trafen. Zuvor hatten die Kammern ihre Mitglieder zur Sicherheitslage befragt und dabei Erschreckendes erfahren: Allein im Kammerbezirk Dresden wurden bereits 36,3 Prozent der antwortenden Firmen Opfer von Kriminalität. Der Gesamtschaden geht in die Millionen.

Die „Ohnmacht“ werde bald in „Wut umschlagen“, warnt Jörg Dittrich, Präsident der Handwerkskammer Dresden vor den Folgen. Für Knut Deutscher, Hauptgeschäftsführer der Cottbuser Kammer, suggeriert die Befragung zugleich „den Eindruck“, dass der Staat die Situation „nicht mehr beherrscht“. Beide Kammern fordern eine Prioritätsverlagerung bei der Bundespolizei „zurück zur Grenze“, mehr Kontroll- und Verfolgungsdruck im Neißeraum sowie besser ausgestattete Sicherheitskräfte.

Es gibt auch zahlreiche Drogenküchen entlang der Grenze

Als Polizeischelte will man das in Handwerkerkreisen indes nicht verstehen. „Die Polizisten sind selbst verunsichert und frustriert“, beobachtet etwa Raimund Kohli, der in seinem Autohaus viele auch als Kunden kennt. „Haben sie mal einen Dieb geschnappt, ist der eher wieder draußen, als sie Schichtschluss haben“, erzählt er. Von einem verdeckten Fahnder hörte Kohli überdies eine Geschichte, die symptomatisch für die Situation sei: „Lange hatte dessen Truppe für die Verfolgung von Autodealern einen schnellen Wagen gefordert. Dann kam einer: Baujahr 1991, Tachostand: 380 000 Kilometer. Aber immerhin 200 PS. Dafür sind sie noch dankbar, denn somit haben sie überhaupt eine Chance, den Gangstern hinterherzukommen.“

Auch in der Politik wächst die Kritik. Für Michael Kretschmer, CDU-Vizefraktionschef im Bundestag und in Görlitz zu Hause, lässt „die Politik die Polizei im Stich“. Er nennt es „blauäugig“ und „hilflos“, wie deutsche Sicherheitspolitiker nach der kontrollfreien EU-Osterweiterung agiert hätten. Neben einer „stark zunehmende Beschaffungskriminalität auch jenseits des unmittelbaren Grenzbereichs“ macht Kretschmer überdies an der Grenze zu Tschechien ein „zunehmendes Drogenproblem“ aus: „Wie an einer Perlenkette aufgereiht befinden sich entlang der deutschen Grenze auf der tschechischen Seite Drogenküchen.“

Der Innenminister will den Polizeiabbau stoppen

Vor diesem Hintergrund sei die Reduzierung der Bundespolizei an den ostdeutschen Grenzen „verfrüht“ gewesen, so Kretschmer. Eher brauche es mehr Personal als noch vor der Schlagbaumöffnung. Zumindest versprach kurz vor Weihnachten Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) seinem sächsischen Amtskollegen Markus Ulbig (CDU), den Polizeiabbau in den neuen Ländern zu stoppen. Auf den Autobahnen mit Bezug zur Bundesgrenze soll es zudem künftig gemeinsame Streifen von Bundes- und sächsischer Landespolizei geben. Vor wenigen Tagen eröffnete überdies im polnischen Piensk ein neues Polizeirevier, von dem aus polnische und sächsische Polizisten in der gemeinsamen Ermittlergruppe „Neiße“ gegen Grenzkriminalität vorgehen sollen. Das zehnköpfige Fahndungsteam soll 2013 sogar verdoppelt werden.

Autohausbesitzer Kohli nennt übrigens „Schengen eine Superidee“. Er wolle auf keinen Fall die alte Grenze wieder, versichert er. Längst habe er auch in Polen und Tschechien solide Geschäftspartner. Und auch diese besäßen ein ehrliches Interesse daran, dass sich die Lage an der Grenze wieder entspannt. Doch dass es erst so weit kommen musste, sei auf eine lasche Sicherheitspolitik auf deutscher Seite zurückzuführen. Die Polen „drüben in Zgorzelec“ seien da energischer, ist der Sachse überzeugt. Die wenigen Straßenbrücken, die über die Neiße nach Polen führen, hält Kohli für kontrollierbar: „Das sind doch, weiß Gott, leicht zu beobachtende Nadelöhre.“ Man müsse es nur wollen.