Die Zahl der Straftaten ist deutlich weniger angestiegen als die Zahl der Schutzsuchenden im Land, die sich mindestens vervierfacht hat.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Die Kriminalität von Flüchtlingen ist deutlich weniger angestiegen, als die Zahl der Schutzsuchenden im Land. Das belegen Zahlen des Innenministeriums und der Stuttgarter Polizei, die der Stuttgarter Zeitung vorliegen. Während sich die Zahl der Flüchtlinge mindestens vervierfachte, hat sich die Zahl der dieser Gruppe zugeschriebenen Straftaten im Land nicht einmal verdoppelt. In Stuttgart stieg die Zahl der Delikte von knapp 2000 im Jahr 2014 auf 3249 Taten 2015 sogar noch wesentlich weniger an.

 

Als nach den Übergriffen in der Silvesternacht in Köln bekannt geworden ist, dass unter den Tatverdächtigen überwiegend Asylbewerber waren, ist eine hitzige Debatte losgebrochen: Im Kern ging es um die Frage, ob mit der steigenden Zahl der Schutzsuchenden ein Sicherheitsproblem entstehe. Die Stuttgarter Polizei hat zwar ihre Kriminalitätsstatistik für 2015 noch nicht veröffentlicht, verrät aber vorab einen Trend: Die Zahlen liegen etwa auf dem Niveau des Vorjahres, so dass insgesamt nicht von einer schlechteren Lage die Rede sein kann. Noch nicht in den Zahlen aus den Vorjahren erfasst ist der vorläufige Bericht der Ermittlungsgruppe Silvester der Stuttgarter Polizei, die am Aschermittwoch aufgelöst wurde. Sie hat mehrere Tatverdächtige ermittelt, die als Flüchtlinge ins Land kamen. Einige davon lebten jedoch nicht in Stuttgart, zuletzt wurde ein Tatverdächtiger in Mannheim festgenommen.

Manche Gruppen sind für bestimmte Delikte bekannt

Auffällig in den Statistiken ist, dass die meisten Tatverdächtigen mit 419 Algeriern und 173 Georgiern im Jahr 2015 aus Ländern kommen, deren Bürger wenig Aussichten auf Anerkennung als Asylbewerber in Deutschland haben. Tatverdächtige aus dem Bürgerkriegsland Syrien, aus dem im vergangenen Jahr der größte Anteil an Flüchtlingen nach Deutschland kam, liegen weiter hinten in der Statistik, mit 120 Tatverdächtigen beziehungsweise 58 im Jahr 2014. Auf den Spitzenplätzen liegen mit den Georgiern und Gambiern (172) auch zwei Gruppen, die immer wieder im Zusammenhang mit bestimmten Delikten auffallen. Die Polizei hat in den vergangenen Jahren mehrmals ganze Tätergruppen aus Georgien festgenommen, die als Einbrecherbanden ins Land gekommen waren. Die Gambier fallen regelmäßig beim Rauschgifthandel auf.

Beim Deuten der statistischen Zahlen muss man mehrere Faktoren bedenken. Bei den Einbrüchen geht es zum Beispiel um 110 Taten – das heißt nicht, dass 110 Flüchtlinge, Asylbewerber oder Asylberechtigte in Wohnungen eingestiegen sind. Es kann auch sein, dass einigen Verdächtigen eine Vielzahl von Einbrüchen zugeordnet wurde. Zudem sei eine Unschärfe der Statistik, dass sie nicht ausweise, wie lange die Tatverdächtigen schon im Land sind, betont der Polizeisprecher Stefan Keilbach: „Darunter sind Asylbewerber, Kontingentflüchtlinge und Menschen, die mit einer Duldung hier leben.“ Die Sozialbürgermeisterin Isabel Fezer (FDP) gibt zu bedenken, dass man nicht feststellen könne, ob Georgier mitgezählt wurden, die gezielt als Einbrecherbande ins Land kamen, oder ob sie als Flüchtlinge registriert seien und dann in Deutschland straffällig wurden.

Innenministerium wertet die Entwicklung positiv

„Wenn die Zahl der Menschen steigt, die ins Land kommt, steigt auch die Zahl der Straftaten. Dass sie geringer gestiegen sind – also nicht im gleichen Verhältnis zu der Zahl der Flüchtlinge – werten wir als ein gutes Zeichen: Flüchtlinge sind nicht überproportional kriminell“, fasst Carsten Dehner, Sprecher des Innenministeriums, die Analyse der Behörde zusammen. Er hebt auch hervor, dass Ladendiebstahl und Schwarzfahren besonders häufig vorkommen: „Das sind klassische Armutsdelikte“, erklärt er. Bei den Körperverletzungsdelikten gebe es auch eine Besonderheit zu berücksichtigen: Die Mehrzahl der Fälle spielte sich in Unterkünften ab. Abschließend könne man sagen, dass sich die Sicherheitslage nicht verschlechtert hat, das Empfinden der Bürger sich aber seit Silvester nicht mehr mit objektiven Zahlen deckt. Für die Polizei bedeute die hohe Flüchtlingszahl jedoch mehr Aufwand, schließlich müsse sie häufig wegen kleinerer Konflikte zu Flüchtlingsunterkünften ausrücken, fügt der Polizeisprecher hinzu. Auch wenn der Anlass gering sei, seien die Beamten dann dort kurzfristig gebunden und stünden nicht für andere Einsätze zur Verfügung.

Dass Flüchtlinge mittlerweile häufig pauschal vorverurteilt werden, beobachtet der Stuttgarter Asylpfarrer Joachim Schlecht mit Sorge: „Zu mir kommen viele, die es als verletzend empfinden, dass sie mitverdächtigt werden“, sagt er. Manche würden es gar so empfinden, als stünde eine Mauer zwischen ihnen und anderen Menschen. Der Blick auf die Zahlen zeigt auch für ihn: „Bei einem Anstieg der Flüchtlingszahlen auf das Vierfache des Vorjahreswerts haben sich die Taten nicht verdoppelt.“ Das widerlege Vorurteile, dass durch die Zahl der Flüchtlinge die Kriminalität exorbitant steige, wie es manche polemisch im Wahlkampf verbreiten.

Bei der Auswertung sei zudem der hohe Anteil junger Männer zu berücksichtigen, betont die Sozialbürgermeisterin. Das sei immer eine Gruppe, egal welcher Herkunft, die in der Kriminalitätsstatistik auffalle. Die Zahlen hätten für die weitere Arbeit in Stuttgart keine besondere Relevanz: „Wir arbeiten ganz normal weiter. Wichtig ist, dass wir den Menschen das Gefühl vermitteln, sie können für einige Zeit hier anständig leben – dann gehe ich davon aus, dass sie sich an unsere Regeln halten“, soFezer.