Biochemiker aus Tübingen helfen Kommissaren: Anhand der Eiweißspuren auf Pistolenkugeln rekonstruieren die Forscher, durch welche Organe des Opfers der Schuss gegangen ist.

Tübingen - Rinderleber in Aspik ist für Sascha Dammeier keine Neuinterpretation eines Küchenklassikers, sondern nüchterner Forschungsgegenstand. Auch seine Methoden sind alles andere als küchenkompatibel, und Konsistenz und Geschmack sind dem Bioanalytiker herzlich egal. Dammeier interessiert sich nur für den Eiweißanteil des Organs.

 

Zusammen mit Kollegen des Tübinger Instituts für Bioinformatik, der Rechtsmedizin und dem Zentrum für Quantitative Biologie unterzieht der an der Uniklinik tätige Biochemiker das Organ einer rabiaten Behandlung. Die Forscher drücken Pistolenkugeln durch die Leber, ganz langsam, von Hand. Sie stechen mit dem Messer auf das Organ ein, auf dem Schießstand ballern sie gar mit scharfer Munition auf die Leber, auf Rinderherzen, Nieren und Lungen – alles im Dienste moderner Kriminalistik.

Anschließend untersuchen die Wissenschaftler die verwendeten Projektile und Klingen auf die Eiweißrückstände, die an deren Oberflächen kleben geblieben sind. Die Ergebnisse dieser Proteomanalyse füttern sie in eine Datenbank ein. Und können so später mit Hilfe dieser Vergleichswerte dazu beitragen, echte Mordfälle an Menschen zu lösen: Denn das Proteom, also die Gesamtheit der Eiweiße an der Oberfläche eines Projektils, verrät den Wissenschaftlern genau, welche Organe die Kugel oder das Messer auf dem Weg durch den Körper eines Opfers durchdrungen hat.

Moderne Labormethoden sind in der Kriminaltechnik längst fest etabliert, die DNA-Analyse ein alter Hut. Doch in manchen Situationen stößt die bewährte Technik an ihre Grenzen. Etwa wenn mehrere Schützen mit der gleichen Munition auf ein Opfer geschossen haben. Welches war der tödliche Treffer? Welches am Tatort gefundene Projektil hat das Herz durchschlagen? Wer ist der Mörder? „Kürzlich haben uns Kollegen aus den USA um Hilfe gebeten“, erzählt Sascha Dammeier. Eine Frau hatte ihren Mann erschossen. Notwehr, sagte die Frau. Auf der Flucht erschossen, sagten die Ankläger. Der Gerichtsmediziner konnte anhand des Schusskanals nicht rekonstruieren, ob das Opfer von vorn oder hinten getroffen wurde. Die Proteomanalyse könnte zur Lösung des Rätsels führen.

Viele Anfragen kommen aus den USA

Die von Grund auf in Tübingen entwickelte Methode ist bereits patentiert und an ein privates gerichtsmedizinisches Institut auslizensiert. Bekommen die Laboranten ein fragliches Tatwerkzeug geliefert, legen sie es in eine Proteaselösung ein. Die verdaut die verschiedenen Eiweiße, mit einer massenspektrometrischen Analyse lässt sich anschließend die genaue Proteinzusammensetzung ermitteln. Mit Hilfe der langen Versuchsreihen an Tierorganen – das Aspik dient dabei übrigens als Simulation des umgebenden Körpers – konnten die Wissenschaftler um Dammeier für jedes Organ ein typisches Muster aus spezifischen Marker-Eiweißen festlegen. „Das kardiale Troponin I etwa ist einer unserer Marker für das Herz“, erklärt Dammeier.

„Schwierig sind allerdings Kreuzkontaminationen, wenn die Kugel also mehrere Organe passiert hat. Aber dann können wir trotzdem oft durch das Ausschlussprinzip helfen.“ Überhaupt sei die Technik nur in enger Zusammenarbeit mit den Gerichtsmedizinern einsetzbar, nur eine Ergänzung herkömmlicher Methoden bei nicht eindeutigen Fällen, stellt Dammeier klar.

Obwohl schon einige Fälle mit Hilfe der Methode aufgeklärt werden konnten, sind die Forscher längst nicht fertig mit ihrer Arbeit an der forensischen Proteomanalyse. Jetzt gilt es, die Datenbanken stetig zu erweitern, mehr reale Fälle einzuspeisen, zu untersuchen, welche Rolle die Kontamination durch Kleidung, Blut oder Schmutz spielen, mehr typische Muster für die Kombination mehrerer Organe zu finden. „Die Muster für die Haut haben wir zum Beispiel noch gar nicht näher untersucht“, sagt Dammeier. „Obwohl Hautspuren ja eigentlich in jeder Probe dabei sind.“

Aus Deutschland erhalten die Proteom-Spezialisten hauptsächlich Anfragen in Fällen mit Stichverletzungen. Wer hat alles mitgemischt in der Messerstecherei? Der Bedarf für Projektilanalysen aus Schießereien dagegen sei hierzulande glücklicherweise nicht so groß, berichtet Sascha Dammeier. Diese Anfragen kämen hauptsächlich aus den USA.